Zwei Männer beseitigen in der tschechischen Ortschaft Moravska Nova Ves die Schäden an einem durch einen Tornado zerstörten Hausdach
Reuters/David W Cerny
Von Tornado bis Hagel

Was hinter den Wetterextremen steckt

In der Nacht auf Freitag hat in Tschechien ein außergewöhnlich starker Tornado gewütet. Auch in Deutschland und Österreich kam es zu heftigen Hagel- und Sturmunwettern. Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) spricht von der „schlimmsten Gewitterlage seit Jahrzehnten in Europa“. Doch was steckt hinter den Wetterextremen? Hat es die „immer schon gegeben“ oder sind es bereits Vorboten einer „neuen Normalität“? Und welche Rolle spielt die Klimakrise dabei?

„Tornados dieser Intensität sind äußerst selten in Europa“, sagte Rainer Kaltenberger, Meteorologe bei der ZAMG, gegenüber ORF.at. Auf der fünfteiligen Fujita-Skala wurde er vorerst als Tornado der Klasse drei eingestuft. Dabei handelt es sich um Sturmgeschwindigkeiten von 254 bis 332 km/h, die schwere Schäden verursachen können. Dächer und leichte Wände werden abgetragen, Züge entgleisen, Wald wird großteils entwurzelt, Autos werden umgeworfen, verschoben oder sogar angehoben.

Prinzipiell seien Tornados in Europa nicht ungewöhnlich. Auch in Österreich gebe es im Durchschnitt etwa zwei bis fünf im Jahr. Allerdings seien diese meist nur im Bereich F0 bis F2 zu verorten, also mit Windspitzen bis zu 220 km/h, erklärte Kaltenberger. Einen ähnlich starken wie in Tschechien gab es in Österreich zuletzt vor mehr als einem Jahrhundert, im Jahr 1916 in Wiener Neustadt. Damals starben über 30 Menschen.

Tennisballgroße Hagelkörner „normal“?

Auch heftige Unwetter mit tennisballgroßen Hagelkörnern wie sie in den vergangenen Tagen vorkamen und zu Schäden in Millionenhöhe führten, seien an sich nichts Neues, diese habe es so bereits in den Jahren zuvor gegeben, so Kaltenberger. Schnell ließe sich daher zu dem Schluss kommen, dass es Extremwetterereignisse wie diese eben „immer schon gegeben hat“ und sie daher keinen „Beweis“ für die Existenz der menschengemachten Klimakrise darstellen – so zumindest die gängige Argumentation der Klimawandelskeptiker. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Was Hagel betrifft, meint Kaltenberger zwar: „Man kann nicht sagen, aufgrund dieser Hagelkorngröße war das jetzt der Klimawandel.“ Ähnlich verhält es sich mit Tornados: Da es sich bei Tornados nicht nur um sehr kleinräumige und kurzlebige, sondern auch um eher seltene Ereignisse handle, könne aufgrund der Datenlage tatsächlich nicht von einer Zunahme in Bezug auf den Klimawandel gesprochen werden, so Kaltenberger. Auch in der „Warnsignale Klima“-Broschüre der Uni Hamburg ist zu lesen, dass eine Zunahme von Tornados infolge des Klimawandels „bis jetzt nicht nachgewiesen werden“ konnte. Zweifellos zählten diese jedoch zu den „schlimmsten Naturgewalten“.

Eine Hand hält einen Tennisball und zwei fast gleich große Hagelkörner
ÖHV
Hagelkörner so groß wie Tennisbälle: Extremwetterereignisse werden durch die Klimakrise nicht nur häufiger, sondern auch extremer, ist sich die Fachwelt einig

Potenzial für Extremwetterereignisse steigt

Was hingegen allerdings sehr wohl mit der Klimakrise zusammenhänge, sei ein steigendes Potenzial für Extremwettereignisse, erklärte Kaltenberger. „Das ist beobachtbar. Da gibt es eine statistische Häufung. Laut Berechnungen von Klimamodellen werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten die Grundlagen für Extremwetter einfach häufiger werden.“

Buchhinweis

Stefan Rahmstorf und Schellnhuber: Der Klimawandel. Verlag: C. H. Beck Wissen, 144 Seiten, 10,30 Euro.

Die deutschen Klimaforscher Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber schreiben in ihrem Werk „Der Klimawandel“, dass Wetterextreme wie Stürme, Überschwemmungen und Dürren jene Auswirkungen des Klimawandels seien, die viele Menschen „am direktesten zu spüren bekommen“. Eine Zunahme sei allerdings nicht so leicht nachweisbar, „da die Klimaerwärmung bislang noch moderat und Extremereignisse per Definition selten sind – über kleine Fallzahlen lassen sich kaum gesicherte statistische Aussagen machen“.

