Proberöhrchen mit PCR-Testproben in einem Labor
Reuters/Leonhard Foeger
Delta-Variante

Ampelkommission warnt vor Risiko im Sommer

Mit 1. Juli kommen neue Lockerungen, die Sperrstunde fällt, Clubs dürfen wieder öffnen, die Maskenpflicht wird gelockert. Experten halten diese Schritte für „absolut vertretbar“, mahnen aber gleichzeitig weiter zur Vorsicht. Die Coronavirus-Ampelkommission sorgt sich wegen der Ausbreitung der Delta-Variante und warnt vor einem „Systemrisiko“ im Sommer.

Vorweg erklärte die Kommission am Donnerstag, dass sie nach Bewertung der epidemiologischen Entwicklung der vergangenen Tage zum Schluss gekommen sei, „dass die Risikolage für ganz Österreich und für alle Bundesländer mit geringem Risiko einzustufen ist“. Es sei eine weitere Entspannungen der epidemiologischen Lage festzustellen.

Allerdings ist in der Aussendung auch von einem „ernst zu nehmenden Risiko“ die Rede. Bei anhaltender Verbreitung der Delta-Variante sei ein neuerlicher Fallanstieg bereits in den Sommermonaten mit hohem Systemrisiko möglich. Die zuletzt gesetzten Öffnungsschritte seien daher engmaschig und kritisch zu monitoren.

Die Delta-Variante, die Virusmutation B.1.617.2, dürfte sich nicht nur stärker verbreiten als frühere Mutationen, sondern auch zu schwereren Verläufen führen, insbesondere in der nicht geimpften Bevölkerung. Gegenwärtig geht die Kommission davon aus, dass bereits 6,3 Prozent der untersuchen Fälle dieser zunächst in Indien breit aufgetretenen Variante zuzuordnen sind. Auch in zahlreichen anderen Ländern stiegen die Fallzahlen derzeit.

Testen und Impfen

Empfohlen wird, PCR-Tests zu intensivieren „sowie den Impffortschritt weiter intensiv voranzutreiben“, heißt es in der Aussendung. Die Empfehlung des nationalen Impfgremiums, auch die Zwölf- bis 16-Jährigen zu immunisieren, wird ausdrücklich begrüßt. Dazu werden einmal mehr die Forcierung von zielgruppenspezifischer Kommunikation zur Steigerung der Impfbereitschaft und die Prüfung geeigneter Anreizsysteme empfohlen.

Die Coronavirus-Ampel leuchtet aktuell bundesweit gelb-grün und zeigt damit geringes Risiko an. Auch Wien wurde entsprechend eingestuft, obwohl die erforderliche Marke von maximal 25 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner knapp verfehlt wurde. Allerdings wird in der Bundeshauptstadt auch besonders viel (PCR-)getestet. Insgesamt gingen zuletzt in acht der neun Bundesländer die Infektionszahlen im 14-Tage-Trend zurück.

Gerald Gartlehner, Epidemiologe an der Donau-Universität Krems, bezeichnete Donnerstagabend in der ZIB2 die Nachtgastronomie und Großevents als größte Risiken. Erstere etwa, weil dort vorwiegend jüngere Menschen, die oft noch nicht geimpft sind, tätig seien.

Impfrate entscheidend

Für den Herbst hält Gartlehner einen abermaligen Anstieg der Infektionszahlen durchaus für möglich – allerdings nicht in dem Ausmaß wie im letzten Jahr zu dieser Zeit, alleine wegen der Impfungen. Lockdowns werde es keine mehr brauchen, so seine Einschätzung. Wie der kommende Herbst aussieht, werde aber vor allem von der Impfrate, die im Sommer erreicht wird, abhängen.

Gartlehner: „Öffnung der Nachgastro heikel“

Die Regierung hat das Ende fast aller CoV-Maßnahmen im Juli angekündigt. In der ZIB2 ist Gerald Gartlehner, Epidemiologe an der Donau-Universität Krems. Er erklärt, ob die Lockerungen aus seiner Sicht vertretbar sind.

„Noch ein bisschen vorsichtig sein“

Der Grundtenor bei einer Pressekonferenz der Regierung am Donnerstag war deutlich optimistisch gewesen. MedUni-Wien-Vizerektor Oswald Wagner betonte aber auch, dass man trotz der positiven Lage bei den Neuinfektionen „noch ein bisschen vorsichtig sein müsse“. Es sei unter anderem wichtig, die Öffnungsschritte weiter an die „3-G-Regel“ zu binden. In diesem Zusammenhang verwies auch er auf die Delta-Variante.

Dabei hatte Wagner aber auch eine gute Nachricht: „Die Impfung wirkt auch sehr gut gegen die Delta-Variante.“ Dabei sei es wichtig, sich beide Impfdosen für den vollen Schutz verabreichen zu lassen. Wer sich in der Frage nach der Impfung unsicher sei, solle bedenken, dass man damit auch alle schütze, die sich nicht impfen lassen können. Derzeit gebe es genug Impfstoff für alle Impfwilligen – gemeinsam mit den Genesenen könne am Ende eine Herdenimmunität entstehen.

