Wahlurne bei Präsidentschaftswahl im Iran
Reuters/Wana News Agency
Hardliner gewinnt

Iraner blieben Wahl fern

Die Präsidentschaftswahl im Iran hat wie erwartet der Hardliner Ebrahim Raisi gewonnen. Allerdings ist die Wahlbeteiligung angesichts des fast ausschließlich erzkonservativen Kandidatenfelds dramatisch gesunken – eine schallende Ohrfeige für die Führung rund um Ajtollah Chamenei. International bedeutet es, dass unklar ist, wie es nun mit den Bemühungen, das Atomabkommen wiederzubeleben, weitergeht.

Raisi ist ein erzkonservativer Kleriker ohne politische Erfahrung, der Anfang August den liberalen Hassan Rouhani ablöst. Der Spitzenkandidat der Hardliner und Wunschpräsident des Establishments erhielt laut Innenministerium über 60 Prozent der Stimmen und ließ die Konkurrenz klar hinter sich. Demnach stimmten 17,9 Millionen von insgesamt 28,9 Millionen Wählern für Raisi.

Allerdings liegt die Wahlbeteiligung selbst nach offiziellen Angaben bei lediglich 48,8. Bei der letzten Wahl vor vier Jahren waren es noch mehr als 73 Prozent gewesen. Die Exilopposition setzt die Wahlbeteiligung noch viel niedriger an. Demnach gingen nur zehn Prozent der Wahlberechtigten zu den Urnen.

Zeichen des Protests

Zudem wurden nach Angaben des Nachrichtenportals Chabar-Online fast vier Millionen leere Wahlscheine aus Protest abgegeben. Die geringe Wahlbeteiligung unter den mehr als 59 Millionen Stimmberechtigten wird von Beobachtern als Wahlboykott und Warnsignal an das gesamte Establishment ausgelegt.

Ebrahim Raisi und Hassan Rouhani
Reuters/Iranische Präsidentschaft
Der Wahlsieger Raisi (rechts) wurde bereits von Noch-Präsident Rouhani empfangen

Gegen Rouhani gescheitert

Der 60 Jahre alte Justizchef Raisi war vor vier Jahren noch an Rouhani gescheitert, dieses Mal stellte sich sein Weg ins Präsidialamt wesentlich leichter dar. Dafür sorgte auch der Wächterrat, der als Wahlgremium ernsthafte Konkurrenten vor dem Urnengang aussortierte. Das führte auch in den eigenen Reihen zu heftigen Protesten – und zu großem Desinteresse der Menschen an einer Wahl, die weithin als inszeniert und undemokratisch wahrgenommen wurde.

„Ich versuche, alle Knoten zu lösen“

Mit Raisi erfolgt im Iran demnächst ein politischer Machtwechsel. „Ich versuche, alle Knoten zu lösen“, sagte er nach seinem Wahlsieg. Wie genau er das machen will, wird er am Montag in seiner ersten Pressekonferenz erläutern. Ursprünglich war dieser Auftritt bereits für Sonntag vorgesehen. Als langjähriger Staatsanwalt, Richter und seit 2019 Justizchef hat Raisi politisch wenig Erfahrung. Nun steht er bereits am Anfang seiner Amtszeit vor diversen Herausforderungen: Nach Überzeugung von Medien und Beobachtern wird der erzkonservative Kleriker als Präsident den moderaten Kurs Rouhanis nicht fortsetzen.

Iranischer Präsidentschaftskandidat Ebrahim Raisi
Reuters/Wana News Agency
Der Sieg Raisis ist keine Überraschung

Im Wahlkampf hatte Raisi ein schnelles Ende der lähmenden Wirtschaftskrise versprochen. Dafür müsste er aber umgehend über die Zukunft des Wiener Atomabkommens von 2015 entscheiden. Nach dem Rückzug der USA aus dem internationalen Abkommen 2018 hat Teheran schrittweise die vereinbarte Beschränkung und Kontrolle der Atomanlagen aufgehoben. Nicht zuletzt die US-Sanktionen führten zu einer schweren Wirtschaftskrise im Iran. Für einen Fortbestand des Abkommens – und Ende der Krise – wären Verhandlungen mit der USA aber erforderlich.