Ein paar Zeilen weiter darunter heißt es allerdings: „Zwar lassen sich einzelne Extremereignisse nicht direkt auf eine bestimmte Ursache zurückführen. Doch man kann zeigen, dass sich die Wahrscheinlichkeit (oder Häufigkeit) bestimmter Ereignisse durch die globale Erwärmung erhöht.“ Vergleichbar sei das mit der Tatsache, dass Raucher und Raucherinnen häufiger Lungenkrebs bekämen, es sich im Einzelfall aber nicht beweisen ließe, ob der Patient nicht auch ohne zu rauchen Krebs bekommen hätte.

Die 25 stärksten Tornados in Europa von 1950 bis 2020

Mehr Wärme, mehr Energie, mehr Unwetter

Die Zahlen scheinen den Klimaforschern recht zu geben: Laut ZAMG nahmen Wetterlagen, die schwere Gewitter verursachen können, in Europa seit den 2000er Jahren „deutlich“ zu, in Europa um 30 bis 50 Prozent, in Österreich um rund 20 Prozent. Ein Hauptfaktor sei die Bodenfeuchtigkeit, wie Georg Pistotnik, Klimaforscher bei der ZAMG, gegenüber Ö1 erklärte.

Auch die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb von der Universität für Bodenkultur (BOKU) erklärte bei einer Pressekonferenz am Freitag den Mechanismus, der der zunehmenden Häufigkeit von Unwettern zugrunde liegt. „Wenn sich die Lufthülle der Erde erwärmt, entsteht mehr Energie. Zudem kann die wärmere Luft mehr Wasserdampf aufnehmen.“ Wenn sich Energie und Wasser entlüden, seien heftigere Regenfälle, Unwetter und Hagel sowie eventuell sogar Tornados die Folge. Damit sich ein Tornado bilden kann, braucht es große Wolken, Gewitter und unterschiedliche Windrichtungen in verschiedenen Höhen.

Grafik zeigt die Entstehung eines Tornados
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Beim Hagel müsse man davon ausgehen, dass sowohl die Ereignisse häufiger als auch die Körner größer werden, das zeige die Statistik bereits jetzt deutlich. Grund für diese Entwicklung sei, dass die Luftmassen mit der Erwärmung unbeständiger werden.

Exponentielle Entwicklung erwartet

Die Ereignisse dieses Sommers seien insgesamt nicht überraschend, „es entwickelt sich so, wie die Wissenschaft das erwartet hat“, sagte die Klimaforscherin und betonte, dass die weitere Entwicklung nicht linear, sondern exponentiell verlaufen werde. Das nächste halbe Grad Erwärmung werde daher deutlich mehr Probleme bringen als das vorangegangene.

„Wir spielen mit dem Feuer“, und da dürfe man sich nicht wundern, „wenn man sich die Finger verbrennt. Wir als Gesellschaft und als Österreich haben unsere Hausaufgaben nicht gemacht.“ Die Politik sei immer noch mit dem Formulieren von Zielen beschäftigt anstatt mit der Umsetzung von Maßnahmen. Grund sei vermutlich die „Angst vor Verzicht“, wobei Klimaschutzmaßnahmen nicht nur Verzicht, sondern vor allem auch „ein besseres Leben“ bringen würden, appellierte Kromp-Kolb.

Löcher in einem Scheunendach nach einem Hagelunwetter
APA/Fotokerschi.at/team
Wetterextreme wie Stürme, Überschwemmungen und Dürren seien die Auswirkungen der Klimakrise, die viele Menschen am direktesten zu spüren bekämen, so Experten

Appell: Augen nicht vor Realität verschließen

Der Klimapolitikexperte Reinhard Steurer von der BOKU konstatierte im Gespräch mit ORF.at eine weit verbreitete Verleugnung und Verharmlosung in Krisenzeiten, „weil sie helfen, mit der zunehmend bedrohlichen Realität besser zurechtzukommen. Wenn man ein Problem oder dessen Folgen nicht zur Kenntnis nimmt, kann man weitermachen wie bisher – zumindest kurzfristig.“

Meteorologe über Tornados

Meteorologe Rainer Kaltenberger von der ZAMG erklärt die Entstehung von Tornados und spricht über deren Auftreten in Europa sowie den Sturm im Süden Tschechiens.

Langfristig gewinne aber immer die Realität." Er warnt daher davor, die Augen zu verschließen. „Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann bedeutet das im Fall der Klimakrise sehr viel vermeidbares Leid, ja sogar eine Gefährdung der menschlichen Zivilisation, wie wir sie heute kennen.“