Proteste gegen den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro in Rio de Janeiro
Reuters/Pilar Olivares
500.000 Tote

Proteste gegen Bolsonaros CoV-Politik

In Brasilien herrscht scheinbare Normalität: Geschäfte, Restaurants und Bars haben geöffnet. Doch die Coronavirus-Lage in dem 212-Millionen-Einwohner-Land ist dramatisch. Erst am Samstag überschritt Brasilien als zweites Land nach den USA nun die Schwelle von 500.000 Toten. Zehntausende Menschen gingen auf die Straße, um gegen die CoV-Politik der Regierung zu demonstrieren. Präsident Jair Bolsonaro scheint indessen mehr Interesse an Impfungen zu haben.

In mehr als 20 Städten, darunter Rio de Janeiro, Brasilia, Recife und Sao Paulo fanden Demonstrationen statt. Viele Menschen erinnerten mit Schildern mit der Aufschrift „500.000“ an die Opferbilanz der Pandemie in Brasilien.

Auch Slogans wie „Weg mit Bolsonaro“, „Impfung jetzt“ und „Regierung des Hungers und der Arbeitslosigkeit“ waren zu lesen. Präsident Bolsonaro habe sich „schon von der Realität verabschiedet“, meinte ein Demonstrant. Dessen Weigerung, die Gefahren durch das Coronavirus anzuerkennen, sei absurd.

Proteste gegen den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro in Rio de Janeiro
Reuters/Pilar Olivares
Zehntausende Menschen in mehr als 20 Städten gingen gegen die CoV-Politik der Regierung auf die Straße

Vorgehen für Lula „Genozid“

Zu den Protesten hatte ein breites Bündnis aus sozialen Organisationen, Gewerkschaften, Parteien und Politikern aufgerufen. Zu ihnen zählte auch der linksgerichtete Ex-Präsident Luiz Inacio Lula da Silva, potenzieller Herausforderer Bolsonaros bei der Präsidentschaftswahl kommendes Jahr.

Im Onlinedienst Twitter kritisierte Lula: „500.000 Tote durch eine Krankheit, gegen die es eine Impfung gibt, in einem Land, das eine weltweite Referenz in Sachen Impfungen war. Das hat einen Namen: Genozid.“ Der Umgang der Regierung Bolsonaros mit der Pandemie wird bereits von einem Parlamentsausschuss untersucht.

„Dritte Welle rollt“

„Die dritte Welle rollt gerade auf uns zu, aber die Impfungen, die den Unterschied machen könnten, kommen noch zu langsam voran“, kritisierte die Epidemiologin Ethel Maciel. Die Zahlen verdeutlichen den Ernst der Lage. Das brasilianische Gesundheitsministerium meldete am Samstag 82.288 Coronavirus-Neuinfektionen binnen eines Tages.

Damit stieg die Gesamtzahl der Ansteckungen auf 17.883.750. Die Zahl der CoV-Toten gab das Ministerium mit 500.800 an – weit mehr als die Hälfte von ihnen starb in diesem Jahr. Am Samstag starben 2.301 Infizierte. Die Intensivstationen sind in 19 der 27 Bundesstaaten zu mehr als 80 Prozent belegt, in acht davon sogar zu 90 Prozent.

Virus verharmlost

Die Behörden seien aber offenbar nicht gewillt, neue CoV-Restriktionen zu verfügen, so Maciel. Bolsonaro wird seit Monaten vorgeworfen, durch eine Verharmlosung der Pandemie zur schnellen Ausbreitung des Virus beigetragen zu haben. Er hatte die von dem Coronavirus ausgelöste Krankheit Covid-19 als „kleine Grippe“ bezeichnet und Maßnahmen von Bundesstaaten und Kommunen zur Eindämmung der Pandemie auch wegen ihrer Auswirkungen auf die Wirtschaft kritisiert.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro bei einer Motorradparade in Sao Paulo
Reuters/Amanda Perobelli
Für den Verstoß gegen die Maskenpflicht musste Bolsonaro 90 Euro Strafe zahlen

Zudem zog Bolsonaro die Wirksamkeit der Coronavirus-Impfstoffe in Zweifel und verstieß immer wieder gegen die Maskenpflicht. So nahm er kürzlich ohne Mund-Nasen-Schutz an einem Motorrad-Korso teil und musste dafür umgerechnet 90 Euro Strafe zahlen – genauso wie sein Sohn Eduardo und sein Infrastrukturminister Tarcisio Gomes.

Bolsonaro will Impfprogramm beschleunigen

Entsprechend schleppend verläuft auch die Impfkampagne. In Brasilien haben erst 29 Prozent mindestens eine Impfdosis bekommen, 11,36 Prozent sind vollständig gegen Covid-19 geimpft. Bei dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zeigte sich auch, dass Bolsonaro Mitte 2020 mehrere Angebote von Pfizer und Biontech über Millionen von Impfdosen offenbar ignorierte. Die Regierung versucht erst seit März ernsthaft, Impfstoffe zu beschaffen. Nun soll es aber schnell gehen.

Vergangene Woche fragte Bolsonaro bei Pfizer an, ob die für das vierte Quartal bestimmte Impfstofflieferung auf Juni vorgezogen werden könne, sagte ein mit der Angelegenheit vertrauter Regierungsbeamter. Das Präsidentenbüro bestätigte in sozialen Medien eine Telefonkonferenz zwischen Bolsonaro, Regierungsmitgliedern und lokalen Pfizer-Vertretern. Pfizer lehnte einen Kommentar ab.