Demonstranten in Vilnius fordern Sanktionen gegen Belarus
AP/Mindaugas Kulbis
Belarus

Österreich stimmt EU-Sanktionen zu

Die EU hat sich am frühen Freitagabend nach Auskunft des heimischen Außenministeriums und aus Diplomatenkreisen auf Wirtschaftssanktionen gegen Belarus nach der erzwungenen Landung eines Flugzeugs geeinigt. Selbstverständlich schien das zuvor aber nicht. Medienberichten zufolge sei Österreich zuvor „auf der Bremse“ gestanden. Österreich ist nach Russland der größte Investor in Belarus.

Unter anderem sollen laut Außenministerium keine neuen Kredite genehmigt werden und EU-Investoren etwa nicht mehr mit gewissen Staatsanleihen handeln dürfen, hieß es am Freitag. Zudem darf kein Kali aus Belarus mehr importiert werden, ein wichtiges Exportprodukt für das Land.

Die Einigung auf Expertenebene benötigt die Zustimmung der EU-Mitgliedsstaaten, die sich am Donnerstag treffen. „Mit dieser Einigung setzt die EU ein ganz klares, aber auch zielgerichtetes Zeichen gegen die unerträglichen Repressionen des belarussischen Regimes“, hieß es in einer Erklärung des Ministeriums.

Österreich als Zünglein an der Waage?

Wegen der Berichte am Donnerstag und Freitagnachmittag, Österreich stelle sich quer, schien der Druck pro Wirtschaftssanktionen gegen den autoritären Staat größer zu werden. Zuerst hatte das Nachrichtenportal Politico mit Verweis auf anonyme diplomatische Quellen in seinem morgendlichen EU-Newsletter am Donnerstag darüber geschrieben, dass Vertreter Österreichs in einer relevanten Arbeitsgruppensitzung zu verschärften Finanzsanktionen gegen Belarus gebremst habe.

Belarussicher Oppositioneller Roman Protasevich
APA/AFP
Eine Ryanair-Maschine mit dem Oppositionellen Roman Protassewitsch an Bord wurde von Minsk abgefangen

Dazu äußerte sich auch der im Warschauer Exil lebende Ex-Kulturminister Pawel Latuschko am Freitag gegenüber der APA: „Jetzt sieht es so aus, dass Österreich Geschäftsinteressen über Menschenrechte stellt.“ Auch ihm sei in Brüssel bestätigt worden, dass Wien einen Teil der Finanzsanktionen blockiere, sagte Latuschko. Das Außenministerium wies die Berichte als „absurd“ zurück.

Schallenberg: Treffen mit Tichanowskaja

Wichtig sei, dass „die belarussische Bevölkerung nicht zur Zielscheibe von Wirtschaftssanktionen wird“, betonte das Außenministerium in Wien. Es wies Vorwürfe, es würde Geschäftsinteressen über Menschenrechte stellen, als „absurd“ zurück. „Ich bin froh, dass wir eine Einigung über die #Belarus-Sanktionen gefunden haben, die robust und zielgerichtet sind“, twitterte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Freitagabend. Er habe mit der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja telefoniert und freue sich auf ein Treffen mit ihr beim EU-Außenministerrat am Montag in Luxemburg, so Schallenberg.

„Minister Schallenberg hat mir versichert, dass Österreich die gemeinsame Politik der EU in Bezug auf Belarus unterstützt“, hieß es in einer auf Telegram verbreiteten Erklärung Tichanowskajas. Man habe die geplanten Sanktionen sowie eine hochrangig besetzte Konferenz zur Lösung der Krise in Belarus besprochen. Während ihres Arbeitsbesuchs in Luxemburg werde man die Kommunikation am Montag fortsetzen, erklärte die Ex-Präsidentschaftskandidatin, die im vergangenen Jahr ins Exil nach Litauen geflohen war. „Ich bin dankbar für eine solche Einheit Europas bei der Unterstützung aller Belarussen“, sagte sie.

Raiffeisen, Telekom und Co. in Belarus

Firmen wie Raiffeisen bzw. ihre Tochter Priorbank, A1 Belarus, die Vienna Insurance Group, der auf Straßenzoll spezialisierte Kapsch-Konzern sowie der Holzverarbeiter Kronospan sind in Belarus tätig. Sie beschäftigen zusammen Tausende Menschen. Das seien Bereiche, wo ohne Interaktion mit den Regimebehörden das Geschäft nicht entwickelt werden könne, erläuterte der Oppositionspolitiker Latuschko. Gleichzeitig erklärte er, man sei daran interessiert, dass österreichische Firmen in Belarus präsent seien. Laut Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) sind in Weißrussland rund 80 heimische Unternehmen mit Kapitalbeteiligungen engagiert.

