Kämpfer der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF)
AP/Ben Curtis
Äthiopien

Rebellen haben wieder Oberhand in Tigray

Nach monatelanger Gewalt hat sich das Blatt in der äthiopischen Konfliktregion Tigray wieder gewendet: Wie mehrere Nachrichtenagenturen berichteten, haben Aufständische die Hauptstadt Mekelle zurückerobert und die Übergangsregierung von Äthiopiens Regierungschef Abiy Ahmed in die Flucht geschlagen. Die Zentralregierung in Addis Abeba rief Medien zufolge einseitig eine Waffenruhe in Tigray aus.

Soldaten, die der früheren abtrünnigen Regionalregierung von Tigray die Treue halten, marschierten am Montag in die Stadt ein, wie ein Vertreter der Übergangsregierung sowie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichteten. Alle hätten Mek’ele verlassen.

„Die letzten gingen am Nachmittag“, sagte ein Vertreter der Übergangsregierung, der anonym bleiben wollte. Tigray habe nun „keine Regierung“ mehr. Auch Reuters berichtete, die Stadt sei wieder an die Aufständischen gefallen.

Volksbefreiungsfront im November vertrieben

Äthiopische Regierungstruppen hatten im November die in Tigray regierende Volksbefreiungsfront TPLF angegriffen. Nach wenigen Wochen erklärte Regierungschef Abiy die TPLF für besiegt. Seine Regierung setzte eine Übergangsverwaltung in Mek’ele ein. Doch auch Monate später gingen die Kämpfe weiter. Zuletzt hatten diese an Heftigkeit noch zugenommen: Vergangene Woche starben mehr als 60 Menschen bei einem Luftangriff der Zentralregierung auf einen Markt. Die Regierungstruppen versuchten offenbar alles, um die Rebllen wieder zurückzudrängen.

Überraschender Waffenstillstand

Die nun verkündete Feuerpause kommt überraschend: „Eine bedingungslose, einseitige Waffenruhe ab heute, 28. Juni, wurde ausgerufen“, hieß es in einer Erklärung, aus der die Staatsmedien am Abend zitierten. Damit solle es den Bauern in der Region ermöglicht werden, in Frieden ihre Äcker zu bestellen.

Außerdem könnten dank der Feuerpause unbehelligt Hilfsgüter an die Bevölkerung verteilt werden und die „TPLF-Truppen den Weg des Friedens wieder einschlagen“. Zuvor hatte der staatsnahe Sender Fana gemeldet, der Chef der Übergangsregierung von Tigray, Abraham Belay, habe die Zentralregierung aufgerufen, aus humanitären Gründen einer Waffenruhe zuzustimmen, damit der Konflikt „nicht noch mehr Schaden“ anrichte.

Ein zerstörter Panzer in der Ortschaft Hawzen in der nordäthiopischen Tigray-Region
AP/Ben Curtis
Gewalt und Armut in der Krisenregion

Friedensnobelpreisträger unter Druck

Die USA, Irland und Großbritannien forderten eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats zu dem Konflikt. Das Treffen könnte am Freitag stattfinden, hieß es aus Diplomatenkreisen am Montag. Seit dem Beginn des Konflikts gab es noch keine öffentliche Sitzung des UNO-Gremiums, weil mehrere Mitglieder, darunter Russland, China und mehrere afrikanische Staaten, ihn als interne Angelegenheit Äthiopiens sehen.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres telefonierte nach Angaben der Vereinten Nationen mit Ministerpräsident Abiy. Guterres ließ danach mitteilen, dass er auf ein Ende der Kämpfe hoffe. Die Situation in Tigray sei „äußerst besorgniserregend“. Abiy steht unter Druck: Vergangene Woche war die bereits zweimal verschobene Parlamentswahl abgehalten worden – überschattet von der Wahl in Tigray. 2019 war ihm der Friedensnobelpreis verliehen worden, wegen seiner Rolle im Friedensprozess mit Nachbarstaat Eritea.

Von Außenwelt abgeschnitten

Doch angesichts der monatelangen Kämpfe in Tigray wird er seiner Rolle als Friedensstifter nicht gerecht – im Gegenteil. Die mehr als fünf Millionen Einwohner der Region wurden deswegen fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Hilfsorganisationen zufolge leiden in Folge der Kämpfe 350.000 Menschen in Tigray unter einer Hungersnot, doch Unterstützung ist wegen der Sicherheitslage und bürokratischer Hürden kaum möglich. Inzwischen sind weitere Akteure beteiligt, darunter eritreische Truppen und Milizen.

Die als marxistisch-leninistische Befreiungsbewegung Anfang der 70er Jahre gegründete TPLF war die stärkste Kraft der Parteienkoalition EPRDF, die Äthiopien bis 2019 regierte. Doch dann gründete Abiy das Bündnis neu – ohne TPLF. Der Konflikt in Tigray ist also auch einer um die Macht in ganz Äthiopien.

Kommunikationsanlagen abmontiert

Ein UNO-Beamter sagte, dass Soldaten die Satellitenkommunikationsanlagen mehrerer UNO-Organisationen in Mek’ele demontiert hätten, offenbar um die Kommunikation aus der Stadt heraus zu unterbinden. „Ich verurteile diese Aktion auf das Schärfste“, erklärte die Chefin des UNO-Kinderhilfswerks, Henrietta Fore, auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Die Soldaten hätten das Völkerrecht „bezüglich des Respekts humanitärer Hilfsobjekte“ gebrochen.

Am Abend waren laut übereinstimmenden Augenzeugenberichten Freudenschüsse in Mek’ele zu hören. Die Einwohner der Stadt feierten demzufolge die Ereignisse und tanzten auf der Straßen. „Alle sind aufgeregt, es gibt Musik auf den Straßen. Alle haben ihre Fahnen ausgerollt und die Musik spielt“, schilderte ein Bewohner.