Gäste sitzen nachts im Gastgarten eines Lokals in der Salzburger Innenstadt
ORF.at/Georg Hummer
Experten zu Lockerungen

„Vertretbar“, aber Vorsicht weiter notwendig

Mit 1. Juli stehen wieder Lockerungen bevor. Unter anderem fällt die Sperrstunde, die Clubs dürfen öffnen, für Veranstaltungen gibt es kaum noch Beschränkungen. Auch die Maskenpflicht wird stark eingeschränkt. Die Öffnungen seien angesichts der guten Lage auch für Fachleute „absolut vertretbar“, so Oswald Wagner von der MedUni Wien. Gewarnt wird aber auch, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist und weiterhin Vorsicht angebracht ist. „Erstaunen“ über die Pläne gab es hingegen im Wiener Rathaus.

Der Grundtenor bei der Pressekonferenz der Regierung am Donnerstag war deutlich optimistisch. MedUni-Wien-Vizerektor Wagner betonte aber auch, dass man trotz der positiven Lage bei den Neuinfektionen „noch ein bisschen vorsichtig sein müsse“. Es sei unter anderem wichtig, die Öffnungsschritte weiter an die „3-G-Regel“ zu binden. In diesem Zusammenhang verwies er auch auf die Delta-Variante, die wesentlich ansteckender ist und sich derzeit in Großbritannien rasant ausbreitet.

Dabei hatte Wagner aber auch eine gute Nachricht: „Die Impfung wirkt auch sehr gut gegen die Delta-Variante.“ Dabei sei es wichtig, sich beide Impfdosen für den vollen Schutz verabreichen zu lassen. Wer sich in der Frage nach der Impfung unsicher sei, solle bedenken, dass man damit auch alle schütze, die sich nicht impfen lassen können. Derzeit gebe es genug Impfstoff für alle Impfwilligen – gemeinsam mit den Genesenen könne am Ende eine Herdenimmunität entstehen.

Hutter für „Balance“ und Problembewusstsein

Die Bedeutung der Impfung strich auch Umweltmediziner Hans-Peter Hutter in seiner Einschätzung zu den Lockerungen im Ö1-Mittagsjournal hervor. Die Impfwilligkeit dürfe nicht versiegen, wenn man die Lage stabil halten wolle. Es sei wichtig, dass es jetzt Erholung, Entspannung und mehr Freiraum für Jugendliche gebe. Die Pandemie müsse von der Bevölkerung aber weiter ernst genommen werden. Es brauche wieder mehr „Balance“ und das Bewusstsein, dass es „noch ein Problem“ gebe.

„Das Virus hat sich jetzt nicht verabschiedet, sondern es hat auch Varianten gebildet“, so auch Hutter. Es sei daher wichtig, dass man die Entwicklung im Auge behalte und auch im Alltag weiter Verantwortung übernehme. Wichtig sei etwa, die „3-G-Regel“ konsequent umzusetzen und auch adäquat zu kontrollieren. Auch die Nutzung von Masken habe weiterhin Sinn. Ein „downgrade“ von FFP2 auf Mund-Nasen-Schutz (MNS) in heiklen Bereichen wie Supermärkten und „Öffis“ sei dabei „vollkommen in Ordnung“ – problematisch könnte eher werden, dass bei einer Verschlechterung der Lage der Automatismus zum Maskentragen wieder „neu gelernt“ werden müsse.

Ein gewisses Risiko für eine Welle im Herbst existiere durchaus, sagte Hutter. Er gab allerdings auch zu bedenken, dass man mittlerweile viel Erfahrung gesammelt habe und wesentlich besser ausgestattet sei – etwa was die Testinfrastruktur betreffe.

Er betonte erneut die zentrale Bedeutung der Impfung und die Möglichkeit, diese für Varianten zu adaptieren. Das Bedrohungsszenario sei damit ein anderes als im vergangenen Jahr. Trotzdem könnte es wieder mehr Erkrankte und mehr Hospitalisierte geben. Dabei zähle jeder einzelne Krankheitsfall.

Weitgehende Öffnungen ab 1. Juli

Ab 1. Juli werden praktisch alle Beschränkungen vorbei sein. Was bleibt, sind die „3-G-Regel“ und die Maskenpflicht, wobei Letztere auch erleichtert wird.

