Prada Ready to Wear Shorts auf einem Strand für den Sommer 2022
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„Dare to bare“

Der Sommer der extrakurzen Männerhose

„Dare to bare“ – also die Frage, wie viel Haut man zeigen kann, ist eine hochsensible, wie die Debatten über ein Interview mit Lena Hoschek an dieser Stelle gezeigt haben. Im Bereich sozialer Netzwerke steht das Thema #5inseam, gemeint die extrakurze Männerhose, wieder einmal hoch in Konjunktur. Auslöser der Begeisterung ist Serienstar Milo Ventimiglia. Vor Wochen hat er sein Fitnesscenter in Los Angeles in extrakurzen Hosen verlassen – und dabei viel Beinmuskulatur am Oberschenkel gezeigt. Seitdem herrscht beim Männersommerhosentrend Kalauerstimmung: „Thigh society“, „The thigh is high“ – liest man da in Anspielung auf den blanken Männeroberschenkel. Oder: „Legs are the new abs“ („Beine sind die neuen Bauchmuskeln“).

Ob Männern die kurze Hose gut zu Bein steht, versuchte die österreichische Modemacherin Lena Hoschek vergangenes Wochenende zu beantworten. Sie tat das launig pointiert und, wie sie später auch zu anderen Zitaten klarstellte, sehr subjektiv. Zum Thema „kurze Hose bei Männern“ (ihr Interviewpartner aus dem Geist der 90er war grundsätzlich verunsichert, ob „kurz“ im öffentlichen Raum überhaupt eine Option sei) verwies Hoschek in aller Offenheit auf die Frage der Kombination, etwa mit dem Schuhwerk. An anderer Stelle, etwa auf TikTok, war man zu diesem Moment schon woanders. 5.5 Mio. User wollten sich beim Thema Männer-Kurzhose nicht mit kombinatorischen Petitessen aufhalten. Es ging allein um die Frage der Länge, also Kürze. Und Männer sollen in diesem Sommer besonders kurze Hosen tragen. Inseam-Länge: maximal 5,5 Inch. In Zentimetern gesprochen wären das 14 cm Stoff vom Schritt zum bloßen Bein.

Milo Ventimiglias Shorts auf Instagram
Screenshot Instagram
Nach der Aufregung über sein Kurze-Hosen-Bild postete Milo Ventimiglia das Objekt der Begierde nochmals auf Instagram

Eigentlich wären von den Modetrends für 2021 noch längere und auch weiter geschnittene kurze Hosen für Männer vorgesehen. Doch nicht nur die Pandemie hat die Welt auf den Kopf gestellt und jede Form des Rausgehens verständlicherweise als einen Akt großer Sehnsucht stilisiert. Und weil Unbedachtes oder Beiläufiges in Zeiten von sozialen Netzwerken breite virale Effekte zeitigen kann, haben sich in kurzer Zeit Trends für diesen Sommer umgeworfen. Die Geschichte der extrakurzen Sommerhose für Männer, die von der Modeindustrie eher für 2022 angedacht wäre, ist so ein Beispiel eines viralen Hypes in den Netzwerken.

Als Ende April dieses Jahres Schauspieler Ventimiglia aus dem Fitnesscenter kam und in seinem Trainingsoutfit ins Auto stieg, konnte er noch nicht ahnen, dass Paparazzi-Fotos eine Lawine an Postings, Threads und Memes auslösen würden.

„Ich war nur der Kerl, der aus dem Gym kam“

„Hey, ich war nur ein Kerl, der aus dem Fitnesscenter kam“, wird Ventimiglia einen Monat später in der CBS-Daytime „The Talk“ sagen. Dass das so ein Hype geworden sei, habe ihn selber erstaunt. Er trainiere immer schon sehr intensiv, und das betreffe nun auch die Beine. Seine Shorts seien gar nicht „extrakurz“, wie von vielen behauptet – „ich ziehe den Rand der Shorts nur hoch, um mich beim Training besser bewegen zu können – und das war dann auch noch auf dem Weg zum Auto so“, behauptet der einstige Bad Boy aus den „Gilmore Girls“, der im Moment eher beschäftigt ist, zu erklären, warum „This Is US“ ein Ende haben würde.

