Altstadt von Ljubljana
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Slowenien

Neues Sorgenkind übernimmt EU-Vorsitz

30 Jahre nach seiner Unabhängigkeit übernimmt Slowenien mit 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft von Portugal. Erklärtes Ziel Ljubljanas ist es, im kommenden Halbjahr die Widerstandsfähigkeit der EU, ihren Zusammenhalt und die Rechtsstaatlichkeit zu stärken – ein hehres Vorhaben für ein Land, das sich selbst zunehmend gespalten präsentiert und dessen Führung sich eng an Ungarn orientiert.

„Zusammen. Widerstandsfähigkeit. Europa.“: So lautet das ambitionierte, aber relativ vage Motto des zweiten slowenischen Vorsitzes nach 2008. Im Zentrum sollen die Umsetzung der Coronavirus-Wiederaufbaupläne sowie die Gesundheitsunion stehen, sagte der slowenische EU-Botschafter Iztok Jarc. Es gelte, die während der Pandemie gewonnenen Erkenntnisse zu nützen, um sich für künftige Krisen besser zu rüsten. Als weitere Schwerpunkte nannte er die Konferenz zur Zukunft Europas, Rechtsstaatlichkeit sowie den Westbalkan und den Erweiterungsprozess.

Slowenien und Kroatien sind die beiden einzigen exjugoslawischen Republiken, die den Weg in die Europäische Union bereits gefunden haben. Slowenien trat der EU im Jahr 2004 bei, Kroatien im Jahr 2013. Kroatien wartet aber noch auf den Beitritt zum Euro- und zum Schengen-Raum, denen Slowenien schon seit 2007 angehört.

Viele Jahre lang hatte das Zwei-Millionen-Einwohner-Land einen Ruf als Hort der Stabilität, langsam aber verebbt er. Verantwortlich dafür ist primär Janez Jansa, der im Vorjahr seine dritte Amtszeit als Premier begonnen hatte. Im Mai überstand er ein Amtsenthebungsverfahren der Opposition im Parlament, die Mehrheit hat er dort aber nicht mehr.

Ministerpräsident Sloweniens Janez Jansa
APA/AFP/Olivier Matthys
Jansa regiert in Slowenien zunehmend illiberal, Anleihen nimmt er bei Ungarn

Unter Orbans Einfluss

Ihm werden Angriffe auf unabhängige Medien und Kontrollinstitutionen des Staates vorgeworfen, er würde, heißt es von kritischen Stimmen, das traditionell liberale und europafreundliche Land ins politische Fahrwasser des rechtskonservativen ungarischen Premiers Viktor Orban führen. Tatsächlich unterstützen Orban nahe stehende Geschäftsleute Jansas Medien mit Geld und Know-how. Ungarische Konzerne mit Regierungsnähe kaufen in Slowenien Banken, Tankstellenketten und Hotels auf.

Slowenien übernimmt EU-Vorsitz

Mit 1. Juli übernimmt Slowenien die EU-Ratspräsidentschaft von Portugal. Erklärtes Ziel ist es, im kommenden Halbjahr die Widerstandsfähigkeit der EU, ihren Zusammenhalt und die Rechtsstaatlichkeit zu stärken. Ob das gelingt, hängt jedoch vom umstrittenen Regierungschef Janez Jansa ab.

„Ungarn grüßt Slowenien und seine tapferen derzeitigen Anführer“, ließ Orban beim 30. Jahrestag der Unabhängigkeit des Landes Ende vergangener Woche wissen. Offenkundig zog Ungarns Premier auch eine Parallele zwischen dem slowenischen Unabhängigkeitskampf von Jugoslawien und seinem eigenen aktuellen Konflikt mit den anderen EU-Staaten: „Wir verstehen gut, was es bedeutet, gegen eine Übermacht zu kämpfen. Wir verstehen, dass die Größe einer Nation von seiner Tradition, seiner Seele und seinem Stolz bestimmt werden.“

Lauter Ruf nach Neuwahlen

Populär ist diese Annäherung an Ungarn in der Bevölkerung nicht. „Osten ist genau das, was in Slowenien nie jemand sein mochte“, hieß es jüngst in einem Artikel des „Deutschlandfunk“. Ende Mai demonstrierten in der Hauptstadt Ljubljana Tausende Menschen gegen Jansa und für vorgezogene Neuwahlen, am Unabhängigkeitstag wiederholte sich die Szenerie.

