Green Man, 2004
Lois Weinberger; Foto: Studio Lois Weinberger/Paris Tsitsos
Lois Weinberger

Apostel des Unkrauts

Er galt als „Schutzpatron des Wildwuchses“ und als Vordenker einer künstlerischen Ökologie: Der renommierte Tiroler Künstler Lois Weinberger, der letztes Jahr überraschend verstarb, wird nun gleich dreimal in Österreich gewürdigt. Nach einer kleinen Schau im Kunsthaus Bregenz und einem neu konzipierten „Kunst-Feldweg“ im burgenländischen Renaissancegarten Lackenbach lädt nun das Belvedere 21 mit einer umfangreichen Gedächtnisschau zur Erkundung von Weinbergers wuchernder Konzeptkunst.

Aus einem rohen, rostigen Käfig wachsen die Pflanzen so, als hätte man täglich Düngemittel zugefügt: Vor zehn Jahren setzte Weinberger ein leeres Stahlrohrgebinde-Häuschen in den Außenraum des Belvedere 21. Die „Wild Cube“ genannte Installation zeigt nun, wie beeindruckend dicht und meterhoch wuchernd Natur aussehen kann, wenn zugeflogene Bäume, Sträucher und Unkraut einfach ungehindert sprießen dürfen. Als Teil des losen Außenparcours der Weinberger-Schau wird diese gelungene Installation wohl nun wieder vermehrt Aufmerksamkeit erfahren.

„Lois Weinberger war einer der großen Weisen der zeitgenössischen Kunst, er hat ökologisches Denken avant la lettre als philosophische Disziplin aufgefasst“, so würdigte die Belvedere-Generaldirektorin Stella Rollig auf der Pressekonferenz den 1947 geborenen Künstler, der auf einem Bergbauernhof in Stams im Inntal aufwuchs und zunächst als Kunstschmied, Schlosser und Schauspieler arbeitete, bevor er als Österreichs bekanntester Konzeptkünstler international reüssierte.

Fotostrecke mit 9 Bildern

Wild Cube, 1991/2011
Lois Weinberger, Foto: Belvedere/Johannes Stoll
Seit zehn Jahren wuchernd im Belvedere-21-Außenraum: Lois Weinbergers „Wild Cube“ (2011)
Bischof, 2003 – 2019; Hochhaus für Vögel, 1976
Lois Weinberger; Lois Weinberger, Foto: Belvedere/Johannes Stoll
Weinberger rund um das Belvedere 21: Links „Portable Garden“, 1994–-2020, rechts „Hochhaus für Vögel“, 1976
Basics – die Idee einer Ausdehnung, 2018
Lois Weinberger, Foto: Belvedere/Johannes Stoll
„Basics – die Idee einer Ausdehnung“, 2018
Bischof, 2003 – 2019; Hochhaus für Vögel, 1976
Lois Weinberger; Foto: Studio Lois Weinberger/Paris Tsitsos
Ausstellungsansicht: In einem Kubus lassen kleinere Arbeiten in den Weinberger’schen Mikrokosmos eintauchen
Green Man, 2020
Beide: Lois Weinberger, Foto: Belvedere/Johannes Stoll
„Green Man“, 2020, Serie von 25 Werken
Home Voodoo I, 2004
Lois Weinberger; Foto: Studio Lois Weinberger/Paris Tsitsos
Still aus dem Video „Home Voodoo I“, mit Schneemann und Lourdeswasser, 2004
Debris Field, 2010-19
Lois Weinberger, Foto: Belvedere/Johannes Stoll
„Debris Field“, 2010–2019, eine Installation mit 1.000 Dachbodenfunden aus dem Elternhaus in Stams in Tirol, 14. bis 20. Jahrhundert
Ohne Titel  2014 (Katzenmumie, 18. Jahrhundert)
Lois Weinberger; Foto: Studio Lois Weinberger/Paris Tsitsos
„Ohne Titel / Untitled“, 2014: Weinberger mit Katzenmumie aus dem 18. Jahrhundert
Einer von 15 Duratransfilmen in Leuchtkästen
Lois Weinberger; Foto: Studio Lois Weinberger/Paris Tsitsos
Ausstellungsansicht, vorne: „Laboratory—Happy Science“ (1991–2020), rechts hinten: „Pferd“ aus den frühen 80ern

Feldarbeiter im doppelten Sinn

Vier Jahre hat das Belvedere 21 die „Basics“ genannte, circa 100 Arbeiten umfassende Weinberger-Großausstellung vorbereitet, zu weiten Teilen noch unter Beteiligung des Künstlers selbst, bevor dieser im April 2020 an einem Herzinfarkt starb. Mit Weinbergers Frau Franziska, mit der der Künstler ab 1999 zusammenarbeitete, stellte der Kurator Severin Dünser die Ausstellung jetzt fertig – auf Weinbergers Wunsch ausschließlich mit Arbeiten, die „noch nie in Wien zu sehen waren“, wie Dünser betont.

Als Künstler war Weinberger ein „Feldarbeiter“ im doppelten Wortsinn: ein Gärtner, der sich mehr als Ermöglicher von Vegetation und denn als ihr Bändiger verstand, und ein ethnografischer Forscher, der seiner Kunst oft humorvoll, mit einer poetisch-philosophischen Zielrichtung nachging. Sein Interesse galt dabei besonders den Ruderalenpflanzen – also den auf Brachlandschaften wachsenden, als unschön und nutzlos angesehenen Pflanzen, für deren Schutz er sich einsetzte.