Ventimiglias Bild traf aus verschiedenen Gründen einen Nerv und sprach offenkundig mehr als eine bestimmte Zielgruppe an. „Guardian“-Modejournalist Sam Wolfson, der sich als Vertreter etablierter Medien in den Chor jener einreiht, um für den Sommer die extrakurze Männerhose auszurufen, erinnerte an den Trend in britischen Fitnesscentern seit den Olympischen Spielen in London, dass Menschen wieder mehr für ihre Kraft als für ihr optisches Aussehen trainierten. An die Stelle der Fokussierung auf die Bauchmuskeln sei ein Trend getreten, der die Stärke des ganzen Körpers in den Mittelpunkt rücke – und nicht zuletzt die Beinmuskulatur des Mannes.

„Sind wir bereit für so viel Fleisch?“

„Dieser Sommer ist offiziell sexy. Und der heißeste Look für Männer in diesem Sommer sind kurze Shorts. Aber sind die schon bereit für so viel männliches Fleisch?“, fragte Wolfson in seinem Text rhetorisch, um sich zunächst der Frage zu widmen, ob denn die Männer bereit seien, in derart kurzen Hosen unbefangen auf die Straße zu gehen. Prominente Beispiele dafür gab es aus der jüngeren Zeit mit Schauspieler Paul Mescal oder One-Direction-Sänger Harry Styles. Trotz extravaganter bis exzentrischer Auftritte einzelner Promis sei der „High-Street-Style eher wieder konformistischer geworden“, schließt Wolfson, wohl in der Hoffnung, dieser Sommer könne Normen aufbrechen.

Samuel Douek vor seinem Camp-er-Truck
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Samuel Douek rät Männern zu einem erweiterten Rollenbild

„Heterosexuelle Männer sagen mir oft: Mir gefällt, was du anhast, aber ich könnte das nie tragen“, zitiert Wolfson den Regisseur und Drag-Künstler Samuel Douek, der in seinen Musikclips permanent mit Rollenklischees spielt: „Keine Ahnung. Ob Hetero-Männer Angst haben, als schwul angesehen zu werden, oder sich nur vor ihrer eigenen Männlichkeit fürchten, ist mir dabei nicht ganz klar.“ Wenn sich Frauen provokativ anzögen, werde das immer als „hoch sexualisiert“ wahrgenommen – Männer unterstelle man beim Ausbrechen traditioneller Bekleidungsmuster immer, die Gendergrenzen zu brechen, so Douek.

Prada Modelle von kurzen Hosen für den Strand
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Am Strand jenseits der Geschlechterstereotypen: Prada-Entwürfe für 2022

Wenn die Shorts zum Mini werden: Ausblick 2022

Blickt man freilich auf die letzte Milan Fashion Week und die Entwürfe von Prada für den Mann, dann wird ein Verschwimmen von Gendergrenzen sichtbar – und das in großer Eleganz. Prada etwa schneidet kommendes Jahr über die 5.5-Inseam-Shorts für Männer noch den Ansatz zum Mini drüber und lässt beim Sommerhemd die Schulter frei. Die Fotos, die der Konzern in Umlauf bringt, überspringen jedenfalls alle Grenzen. Das Konventionellste dabei wären noch die Socken, die Mann zu Short und Schuh trägt.

Der Slogan „dare to bare“, der dieser Tage im Umlauf ist, bleibt doppeldeutig. Er kann die bloße Haut ebenso meinen wie das, was das Auge zu ertragen aushält. Andererseits bleibt die Erkenntnis: Extrakurze Hosen für Männer werden jedes Jahr ausgerufen. Die Frage ist am Ende, wie viel von der viralen Behauptung Realität wird. Heuer sind die Chancen gestiegen.