Menschen mit Reisekoffern in St. Pölten
ORF.at/Christian Öser
Hürde für den Herbst

Sommerloch als Impfbremse

Die Infektionszahlen sind niedrig, mit den neuen Regeln ab Donnerstag wird der nächste Schritt in Richtung Normalität gegangen. Doch im Hinblick auf die Delta-Variante warnen Fachleute vor dem Herbst und pochen auf eine möglichst hohe Durchimpfungsrate, von der man noch weit entfernt ist. Mit Urlauben und geringer Impfbereitschaft wird der Sommer nun zum Drahtseilakt – zwischen nötiger Entspannung und ausreichender Vorbereitung.

„Am liebsten sind uns 80 Prozent“, sagte Impfkoordinatorin Katharina Reich zuletzt in der ZIB2 im Hinblick auf die angestrebte Durchimpfungsrate und die Delta-Variante. Das ist ein ambitioniertes Ziel für den Herbst: Momentan sind knapp 53 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher zumindest teilimmunisiert, 34 Prozent gelten als vollimunisiert.

Die Ausgangssituation ist mittlerweile aber eine andere als etwa vor zwei Monaten: Galt damals noch die ausreichende Versorgung mit Impfstoff als größte Sorge, bereitet nun die Frage nach der Impfbereitschaft wesentlich größere Sorgen. In einigen Bundesländern ist es mittlerweile so, dass mehr Impfdosen als -willige vorhanden sind.

Regierung will keine Belohnungen

Am Mittwoch wurde dadurch eine Diskussion über mögliche Belohnungen für das Wahrnehmen von Impfterminen ausgelöst. Die Regierung bremste aber nach dem Ministerrat: „Die beste Motivation ist Aufklärung“, sagte Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne). Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich skeptisch, ob es richtig sei, die Menschen für die Impfung zu bezahlen.

Impfstrasse im Wiener Austria Center
Reuters/Lisi Niesner
Die Debatte über eine Belohnung für die Impfung wurde am Mittwoch entfacht

Ins Spiel gebracht hatte eine mögliche Belohnung zuvor der Handelsverband: Wer mindestens eine Impfung nachweisen könne „oder sich noch impfen lässt, soll einen Gutschein erhalten, der bei allen Unternehmen mit Betriebsstätte in Österreich einlösbar ist“, hieß es in einer Aussendung. Der Verband forderte einen Gutschein in Höhe von 50 Euro – die maximalen Kosten dafür in Höhe von 395 Millionen Euro seien „günstiger als ein erneuter Lockdown“.

Einigen Bundesländern bleibt Impfstoff übrig

Unabhängig vom Zugang wird das Erhöhen der Impfbereitschaft im Sommer wohl einer der entscheidenden Faktoren für mögliche Maßnahmen im Herbst sein. Erst am Dienstag ergab ein APA-Rundruf, dass es vielerorts nicht mehr am Impfstoff scheitert. Das geht mancherorts sogar so weit, dass es weit weniger Impfwillige als Impfstoff gibt.

In Oberösterreich sind noch über 80.000 Impftermine unbesetzt, in Salzburg können erstmals seit Impfbeginn nicht alle vorhandenen Dosen verimpft werden. Auch in der Steiermark hätte man genug Impfstoff, um 35.000 Menschen zusätzlich vollimmunisieren zu können. In Kärnten ist die Situation ähnlich, mittlerweile gibt es dort mehr Impfstoff als Anmeldungen. Und auch im Burgenland übersteigt das Angebot die Nachfrage. In Wien und Vorarlberg zeigt sich zumindest vorläufig noch ein gegenteiliges Bild – hier gibt es nicht genug Impfstoff für alle Impfwilligen.

Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP), der seit Donnerstag auch Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz ist, hält ein niederschwelliges Impfangebot für notwendig. Für ein generelles Zurückfahren des Impf- und Testangebots durch den Staat und der damit zusammenhängenden Infrastruktur sei es zu früh. Platter hält es für notwendig, dass bis zum Ende des Sommers 70 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft werden – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Werbung, aber keine Zusatzanreize geplant

Dennoch wollen praktisch alle Länder nun kräftig die Werbetrommel für die Impfung rühren, in der Hoffnung, möglichst viele zu erreichen. Vielerorts liegt der Fokus auf jungen Menschen – wohl nicht zuletzt, weil der Schulschluss unmittelbar bevorsteht und es in den Ferien schwieriger werden könnte, genügend Personen zu erreichen, um bis zum Herbst ausreichend gewappnet zu sein. Ein Blick auf die Impfstatistik zeigt, dass aber auch in anderen Altersschichten noch Luft nach oben ist: Alle Altersgruppen jünger als 65 sind von 80 Prozent Durchimpfungsrate noch relativ weit entfernt.

Zusätzliche Anreize brauche es laut Regierung dennoch nicht: Ohnehin würden schon sehr viele niederschwellige und kostenlose Angebote von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern finanziert, von den Gratistests bis zur Impfung, für die nichts zu bezahlen sei, so Bundeskanzler Kurz. Und: „Die Pandemie ist für alle vorbei, die geimpft sind.“ Jeder, der nicht geimpft sei, behalte hingegen das Risiko, dass er sich anstecke, so Kurz. Lokale kreative Ideen, wie man Menschen motivieren könne, wie zuletzt etwa mit einer Immunisierung beim Gasthausbesuch in einem oberösterreichischen Bezirk, unterstütze man aber.

Telefonzelle mit (Anti)-Impf-Graffiti
ORF.at/Roland Winkler
Nicht alle werden sich für eine Impfung entscheiden

Auch die Impfkoordinatorin gab sich zu möglichen Anreizsystemen eher bedeckt, man werde aber versuchen, mit der „Impfung mobil zu werden“: So überlege man etwa, mit Impfbussen „alle Winkel Österreichs“ zu erreichen. „Ja, wir denken über ganz viele Methoden nach, vor allem jetzt diejenigen anzusprechen, die auch am längsten warten mussten, mit all den Dingen, die jetzt kommen mit der Öffnung.“

Österreich „keine Insel“

Doch auch die Öffnungen könnten womöglich ein Hindernis sein: Mit der dringend benötigten Verschnaufpause für viele könnte auch die Pandemie aus dem Blickfeld rücken. Nicht zuletzt werden viele die Pause nützen, um überhaupt an einem anderen Ort zu entspannen – sind dann aber für das Impfsystem unerreichbar.

Mit den Lockerungen ist die Pandemie aber wohl nur vorläufig aus Augen und Sinn, nicht aus der Welt – die Impfkoordinatorin sieht unabhängig vom Impfstatus jedenfalls noch kein Ende: „Die Pandemie ist dann vorbei, wenn sie für die Welt vorbei ist“, so Reich in der ZIB2. „Das wird nicht Ende Juni der Fall sein.“ Auch verwies sie auf die Mobilität: Österreich sei „keine Insel“.

Delta bei Varianten in Österreich bereits vorn

Dass sich die Delta-Variante auch in Österreich trotz niedrigen Infektionsgeschehens rasant verbreitet, zeigen die Zahlen der AGES. In der abgelaufenen Woche gab es erstmals mehr nachgewiesene Fälle der Delta- als der Alpha-Variante, die ehemals als B.1.1.7 bekannt war.

Mückstein versicherte, dass man die Sorgen der Bevölkerung wegen der ansteckenderen Delta-Variante ernst nehme. Auch dass der Trend nach unten nicht anhalten wird, weiß man in der Regierung: „Natürlich“ würden die Zahlen „irgendwann“ wieder zu steigen beginnen, so Kurz. Das werde aber „hoffentlich“ nicht zur Überbelastung der Spitäler führen.

Über den Sommer soll eine eigens gebildete Kommission die Entwicklung im Auge behalten. Dieser gehören neben Kanzler Kurz, Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Gesundheitsminister Mückstein auch Tourismusministerin Elisabeth Köstinger, Außenminister Alexander Schallenberg, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (alle ÖVP), Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) und der dann Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz, Günther Platter (ÖVP), an. Bis dahin könnte sich vielleicht auch schon zeigen, ob man bis zum Herbst ausreichend viele Impfungen verabreichen wird. Man wird aber wohl auch überlegen müssen, was bei einer etwaigen vierten Welle zu tun ist.