Hutter für „Balance“ und Problembewusstsein

Die Bedeutung der Impfung strich auch Umweltmediziner Hans-Peter Hutter in seiner Einschätzung zu den Lockerungen im Ö1-Mittagsjournal hervor. Die Impfwilligkeit dürfe nicht versiegen, wenn man die Lage stabil halten wolle. Es sei wichtig, dass es jetzt Erholung, Entspannung und mehr Freiraum für Jugendliche gebe. Die Pandemie müsse von der Bevölkerung aber weiter ernst genommen werden. Es brauche wieder mehr „Balance“ und das Bewusstsein, dass es „noch ein Problem“ gebe.

„Das Virus hat sich jetzt nicht verabschiedet, sondern es hat auch Varianten gebildet“, so auch Hutter. Es sei daher wichtig, dass man die Entwicklung im Auge behalte und auch im Alltag weiter Verantwortung übernehme. Wichtig sei etwa, die „3-G-Regel“ konsequent umzusetzen und auch adäquat zu kontrollieren. Auch die Nutzung von Masken habe weiterhin Sinn. Ein „downgrade“ von FFP2 auf Mund-Nasen-Schutz (MNS) in heiklen Bereichen wie Supermärkten und „Öffis“ sei dabei „vollkommen in Ordnung“ – problematisch könnte eher werden, dass bei einer Verschlechterung der Lage der Automatismus zum Maskentragen wieder „neu gelernt“ werden müsse.

Ein gewisses Risiko für eine Welle im Herbst existiere durchaus, sagte Hutter. Er gab allerdings auch zu Bedenken, dass man mittlerweile viel Erfahrung gesammelt habe und wesentlich besser ausgestattet sei – etwa was die Testinfrastruktur betreffe.

Er betonte erneut die zentrale Bedeutung der Impfung und die Möglichkeit, diese für Varianten zu adaptieren. Das Bedrohungsszenario sei damit ein anderes als im vergangenen Jahr. Trotzdem könnte es wieder mehr Erkrankte und mehr Hospitalisierte geben. Dabei zähle jeder einzelne Krankheitsfall.

Weitgehende Öffnungen ab 1. Juli

Ab 1. Juli werden praktisch alle Beschränkungen vorbei sein. Was bleibt, sind die „3-G-Regel“ und die Maskenpflicht, wobei Letztere auch erleichtert wird.

Scharfe Kritik aus Wien

Deutliche Kritik an der Ankündigung für die Öffnung kam am Donnerstag aus dem Wiener Rathaus, das auch fehlende Einbindung beklagte. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) zeigte sich „erstaunt“ über die von der Bundesregierung verbreitete „Gesamteuphorie“. Ihm habe die Botschaft gefehlt, dass die „Pandemie noch nicht vorbei ist“, so Hacker im „Kurier“ und im „Standard“.

Explizit kritisierte Hacker die Öffnung der Clubs mittels „3-G-Nachweis“ und sprach sich dafür aus, nur Geimpften den Zutritt zu erlauben. Mögliche Alleingänge der Stadt Wien für strengere Regeln ließ er offen. Er forderte zudem den Ausbau von PCR-Tests in den Bundesländern. Nur so könne man den Virusvarianten effektiv entgegentreten – mehr dazu in wien.ORF.at.

FPÖ und NEOS für weitreichendere Lockerungen

Nicht schnell genug kommen die Lockerungen dagegen der FPÖ. Dass die Schutzmaßnahmen im Juli fast komplett entfallen, aber von Gastronomie über Kultur und Sport bis zu größeren Veranstaltungen „getestet, genesen, geimpft" nachgewiesen werden muss, ist der Partei zu wenig. Das sei nicht die Rückkehr zur alten Normalität, so der designierte Parteichef Herbert Kickl. Die aktuellen Zahlen positiver Tests würden keinerlei Einschränkungen für die breite Bevölkerung mehr rechtfertigen. Er forderte, die „schikanöse“ „3-G-Regel“ müsse ersatzlos gestrichen „und das unselige Überwachungsregime beendet werden“.

Kritik kam hingegen von NEOS: „Wenn die Maßnahmen richtig und gesundheitlich vertretbar sind, gibt es keinen Grund zu warten“, so Gesundheitssprecher Gerald Loacker. Die Wirtschaft brauche jetzt einen Neustart, jeder weitere Tag mit nicht mehr notwendigen Einschränkungen sei „eine enorme und teure Belastung“. Erwartungsgemäß erfreut zeigten sich die Vertreter von Gastronomie, Tourismus und Handel.

Nahezu Rückkehr zur Normalität

Die ÖVP-Grünen-Regierung hatte am Donnerstag weitreichende Lockerungen bei Veranstaltungen, in der (Nacht-)Gastronomie und bei privaten Treffen ab 1. Juli verkündet. Unter anderem fällt die Sperrstunde, die Nachtgastronomie öffnet wieder. In der Gastronomie und bei Events fällt die Maskenpflicht. Es wird keine Kontakt- und Abstandregeln mehr geben. Es fallen die Quadratmeterregel und die Kapazitätsgrenzen für Großveranstaltungen.

Die FFP2-Masken-Pflicht gilt nur noch im Gesundheitsbereich und Pflegewesen, andernorts reicht MNS. In öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Handel und Museen ist ab dem 1. Juli ein MNS ausreichend. Ab dem 22. Juli braucht es den MNS nur noch in öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften für den täglichen Bedarf. Basis für die Lockerungen bleibt die „3-G-Regel“ („getestet, geimpft, genesen“). Die Nachweispflicht gilt ab 1. Juli für Kinder ab zwölf. Die Kontaktdatenverfolgung muss noch bis 22. Juli überall dort durchgeführt werden, wo die „3-G-Regel“ gilt.