HMS Defender
AP/Georgian Interior Ministry
Geheimakten vergessen

Skurrile Episode in Streit über Krim-Vorfall

Die Fahrt eines britischen Kriegsschiffs sorgt seit Tagen für Missmut zwischen London und Moskau. Die „HMS Defender“ hatte am Mittwoch Gewässer vor der Krim genutzt, woraufhin es russische Warnschüsse gab. London bestritt vorerst, dass diese dem Schiff gegolten hatten, was wiederum britische Reporter dementierten. Seither wird über den Ablauf der Ereignisse gestritten. Am Sonntag gab es dazu eine skurrile Entwicklung: Ein Mitarbeiter des britischen Verteidigungsministeriums scheint Dokumente zu dem Fall bei einer Bushaltestelle vergessen zu haben. Aus Russland hagelte es dafür Spott.

Laut britischen Medienberichten wurden die durchnässten Dokumente hinter einer Bushaltestelle im Kent gefunden. Das rund 50 Seiten umfassende Dossier wurde von einem Passanten entdeckt und Medien zugespielt. Das Verteidigungsministerium teilte mit, über den Fund informiert worden zu sein. Es erklärte zudem, ein Mitarbeiter habe die Papiere verloren und das gemeldet. „Das Ministerium nimmt die Sicherheit von Informationen sehr ernst und hat eine Untersuchung eingeleitet.“

In dem Dossier sei es um den Vorfall vor der Krim zwischen dem britischen Kriegsschiff und russischen Streitkräften vergangene Woche gegangen, berichtete die BBC am Sonntag. Den Angaben zufolge enthalten die Papiere E-Mails und Präsentationen. Diese legten nahe, dass Großbritannien nach der Fahrt der „HMS Defender“ mit einer Reaktion Russlands rechnete.

Schüsse und Bomben

Die Causa sorgt sei Tagen für Unmut zwischen London und Moskau. Nach russischen Angaben war das britische Kriegsschiff am Mittwoch auf dem Schwarzen Meer bis zu drei Kilometer tief in russische Gewässer eingedrungen. Es habe erst nach Warnschüssen durch die russische Schwarzmeerflotte und den Grenzschutz des Inlandsgeheimdienstes FSB beigedreht. Zudem seien durch einen Kampfjet des Typs Suchoi Su-24 Fliegerbomben auf den Kurs des Schiffes gefeuert worden. Russland sieht in dem Vorfall vor der Krim eine absichtliche und vorsätzliche Provokation.

HMS Defender von einem russischen Armeeflieger aus fotografiert
Reuters/Russian Defence Ministry
Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte Bilder von dem Vorfall

Großbritannien wies die Darstellung zurück und behauptete, gar nicht der Grund für die Schüsse gewesen zu sein. Zuerst teilte London unmittelbar nach dem Vorfall mit, dass es sich um eine russische Militärübung gehandelt habe und dass die „HMS Defender“ nicht Ziel des Feuers gewesen sei. Dieses sei wohl für die maritime Gemeinschaft eine Vorwarnung zu der Übung gewesen.

Diese Darstellung wurde allerdings von britischen Journalisten dementiert, die sich an Bord der „HMS Defender“ befunden hatten. Ein BBC-Reporter berichtete etwa, dass es „massive Versuche“ russischer Flugzeuge und Schiffe gegeben habe, die „HMS Defender“ von ihrem Kurs abzubringen. Dem Bericht zufolge dürfte es sich um eine Demonstration der Stärke und des Führungsanspruchs als Verteidiger der internationalen Ordnung gehandelt haben.

Johnson pocht auf Nutzung internationaler Gewässer

Wenig später erklärte schließlich Premierminister Boris Johnson, der Zerstörer habe sich rechtmäßig in internationalen Gewässern bewegt. Der wichtige Punkt sei, dass Großbritannien Russlands Annexion der Krim nicht anerkenne. „Das sind ukrainische Gewässer, und es war vollkommen richtig, sie zu nutzen, um sich von A nach B zu bewegen.“

Außenminister Dominic Raab nannte die russische Darstellung „erwartungsgemäß ungenau“. Umweltminister George Eustice betonte, die Royal Navy werde „natürlich“ auch bei der nächsten Gelegenheit die umstrittene Gegend durchqueren. „Wir haben die Annexion der Krim nie akzeptiert, das sind ukrainische Gewässer“, sagte der Minister.

Streit über Krim hält an

Russland hat die Halbinsel Krim 2014 von der Ukraine annektiert und betrachtet Gebiete um die Küste dort als russische Gewässer. Westliche Länder sehen die Krim indes weiter als Teil der Ukraine und lehnen Russlands Anspruch auch auf die Gewässer ab. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba nannte den Vorfall einen Beweis für „die aggressive und provokative Politik der Russischen Föderation im Schwarzen und Asowschen Meer“.

Es wurde vermutet, dass das britische Kriegsschiff an einer internationalen Militärübung unter US-Führung teilnehmen wollte. Zuvor hatte Russland die USA und ihre Verbündeten aufgefordert, dieses Manöver im Schwarzen Meer nicht abzuhalten. „Das Ausmaß und die offensichtlich aggressive Art der militärischen Übungen entsprechen in keiner Weise den tatsächlichen Sicherheitsbedürfnissen in der Schwarzmeer-Region“, teilte Russlands Botschaft in den USA mit. Dadurch erhöhe sich das Risiko „unbeabsichtigter Vorfälle“.

Das von den USA und der Ukraine geführte Manöver namens „Sea Breeze“ startet am Montag. Daran werden sich Tausende Soldaten sowie Dutzende Schiffe und Flugzeuge aus insgesamt 32 Ländern beteiligen. Das Manöver im Schwarzen Meer solle etwa zwei Wochen dauern, teilte das US-Militär mit.

„007 nicht mehr der alte“

Dass nun das Dossier aus dem Verteidigungsministerium in der Öffentlichkeit landete, sorgte seitens Russlands für Spott. „London hat mehrfach gelogen, um die jüngste Provokation zu verschleiern“, schrieb die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Sonntag auf Telegram. „007 ist nicht mehr der alte.“

Sacharowa fügte hinzu: „Warum brauchen wir russische Hacker, wenn es britische Bushaltestellen gibt?“ Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind besonders seit dem Giftanschlag 2018 auf den früheren russischen Agenten Sergej Skripal in der südenglischen Stadt Salisbury angespannt.

Kritik gab es auch von der britischen Oppositionspartei Labour. Sie erklärte, der Fund sei peinlich und beunruhigend zugleich. Es müsse gewährleistet werden, dass die nationale Sicherheit dadurch nicht in Gefahr sei und so etwas nicht wieder vorkomme. Es ist derzeit die zweite Sicherheitslücke, die Großbritannien beschäftigt. Zuletzt waren Bilder einer Überwachungskamera an die Öffentlichkeit gelangt, die den inzwischen zurückgetretenen Gesundheitsminister Matt Hancock zeigten, wie er und eine Mitarbeiterin einander küssten. Die Regierung leitete eine Untersuchung ein.