Unklar ist bisher, wie Raisi als Kandidat der Hardliner Verhandlungen mit dem „Großen Satan“ rechtfertigen würde. Eine wichtige Rolle dabei werden sein zukünftiger Außenminister und Atomchefunterhändler spielen, da die beiden die Verhandlungen mit den USA führen müssten. Außerdem steht Raisi wegen Menschenrechtsverletzungen sowohl auf der Sanktionsliste der EU als auch der USA. Ob unter diesen Umständen die Europäer und Amerikaner zu Verhandlungen mit ihm überhaupt bereit wären, bleibt abzuwarten.

USA kritisieren Wahl

Die USA kritisierten den Ablauf der Präsidentschaftswahl. Ein Sprecher des Außenministeriums erklärte, den Menschen im Iran sei „ein freier und fairer Wahlprozess verwehrt worden“. Er kündigte aber zugleich an, die USA würden die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm an der Seite ihrer Verbündeten und Partner fortsetzen.

Israel warnt, EU fordert Gespräche

Israels Außenministerium verurteilte am Samstag die Wahl Raisis scharf. Raisi sei der bisher extremistischste Präsident und er habe sich verpflichtet, das Nuklearprogramm Teherans schnell voranzutreiben. Israel warnte vor einem Ausbau des Atomprogramms.

Anders die EU: Sie forderte die Fortsetzung der Gespräche über das ie über das internationale Atomabkommen (JCPOA). „Die EU ist bereit, mit der neuen Regierung Irans zusammenzuarbeiten“, erklärte eine Sprecherin des Außenbeauftragten Josep Borrell in Brüssel. „Bis dahin ist es wichtig, dass intensive diplomatische Bemühungen fortgesetzt werden, um das JCPOA wieder aufs richtige Gleis zu bringen.“

Korrespondenten-Bericht aus Teheran

ORF-Korrespondent Jörg Winter berichtet aus Irans Haupstadt Teheran über die Präsidentschaftswahl und den Wahlsieger, den Hardliner Ebrahim Raisi.

Putin gratuliert

Der russische Präsident Wladimir Putin gratulierte Raisi zur Wahl. Er habe seine Hoffnung ausgedrückt, dass die konstruktive bilaterale Zusammenarbeit weiter entwickelt werde, berichtete die Nachrichtenagentur RIA. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Syriens Präsident Baschar al-Assad beglückwünschten Raisi.

In der Nahost-Politik erwarten Beobachter unter Raisi einen radikaleren Kurs, im Verhältnis zu Israel einen gar noch feindseligeren als bisher. Auch die Unterstützung für antiisraelische Milizen sowie Assad wird er demnach voraussichtlich noch konsequenter fortsetzen.

Plakat wirbt für Stimmabgabe bei Präsidentschaftswahl im Iran
APA/AFP/Atta Kenare
Viele Iraner befürchten eine Verschärfung der Repressionen

Amnesty fordert Ermittlungen

Der Präsident im Iran führt die Regierung, seine Wahl beeinflusst das Image des Staates. Mit Raisi wird ein Mann Präsident, den die USA 2019 mit Sanktionen belegt und das mit Verletzungen der Menschenrechte begründet haben. Als einer von vier Scharia-Richtern überwachte Raisi 1988 die Hinrichtung Tausender politischer Gefangener.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) sprach 2018 von mindestens 5.000 Exekutierten und verlangte erneut Ermittlungen gegen Raisi. „Wir fordern weiterhin, dass gegen Ebrahim Raisi wegen seiner Beteiligung an vergangenen und laufenden Verbrechen nach dem Völkerrecht ermittelt wird, auch von Staaten, die universelle Gerichtsbarkeit ausüben.“

Viele reformorientierte Iranerinnen und Iraner befürchten, dass es mit Raisi weitere Repression gibt. „Ich habe Angst. Ich möchte nicht noch einmal ins Gefängnis. Ich bin sicher, dass jegliche Art von Dissens nicht toleriert wird“, sagte Hamidresa, der seinen vollen Namen nicht nennen wollte. Er wurde inhaftiert, weil er 2019 an Protesten gegen Kraftstoffpreiserhöhungen teilgenommen hatte, die sich rasch ausweiteten, bevor sie unterdrückt wurden.