Das Wembley-Stadion in London
Reuters/Carl Recine
Delta-Variante

Widerstand gegen EM-Finale in London wächst

In Großbritannien breitet sich trotz zahlreicher Impfungen die Delta-Variante stark aus. Angesichts der hohen Ansteckungsgefahr sprechen sich nun Politiker und Politikerinnen sowie Fachleute dafür aus, das Finale der Europameisterschaft an einen anderen Standort zu verlegen – die UEFA stellt sich quer.

Als einer der ersten Mahner ging am Montag der italienische Premier Mario Draghi mit der Forderung nach einem Standortwechsel an die Öffentlichkeit. „Ich werde mich dafür einsetzen, dass das Endspiel nicht in einem Land stattfindet, in dem die Ansteckungsgefahr sehr groß ist“, sagte er angesichts der vollen Stadien. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel schloss sich der Meinung am Dienstag an: „Ich hielte es nicht für gut, wenn voll besetzte Stadien dort sind“, sagte Merkel. Sie hoffe, dass der Europäische Fußballverband verantwortungsvoll mit der Lage umgehe.

Auch der deutsche CDU-Europapolitiker Peter Liese stellte London als Austragungsort am Dienstag infrage. „Die Ausbreitung der Delta-Variante macht es unmöglich, dass in London 40.000 Zuschauer beim Endspiel ins Stadion kommen. Hier muss dringend ein strengeres Hygienekonzept her. Vielleicht ist eine Verlegung sogar unausweichlich“, so der gesundheitspolitische Sprecher der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament in einem offenen Brief an die UEFA.

14-Tage-Inzidenz bei 131,3

Das Europäische Seuchenzentrum (ECDC) verzeichnet aktuell für das Vereinigte Königreich eine 14-Tage-Inzidenz von 131,3. Zum Vergleich: Für Österreich liegt der Wert bei 45,5 – mehr dazu in ORF.at/corona.

UEFA bleibt bei London

Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, schlug noch eine weitere Alternative vor: Die EM-Begegnungen in der englischen Hauptstadt sollten ohne Publikum stattfinden. „Wer nach Großbritannien fährt, läuft Gefahr, sich mit der Delta-Variante zu infizieren“, so Montgomery. „Ich halte es sogar für Geimpfte für verantwortungslos, in dieser Lage nach London zu reisen.“

Österreich im EM-Achtelfinale

Erstmals hat Österreichs Nationalelf den Sprung in ein EM-Achtelfinale geschafft. Am Montag feierte das ÖFB-Team einen 1:0-Sieg gegen die Ukraine. Gegner im Achtelfinale am Samstag ist der EM-Mitfavorit Italien.

Die UEFA sieht hingegen keine Veranlassung, Großbritannien als Austragungsort zu streichen. Man arbeite eng mit den englischen Behörden zusammen, so der Verband am Dienstag. Es gebe keine Pläne, die Spiele zu verlegen – im Gegenteil: Am Dienstag wurde die Zuschauerzahl im Stadion noch höher als bisher angesetzt: Bei den Halbfinal-Spielen und dem Endspiel in London dürfen nun mehr als 60.000 Fans teilnehmen, so die Entscheidung der UEFA und der britischen Regierung. Bisher war die Zahl der Zuschauer auf 40.000 begrenzt.

Alternativen auf dem Tapet

Ungeachtet dessen geistern verschiedene Alternativen herum. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bot an, das Finale nach München zu verlegen, Draghi brachte Rom ins Spiel. Auch Ungarn macht sich mit Budapest Hoffnungen auf das Finale. Die UEFA soll laut englischen Medienberichten die Puskas-Arena als Notfallplan in Betracht ziehen.

Das Finale der um ein Jahr verschobenen EM 2020 ist für den 11. Juli im Wembley-Stadion angesetzt. Die Veranstaltungsorte wurden wegen der Pandemie bereits im Vorfeld von zwölf auf jene elf Städte reduziert, die den Einlass von Publikum Zuschauern in die Stadien garantieren konnten. Zuvor sind auch noch mehrere Matches in Wembley geplant: zwei Achtelfinale am 26. und 29. Juni – Ersteres ist das Spiel Österreich gegen Italien – und am 6. und 7. Juli die Halbfinal-Spiele.

Dominante Variante

In Großbritannien breitet sich die Delta-Variante des Coronavirus aus. Die Mutante, die zuerst in Indien entdeckt wurde, gilt als weit ansteckender als die Stammform und für schwere Krankheitsverläufe verantwortlich. Der britische Premier Boris Johnson musste den bereits angekündigten Wegfall der Kontaktbeschränkungen in England wegen der Variante um vier Wochen verschieben.