Basics – die Idee einer Ausdehnung 2018
Lois Weinberger, Foto: Belvedere/Johannes Stoll
Im Hintergrund „Laubreise“ (2009), vorne die surrealistische Strauchinstallation „Skulptur La Gomera“ (2020)

Pflanzen als Migrationsmetapher

Im Belvedere 21 kann man das gleich mehrfach nachvollziehen: Mit „Gebiet I“ kultivierte Weinberger ab 1988 zehn Jahre lang eine Gstetten am Rand von Wien, deren „Erträge“ nun in Form von Bildern von Disteln, Hauswurzen und Zierlauch zu Beginn der Ausstellung zu sehen sind. Große Fototapeten erinnern anschließend an drei seiner berühmtesten Arbeiten: In seiner Aktion „Brandenburger Tor“ rückte Weinberger 1994 mit der Gießkanne aus, um die Berliner „Todeszone“ zu bewässern.

Mit „Gleisbettgarten“ 1997 bei der documenta x – der Arbeit, die den Künstler einer größeren Öffentlichkeit bekannt machte – siedelte er auf einer aufgelassenen Bahnstrecke Neophyten, also migrierte Pflanzen aus Süd- und Osteuropa an und lieferte so eine international beachtete Metapher für den Diskurs rund um die Fluchtbewegungen unserer Zeit, noch lange vor dem „Sommer der Migration“. „In den 1930ern hat es in den USA bereits geheißen, alles, was bei uns wächst, ist heimisch. Das sagt schon sehr vieles“, sagte er dazu einmal in einem „Standard“-Interview.

Komposthaufen auf der Venedig-Biennale

In seiner Arbeit „Laubreise“ setzte Weinberger 2009 wiederum einen riesigen Komposthaufen in den Österreich-Pavillon der Venedig-Biennale, den er dort vor sich hinmodern ließ. Wer diese Arbeit als Nachbau sehen mag, muss aktuell auf den „Erste Campus Wien“ gehen. Im Belvedere 21 beschränkt man sich auf Fotos und ein Making-off-Video: Aus konservatorischer Sicht ist Kompost mitsamt tummelndem Getier hier schlicht nicht erlaubt.

Im eher luftig bespielten Hauptraum will sich zunächst nur wenig Atmosphäre auftun: Mit einem surrealistisch anmutenden trockenen Strauch, auf dem Schuhsohlen hängen (2020), Textarbeiten auf Holzständern sowie einem geschmiedeten „Pferd“ aus den frühen 80er Jahren bekommt man stattdessen Einblick in die Breite an Materialien und Zugängen quer durch die Jahrzehnte – wohl auch ganz im Sinne des Künstlers, der seine Arbeit stets als Flechtwerk verstand, mit Strängen, die er immer wieder aufgriff.

Ironischer Schamanismus

Wer sinnlich-intensiv in Weinbergers Mikrokosmos eintauchen will, kommt aber schließlich in zwei Kuben auf seine Kosten. Der hintere, im schummrigen Licht gehaltene Raum fasst mehrere Dutzend kleinere Zeichnungen, Malereien, Skulpturen und Installationen mit Found-Footage-Material. Neben einer mit Tusche nachempfundenen Borkenkäferspur hängen etwa schnelle Abdrücke von Maiskolben und eine mit zerronnenen Farben gemalte „Kerze im Regen“. Von großer Zärtlichkeit zeugt ein kopfartiger Erdklumpen, aus dem ein Büschel vertrocknetes Gras ragt, das er Künstler zum Zopf geflochten hat.

Green Man, 2004
Lois Weinberger; Foto: Studio Lois Weinberger/Paris Tsitsos
Cultural appropriation? Weinberger als „Green Man“, 2004

Auf der gegenüberliegenden Wand tanzen zart gezeichnete, grüne Skelette auf 25 Aquarellen, gefertigt zwei Monate vor seinem Tod. Dabei griff der Künstler einmal mehr die Figur des „Grünen Manns“ auf, ein aus dem Keltischen stammendes Mensch-Pflanze-Mischwesen, das ihn zeit seines Lebens beschäftigte. 2004 etwa inszenierte er sich selbst als "Green Man“ mit tribalem Anklang, mit grüner Gesichtsbemalung und einer mondförmigen Muschel unter dem Mund.

Ausstellungshinweis:

Lois Weinberger: Basics. Belvedere 21. Bis 24. Oktober, dienstags bis sonntags 11.00 – 18.00 Uhr, 2. Juli bis 1. August freitags bis sonntags 11.00 – 21.00 Uhr.

Wer da „cultural appropriation“ schreit: Das naturnahe Mystische suchte Weinberger nie in einem verklärten „Anderswo“, sondern stets in nächster Umgebung, im Bäuerlichen seiner eigenen Herkunft. Davon zeugt auch „Home Vodoo“ (2004), eine Videoarbeit, in der er ein ironisch-schamanistisches Austreibungsritual mit einem Schneemann durchführt, unter Verwendung des „Lourdeswasser der Mutter“, wie es im Ausstellungstext heißt.

Katzenmumie vom Dachboden

Auf die Spuren der eigenen parareligiösen Herkunft begab sich der Künstler, der selbst 40 Jahre auf einem Bauernhof lebte, schließlich auch in „Debris Field“, jener documenta-Großinstallation von 2014, die hier im zweiten Kubus fasziniert.

Die circa tausend kuriosen Artefakte, teils noch aus dem 14. Jahrhundert stammend, hob der Künstler-Ethnograf zwischen 2010 und 2019 aus den Dach- und Zwischenböden seines Elternhauses aus. Zu den faszinierendsten Relikten zählt dabei eine gut erhaltene Katzenmumie, die, in die Wand einzementiert, Unheil abhalten sollte. Mit „Basic“ gelingt so schließlich ein tiefer Einblick in den politischen wie poetischen Mikrokosmos jenes Künstlers, dessen Arbeit heute relevanter denn je erscheint.