Frauen, die vor der Dürre in ihrem Zuhause geflüchtet sind, in einem Flüchtlingslager in Somalie
AP/Farah Abdi Warsameh
Gefahr unterschätzt

Klimakrise facht Vertreibung stark an

Die Folgen der Klimakrise könnten sich katastrophal auf Fluchtbewegungen auswirken: Aufgrund von Naturkatastrophen könnte sich die Situation für viele Menschen so stark verschlechtern, dass sie deshalb aus ihrer Heimat vertrieben werden. Davor warnen Forscherinnen und Forscher. Sie fordern bessere Prävention und sagen einen enormen Zuwachs bei der Vertreibung voraus, sollte zu wenig für den Klimaschutz getan werden.

„Der Klimawandel führt zur systemischen und existenziellen Bedrohung, und es mehren sich die Hinweise, dass diese zur Vertreibung von Menschen führen kann“, heißt es in dem Artikel, der auch unter österreichischer Beteiligung am Donnerstag im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht wurde.

Dadurch steigen die Meeresspiegel, wodurch küstennahes Land teils im Wasser versinkt. Er bringt oft auch Versalzung und stärkere Erosion der Böden mit sich, was die Ernten mindert, berichten die Wissenschaftler. Frischwasser wird dadurch teils zur Mangelware, schreiben die Forscher in ihrem Artikel.

Auch der Rückzug und das Abschmelzen der Gletscher und der Verlust der Artenvielfalt sowie der Rückgang der Wälder führen dazu, dass wichtige Lebens- sowie Wirtschaftsgrundlagen kränkeln. Das führt letztendlich dazu, dass sich Menschen zum Umzug gezwungen fühlen. Und der Klimawandel sorgt dafür, dass extreme Wetterereignisse häufiger und heftiger ausfallen, was die Naturgefahren in vielen Gebieten zusätzlich steigert.

Ein Bauer geht über ausgetrocknetes Land in Neijang (China)
AP/Imaginechina/Lan Zitao
Dürre ist nur eine von vielen Auswirkungen der Klimakrise, die Menschen aus ihrer Heimat vertreiben

Allein im Vorjahr weltweit 20 Mio. Menschen vertrieben

Katastrophenbedingte Vertreibung ist ein alltägliches Phänomen, heißt es in dem Artikel – seit 2008 werden diese erfasst, im Schnitt gibt es über 24 Millionen Fluchtbewegungen jährlich. „Wetterbedingte Gefahren“ sind für fast 90 Prozent all dieser Vertreibungen verantwortlich. Allein im Vorjahr wurden 20 Millionen Menschen weltweit durch Naturkatastrophen aus ihren Heimatgebieten vertrieben, so Bina Desai vom Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) in Genf gegenüber der APA.

Viele von ihnen konnten danach zwar wieder zurückkehren, aber mindestens sieben Millionen waren am Ende des Jahres noch in „Binnenvertreibung“, also im eigenen Land, aber nicht mehr im Heimatgebiet.

Ausmaß oft unterschätzt

Das Ausmaß der Vertreibungen durch Klimawandelfolgen würde oft stark unterschätzt, und ihre Kosten scheinen nirgendwo direkt auf, sagte Stefan Hochrainer-Stigler vom Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien: „Basierend auf Risikomanagement-Ansätzen sollte man diese Kosten in die nationalen Budgetplanungen geben, dann könnte man besser Maßnahmen planen.“

Flüchtende Rohingya-Frauen mit ihren Kindern von Myanmar nach Bangladesch im Oktober 2017
AP/Dar Yasin
Auch Überflutungen und Wirbelstürme vertreiben Menschen aus ihrer Heimat, wie hier die Rohingya in Myanmar

Wenn man erst einmal die sozialen und wirtschaftlichen Kosten fassen könne, könnte das als Anreiz für einen generellen Systemwechsel dienen: Weg von der bloß kurzfristigen Reaktion auf Vertreibung im Zuge von Naturkatastrophen, hin zu dauerhaften Veränderungen, also einem proaktiven Umgang mit der Gefährdung dieser Menschen. Damit könne das Vertreibungsrisiko gesenkt werden, heißt es in dem Artikel.

Fluchtbewegungen, „die wir bisher nicht gesehen haben“

„Durch die Folgen des Klimawandels zusammen mit vielen sozialen, wirtschaftlichen und anderen Entwicklungen wird es in Zukunft viele Fluchtbewegungen von Menschen geben, die wir bisher so nicht gesehen haben“, sagte Desai. Es gäbe zwar aus der Risikoforschung wissenschaftliche Methoden, Risiken und die am meisten betroffenen Gebiete zu erfassen, sie würden aber nicht auf Mobilität und Flucht angewendet. Wenn man sie dafür nutzt, könnten sie solidere Grundlagen für Entscheidungsfinder bieten.