Zuseher auf dem Weg ins Wembley-Stadion
AP/David Klein
Im Wembley-Stadion soll das EM-Finale stattfinden. Zuvor spielt am Samstag dort Österreich gegen Italien

Der britische Impffortschritt ist derweil groß: Über 80 Prozent aller Erwachsenen erhielten schon eine erste Dosis, rund 60 Prozent wurden bereits zweimal geimpft. Dennoch ist die Delta-Variante in Großbritannien inzwischen die dominierende Variante. Am Montag wurden über 10.000 neue Infektionsfälle in Großbritannien vermeldet.

Hohe Hürden für österreichische Fans

Sämtliche verbleibenden EM-Teilnehmerländer befinden sich nach Einstufung der britischen Regierung derzeit auf der „Amber List“, das heißt, dass sich Einreisende aus diesen Ländern nach ihrer Ankunft in Großbritannien zunächst zehn Tage isolieren und außerdem zwei kostenpflichtige Tests buchen müssen. Geimpfte sind davon nicht ausgenommen. In England besteht nach fünf Tagen die Möglichkeit einer Freitestung.

TV-Hinweis

Das historische Achtelfinale Österreich gegen Italien überträgt am Samstag 21.00 Uhr ORF1 live. Mehr dazu in tv.ORF.at.

Auch die österreichischen Fans werden wohl auf das Achtelfinale in London zum allergrößten Teil verzichten müssen, obwohl 1.750 Tickets für sie zur Verfügung stünden. Neben den Auflagen, die in Großbritannien zu erfüllen wären, gelten auch bei der Rückreise nach Österreich strenge Regeln. Zwar ist das österreichische Landeverbot für Flüge aus Großbritannien seit Montag außer Kraft. Es gelten aber weiterhin die strengen Einreisevorschriften nach der Einreiseverordnung, so das Gesundheitsministerium am Dienstag.

Nur bei schon längerem Aufenthalt möglich

Ein PCR-Test und eine zehntägige Quarantäne sind vorgesehen. Ein vorzeitiges Beenden der Quarantäne nach einem negativen PCR-Test sei frühestens am fünften Tag nach der Einreise möglich, wobei der Tag der Einreise als Tag null gewertet werde. Das Vereinigte Königreich wird auch in Österreich – ebenso wie Brasilien, Indien und Südafrika – auf der Liste der Virusvariantengebiete geführt.

Realiter können also durch die Regelungen nur Auslandsösterreicherinnen und -österreicher und andere Fans, die sich zumindest seit Anfang vergangener Woche in Großbritannien aufhalten, ins Stadion. Nur bei einer Aktualisierung durch die britische Regierung könnten Länder wie Österreich, in denen die Zahl der Infektionen stark rückläufig ist, auf die grüne Liste gesetzt werden.

Außenamt rät von Reise ab

Das österreichische Außenamt riet am Dienstag von Reisen nach London ab. „Wer die Verpflichtung zur Heimquarantäne nicht erfüllen kann (alle nach dem 21.06.2021 einreisenden Personen), kann von den Grenzbehörden an der Einreise gehindert und abgewiesen werden bzw. kann dieser Person der Eintritt ins Stadion verwehrt werden“, hieß es. Personen mit Tickets für die EM seien von den geltenden britischen Einreisebestimmungen nicht ausgenommen.

Die Sorge vor der hohen Infektiosität ist auch in Großbritannien groß. Dort kritisierten einige Abgeordnete des Oberhauses Ausnahmeregelungen für ausländische Besucherinnen und Besucher. Der „Telegraph“ hatte zuvor berichtet, dass für das Finale etwa 2.500 Medienschaffende und VIP-Gäste von der zehntägigen Quarantäne ausgenommen sein könnten. Oberhaus-Mitglied Baroness Kishwer Falkner sagte, man riskiere mit solchen Ausnahmen einen Anstieg der Infektionsfälle und damit neue Einschränkungen des öffentlichen Lebens.

Hinweistafeln für Zugangskontrollen zum Wembley-Stadion
Reuters/Carl Recine
Zugangskontrollen zum Wembley-Stadion: Strenge Auflagen sind zu erfüllen

„UEFA-Variante“

Die britische Regierung habe schon zugelassen, dass sich die Delta-Variante ausgebreitet habe. „Das Volk sorgt sich zu Recht, dass ihr Recht auf Leben und Lebensgrundlagen schon wieder auf dem Spiel steht, weil wir möglicherweise eine – sollen wir es so nennen – UEFA-Variante importieren, wenn diese Ausnahmen durchkommen“, meinte Falkner.

Die zuständige Staatssekretärin Baroness Diana Barran sagte im House Of Lords, eine endgültige Entscheidung sei noch nicht gefallen. Barran betonte außerdem, dass VIP-Gäste oder Journalisten nicht von den Coronavirus-Bestimmungen ausgenommen wären, sondern strengen Regeln sowie strikter Testpflicht unterlägen und die Quarantäne nur unterbrechen dürften, um offiziellen Anlässen beizuwohnen.