Logo der Raiffeisen-Tochter Priorbank auf einem Gebäude in Minsk
Reuters/Vasily Fedosenko
Die Priorbank in Belarus gehört zu einem Großteil der Raiffeisen-Gruppe

Raiffeisen unter Sanktionen zu stellen, sieht das Außenministerium skeptisch. Bürgerinnen und Bürger sowie kleine Firmen hätten dort ihre Konten und würden darunter leiden, so der Konzern laut Ö1 am Donnerstag. Österreich unterstütze viel mehr, den Handel mit Wertpapieren zwischen der EU und Belarus zu verbieten. Das treffe wirklich die Mächtigen. Doch Diplomatinnen und Diplomaten in Brüssel meinen, Österreich wolle entgegen allen Beteuerungen nur die heimische Bank schützen. „Es war von Anfang an unser erklärtes Ziel, das verhindert werden muss, dass Privateinlagen von diesen Sanktionen betroffen sind“, hieß es dazu aus dem Außenministerium am Freitagabend.

Zuletzt fiel der kritische Blick auch auf A1 Belarus, als der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko aufgrund der Proteste gegen ihn nach den von der EU nicht anerkannten Wahlen das Internet blockieren ließ. A1 Belarus hält einen Marktanteil von 42 Prozent. Von der teilstaatlichen Telekom hieß es damals, die belarussische Politik zu kommentieren, liege nicht im Einflussbereich des Konzerns.

Leichtfried: „Schlag ins Gesicht“

Kritik kam am Freitag auch von SPÖ-Vizeklubchef und Europasprecher Jörg Leichtfried. „Noch vor einer Woche, beim Besuch der litauischen Regierungschefin, hat (Bundeskanzler Sebastian) Kurz betont, dass Österreich gezielte Sanktionen gegen Weißrussland unterstützt“, erklärte Leichtfried vor der Verkündung des Außenministeriums in einer Aussendung.

„Nicht einmal eine Woche später erfahren wir aus den Medien, dass just Österreich innerhalb der EU bei Sanktionen gegen den Bankensektor auf der Bremse steht. Das ist ein Schlag ins Gesicht der massiv unterdrückten Opposition, die sich wirksame Maßnahmen seitens der EU erhofft hat", so Leichtfried. SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder hatte sich schon am Donnerstag zu Wort gemeldet. „An harten Wirtschaftssanktionen gegen das Regime von Lukaschenko führt kein Weg vorbei“, so Schieder.

NEOS: Menschenrechte über Marktmacht stellen

NEOS kritisierte zuvor die Zweideutigkeit, mit der Österreich auftrete: „Österreich verlangt seit Langem klare Konsequenzen für Weißrussland. Doch offenbar fordern Kurz und (Außenminister Alexander) Schallenberg nur Sanktionen, wenn es nicht die eigenen Leute trifft“, so NEOS-Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter. Er warf der ÖVP aufgrund der starken Präsenz der Raiffeisen Bank auf dem belarussischen Markt vor, „Klientelpolitik über Menschenrechte“ zu stellen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz und belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja
APA/Herbert Neubauer
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) traf die belarussische Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja im April

„Es darf keine Ausnahmen für den Bankensektor geben, nur weil die ÖVP ein persönliches Interesse daran hat“, sagte Brandstätter. Banken seien maßgeblich an der Finanzierung des Regimes beteiligt. Gerade hier müssten Sanktionen ohne Wenn und Aber durchgezogen werden. „Mit dieser Haltung stellen wir uns gegen die EU und auf die Seite eines Diktators, der die Rechte der Bürgerinnen und Bürger mit Füßen tritt.“

Sanktionen „Chancen, Repressionswelle aufzuhalten“

Der Exiloppositionelle Latuschko hatte die Relevanz weiterer Sanktionen gegenüber der APA unterstrichen: „Für uns sind sie eine der letzten Chancen, die Repressionswelle aufzuhalten und die Freilassung von politischen Gefangenen zu bewirken“, sagte er. Sanktionen mit Bezug auf den Finanzsektor spielten dabei eine zentrale Rolle.

Belarus hatte Ende Mai eine Ryanair-Maschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius unter dem Vorwand einer Bombendrohung mit einem Kampfjet zur Zwischenlandung in Minsk gezwungen. Dort wurden der im Exil lebende Oppositionelle Roman Protassewitsch und seine aus Russland stammende Freundin Sofia Sapega festgenommen. Das Vorgehen der Regierung von Präsident Alexander Lukaschenko wurde international verurteilt. Die EU-Staaten haben deshalb bereits ein Flugverbot für Maschinen aus Belarus verhängt.