Von den Taliban kontrollierte Gegend in Afghanistan
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Afghanistan

Taliban setzen Eroberungszug fort

Die militant-islamistischen Taliban setzen ihren Eroberungszug in Afghanistan fort. Im Norden des Landes wurden in den vergangenen 24 Stunden mindestens acht weitere Bezirke von den Taliban eingenommen. Örtliche Politiker rufen mittlerweile auch Zivilisten auf, sich zu bewaffnen. Und die US-Regierung erwägt einen langsameren Abzug ihrer Truppen aus dem Land.

Am Montag sagten Behördenvertreter, dass die acht Bezirke in den Provinzen Takhar, Baghlan und Balkh gefallen seien. Lokale Medien berichteten zudem über Taliban-Kämpfer am Rande der Stadt Masar-i-Sharif. Neben ehemalige Mujahedin-Kommandanten sollen sich auch Zivilisten und Zivilistinnen bewaffnen und mit den Sicherheitskräften gegen die Islamisten kämpfen.

Insgesamt haben die Taliban seit Beginn des Abzugs der ausländischen NATO-Truppen am 1. Mai nun 50 Bezirke neu erobert. Afghanistan ist in 34 Provinzen und rund 400 Bezirke unterteilt. Die internationalen Truppen sind insgesamt mit ihrem Abzug bereits weit fortgeschritten. Nach Pentagon-Angaben ist der US-Abzug derzeit etwa zur Hälfte abgeschlossen.

USA erwägen verzögerten Abzug

Ein langsamerer US-Abzug steht nun im Raum. Das Verteidigungsministerium habe die Lage an Ort und Stelle ständig im Blick und sei bereit, flexibel darauf zu reagieren, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby am Montag in Washington. Das von Präsident Joe Biden gesetzte Ziel, den Truppenabzug bis 11. September abzuschließen, bleibe jedoch in Kraft. Auch die übrigen NATO-Truppen sollen bis zu diesem Datum aus Afghanistan abgezogen sein. Österreich hat seine Soldaten bereits aus Afghanistan abgezogen.

Gebiete kampflos überlassen

Von Sonntag auf Montag fielen alleine in der Provinz Tachar laut Provinzräten mindestens vier Bezirke an die Taliban. In der Provinz Balch wurden mindestens zwei Bezirke von den Islamisten überrannt, drei weitere standen kurz vor dem Fall. Ein Sprecher des afghanischen Verteidigungsministers schrieb am Montag auf Twitter, die Taliban seien vom Tor zu Masar-i-Sharif geflüchtet, und bestätigte so indirekt, dass es Taliban-Kämpfer bis dorthin geschafft hatten.

Soldat der Afghanische Nationalarmee neben einem von den Taliban zerstörten Helikopter
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Afghanische Soldaten sind nach dem Abzug internationaler Truppen auf sich alleine gestellt

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben mit geringer Moral ihrer Soldaten und Polizisten zu kämpfen. Mehrere Bezirke wurden kampflos verlassen. In der Hauptstadt Kabul tauschte der afghanische Präsident Aschraf Ghani am Samstag Innen- und Verteidigungsminister aus und besetzte weitere Schlüsselpositionen im Sicherheitsbereich neu.

Im Nachbarland Tadschikistan wächst indes die Sorge angesichts der Sicherheitslage. Der Chef der tadschikischen Provinz Berg-Badachshan rechnet mit einem Anstieg der Zahl afghanischer Flüchtlinge, die in der Ex-Sowjetrepublik in Zentralasien Schutz suchen. Der Gouverneur sagte bei einem Besuch an der Grenze lokalen Medien zufolge, dass freie Gebiete für mögliche Flüchtlingslager gesucht werden müssten. Russland hatte Tadschikistan bereits Hilfe bei der Stärkung der Grenze zugesagt.

Biden trifft Ghani und sprach mit Erdogan

Vor dem Hintergrund des laufenden Truppenabzugs aus Afghanistan empfängt US-Präsident Joe Biden am Freitag Ghani und den Vorsitzenden des Hohen Rats für Nationale Aussöhnung in Afghanistan, Abdullah Abdullah, in Washington. Biden hatte Mitte April angekündigt, dass die US-Truppen spätestens bis zum 11. September abziehen.

Anti-Taliban-Miliz
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Die Gefechte im Norden des Landes werden immer stärker

Damit endet auch der NATO-Einsatz in Afghanistan. Fachleute befürchten einen Vormarsch der Taliban. Psaki bekräftigte nun, die USA hätten sich verpflichtet, das afghanische Volk auch nach dem Abzug diplomatisch, wirtschaftlich und humanitär zu unterstützen.

Die USA unterstützten außerdem die Friedensverhandlungen der afghanischen Regierung mit den Taliban. Doch diese treten weiter auf der Stelle. Die Taliban bekundeten Interesse an weiteren Gesprächen. Allerdings sei die Einführung eines „echten islamischen Systems“ der einzige Weg, um den Krieg im Land zu beenden, sagte der stellvertretende Taliban-Chef Abdul Ghani Baradar.

Schon vor einigen Tagen hatten Biden und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan über Afghanistan gesprochen. Der US-Präsident äußerte sich zwar nicht zu Details über das Treffen. Sein nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan teilte jedoch mit, dass die beiden Staatschefs ein „detailliertes Gespräch“ über die Rolle der Türkei bei der Sicherung des Flughafens von Kabul in Afghanistan nach dem Abzug der US-Truppen geführt hätten.