Gerald Gartlehner, Epidemiologe an der Donau-Universität Krems, bezeichnete Donnerstagabend in der ZIB2 die Nachtgastronomie und Großevents als größte Risiken. Erstere etwa, weil dort vorwiegend jüngere Menschen, die oft noch nicht geimpft sind, tätig seien.

Impfrate entscheidend

Für den Herbst hält Gartlehner einen abermaligen Anstieg der Infektionszahlen durchaus für möglich – allerdings nicht in dem Ausmaß wie im letzten Jahr zu dieser Zeit, alleine wegen der Impfungen. Lockdowns werde es keine mehr brauchen, so seine Einschätzung. Wie der kommende Herbst aussieht, werde aber vor allem von der Impfrate, die im Sommer erreicht wird, abhängen.

Gartlehner: „Öffnung der Nachgastro heikel“

Die Regierung hat das Ende fast aller CoV-Maßnahmen im Juli angekündigt. In der ZIB2 ist Gerald Gartlehner, Epidemiologe (Donau-Universität Krems). Er erklärt, ob die Lockerungen aus seiner Sicht vertretbar sind.

Wien mit herber Kritik

Deutliche Kritik an der Ankündigung für die Öffnung kam am Nachmittag aus dem Wiener Rathaus, das auch fehlende Einbindung beklagte. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) zeigte sich „erstaunt“ über die von der Bundesregierung verbreitete „Gesamteuphorie“. Ihm habe die Botschaft gefehlt, dass die „Pandemie noch nicht vorbei ist“, so Hacker im „Kurier“ und im „Standard“.

Explizit kritisierte Hacker die Öffnung der Clubs mittels „3-G-Nachweis“ und sprach sich dafür aus, nur Geimpften den Zutritt zu erlauben. Mögliche Alleingänge der Stadt Wien für strengere Regeln ließ er offen. Er forderte zudem den Ausbau von PCR-Tests in den Bundesländern. Nur so könne man den Virusvarianten effektiv entgegentreten – mehr dazu in wien.ORF.at.

FPÖ und NEOS für weitreichendere Lockerungen

Nicht schnell genug kommen die Lockerungen dagegen der FPÖ. Dass die Schutzmaßnahmen im Juli fast komplett entfallen, aber von Gastronomie über Kultur und Sport bis zu größeren Veranstaltungen „getestet, genesen, geimpft" nachgewiesen werden muss, ist der Partei zu wenig. Das sei nicht die Rückkehr zur alten Normalität, so der designierte Parteichef Herbert Kickl. Die aktuellen Zahlen positiver Tests würden keinerlei Einschränkungen für die breite Bevölkerung mehr rechtfertigen. Er forderte, die „schikanöse“ „3-G-Regel“ müsse ersatzlos gestrichen „und das unselige Überwachungsregime beendet werden“.

Kritik kam hingegen von NEOS: „Wenn die Maßnahmen richtig und gesundheitlich vertretbar sind, gibt es keinen Grund zu warten“, so Gesundheitssprecher Gerald Loacker. Die Wirtschaft brauche jetzt einen Neustart, jeder weitere Tag mit nicht mehr notwendigen Einschränkungen sei „eine enorme und teure Belastung“. Erwartungsgemäß erfreut zeigten sich die Vertreter von Gastronomie, Tourismus und Handel.

Nahezu Rückkehr zur Normalität

Die ÖVP-Grünen-Regierung hatte am Donnerstag weitreichende Lockerungen bei Veranstaltungen, in der (Nacht-)Gastronomie und bei privaten Treffen ab 1. Juli verkündet. Unter anderem fällt die Sperrstunde, die Nachtgastronomie öffnet wieder. In der Gastronomie und bei Events fällt die Maskenpflicht. Es wird keine Kontakt- und Abstandregeln mehr geben. Es fallen die Quadratmeterregel und die Kapazitätsgrenzen für Großveranstaltungen.

Die FFP2-Masken-Pflicht gilt nur noch im Gesundheitsbereich und Pflegewesen, andernorts reicht MNS. In öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Handel und Museen ist ab dem 1. Juli ein MNS ausreichend. Ab dem 22. Juli braucht es den MNS nur noch in öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften für den täglichen Bedarf. Basis für die Lockerungen bleibt die „3-G-Regel“ („getestet, geimpft, genesen“). Die Nachweispflicht gilt ab 1. Juli für Kinder ab zwölf. Die Kontaktdatenverfolgung muss noch bis 22. Juli überall dort durchgeführt werden, wo die „3-G-Regel“ gilt.