Oft sind vor allem arme Menschen am stärksten von der Klimakrise und den wirtschaftlichen Auswirkungen betroffen. „Ein wohlhabender Landwirt mit Zugang zu Tröpfchenbewässerung und Düngemitteln, zuverlässigen Käufern, Krediten und Versicherungen“ sei weniger von Änderungen beim Niederschlag betroffen als „ein Kleinbauer, der auf die Regelmäßigkeit saisonaler Regenfälle angewiesen ist, oder ein Viehzüchter auf der Suche nach Weideland für seine Herde“, heißt es im „Science“-Artikel.

Wo es möglich ist, sollte man die „Widerstandsfähigkeit“ der Menschen gegen die vom Klimawandel hervorgerufenen und verstärkten Naturkatastrophen steigern, sagte IIASA-Forscher Reinhard Mechler. So arbeite man in Bangladesch und Nepal gemeinsam unter anderem mit Rettungsorganisationen daran, die Menschen mit Schutzbauten zu versorgen, Frühwarnteams aufzustellen und ihnen zu ermöglichen, finanzielle Rücklagen aufzubauen. Ziel sei es, dass Menschen besser mit den Folgen des Klimawandels zurechtkommen, so Mechler.

Auch unpopuläre Maßnahmen nötig

In vielen Fällen müsse man aber über eine „viel unfreundlichere Maßnahme“, nämlich geplante Umsiedelung reden, meinte der Forscher: „Wir schlagen auch vor, dass man zusätzlich über diese unangenehmen Dinge nachdenken muss.“ Solche Umsiedelungen würden natürlich viel Geld kosten und wären „riesig kompliziert“. Trotzdem müsse man Umsiedelungen von Gemeinden planen und umsetzen, wo die Lebensbedingungen sich so verschlechtert haben, dass es nicht mehr sinnvoll ist, dort auszuharren.

Auch wirtschaftlich starke Länder spüren Auswirkungen

Es sind aber nicht nur einkommensschwache Länder von den wirtschaftlichen Auswirkungen durch Vertreibung bedroht. Während der Buschbrände im Jahr 2019 und 2020 in Australien etwa wurde der Verlust bei der Wirtschaftsleistung auf etwa 510 US-Dollar pro Person geschätzt. Dieser entstehe schon dadurch, dass Menschen während der Vertreibung einen einzigen einen Tag nicht arbeiten können, heißt es weiter.

Buschfeuer in der Umgebung der australischen Stadt Nowra (New South Wales) im Dezember 2019
APA/AFP/Saeed Khan
Auch Buschbrände wie vergangenes Jahr in Australien haben enorme Auswirkungen auf Menschen und Wirtschaft

Die Forscher appellieren unter anderem, dass man vor allem mehr Klimaschutz betreiben müsse, so Mechler: „Manches kann dadurch noch verhindert werden, auch wenn in vielen Gebieten die Dinge schon am Laufen sind und Umsiedelungen stattfinden müssen.“ Werden die Treibhausgase nicht durch ernsthaft umgesetzte Maßnahmen drastisch gesenkt, wird das Risiko für Vertreibung durch Klimawandelfolgen bis zum Ende des Jahrhunderts auf mehr als das Dreifache steigen, wie die Forscher in dem Fachartikel darlegen.

UNHCR: 2020 erneut mehr Menschen auf der Flucht

Auch das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) veröffentlichte neue Zahlen zu Fluchtbewegungen: Weltweit waren ungeachtet der Pandemie im vergangenen Jahr so viele Menschen auf der Flucht wie nie zuvor, teilte die Organisation in Genf am Freitag mit. 82,4 Millionen wurden durch Konflikte, Verfolgung und Gewalt aus ihrer Heimat vertrieben. Das waren doppelt so viele wie vor zehn Jahren.

Auch verwies das UNHCR auf die Klimakrise, die mehr und mehr Menschen in die Flucht getrieben habe, weil sie in ihrer Heimat nicht mehr überleben können. Weil viele Länder in der Pandemie ihre Grenzen schlossen, fanden so wenige Flüchtlinge wie seit fast zwei Jahrzehnten nicht eine neue Heimat. Nur 34.400 Menschen konnten in 21 Ländern umgesiedelt werden – etwa ein Drittel jener des Jahres davor. Eigentlich brauchten 1,4 Millionen Menschen solche Plätze, so das UNHCR.

Deutlich mehr als die Hälfte der Menschen war im eigenen Land vertrieben. Von denen, die ins Ausland flohen, wurden 86 Prozent von Entwicklungsländern aufgenommen.