„Die aktuellen politischen Parteien und ihre Anführer haben uns größtenteils enttäuscht, und Slowenien hat die Erwartungen und Hoffnungen, die wir vor 30 Jahren hatten, nicht erfüllt“, wurde in dem Demonstrationsaufruf zu einer „Umgestaltung Sloweniens“ zu einer gerechteren Gesellschaft gefordert. Führende Vertreter der Oppositionsparteien wie Ex-Premier Marjan Sarec blieben dem Staatsakt überhaupt fern.

Angriffe via Twitter

Mit Begründung der CoV-Bekämpfung hob die Regierung inzwischen die Versammlungsfreiheit auf. Demonstrantinnen und Demonstranten deckt die Polizei nun mit horrenden Geldstrafen ein. Das Regierungspresseamt enthält der Nachrichtenagentur STA die öffentlichen Gelder vor, die ihr von Rechts wegen zustehen. Zugleich fordert es Einsicht in Dokumente der Agentur, was gesetzlich nicht gedeckt ist. Die EU-Kommission hat die slowenische Regierung dafür schon verwarnt. Jansa blockiert zudem die Entsendung zweier slowenischer Ankläger für die neue Europäische Staatsanwaltschaft.

Über Twitter greift er nicht nur Journalistinnen und Journalisten mit unflätigen Ausdrücken an, sondern auch EU-Vertreter, insbesondere aus dem Europaparlament. „Wir schulden der EU nichts“, schrieb der Regierungschef im Mai. „Wir haben vor 30 Jahren für unsere Freiheit und Demokratie gekämpft.“ Jansa war auch der einzige Regierungschef, der Donald Trump nach seiner Abwahl zum „Wahlsieg“ gratulierte.

Demo in Ljubljana
AP
Die Feierlaune am Unabhängigkeitstag hielt sich bei Tausenden Protestierenden in Grenzen

Reporter ohne Grenzen zeigte sich besorgt darüber, dass Jansas Regierung nun den EU-Vorsitz übernimmt. Sie könne das missbrauchen, „um Bemühungen zur Stärkung der Medienfreiheit in Europa zu behindern“, warnte die Organisation.

Rechtsstaatlichkeit als Ansichtssache

Der Regierungsapparat in Ljubljana bemühte sich indes um Schadensbegrenzung. „Die slowenische Ratspräsidentschaft wird eine verantwortungsvolle Rolle dabei spielen, um ein gemeinsames Verständnis darüber zu erzielen, wie die Rechtsstaatlichkeit in der EU gestärkt werden kann“, sagte jüngst Staatssekretär Gasper Dovzan. Dabei müssten aber auch unterschiedliche Traditionen und Bedingungen in den einzelnen Mitgliedsländern Berücksichtigung finden.

Beschäftigen wird das Thema Rechtsstaatlichkeit den EU-Ratsvorsitz zweifellos: Die EU-Kommission veröffentlicht im Juli ihre länderspezifischen Berichte dazu. Der Streit Brüssels mit Ungarn und Polen um die Verletzung mehrerer Prinzipien wird dann wohl neue Fahrt aufnehmen – und Slowenien als Vermittler gefragt sein. Jansa dürfte dafür allerdings nicht der richtige Mann sein.

Berlin schickt mahnende Worte

Ungarn und Polen hatten im vergangenen Jahr bereits über Wochen den Coronavirus-Hilfsfonds blockiert, weil sie neue Regeln verhindern wollten, über die bei Rechtsstaatsverstößen mit Auswirkung auf den europäischen Haushalt EU-Gelder gekürzt werden können. Vergangene Woche stand Orban dann beim EU-Gipfel wegen eines ungarischen Gesetzes, das die Informationsrechte von Minderjährigen zu Homosexualität beschneidet, im Kreuzfeuer der Kritik. Einzige Unterstützer des Ungarn: der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki und Jansa.

Von der deutschen Regierung kamen diesbezüglich am Mittwoch mahnende Worte. Es sei nicht die Rolle der Ratspräsidentschaft, „seine eigene Herangehensweise für alle 27 durchzusetzen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Der EU-Vorsitz müsse vielmehr „alle seine Kraft dafür einzusetzen, dass es unter den 27 zu Fortschritt, zu Lösungen und zu Einigkeit kommt“.