Szene des Films „Der Mauretanier“ mit Tahar Rahim
Tobis Film
„Der Mauretanier“

Guantanamo-Trauma als Politthriller

Folter, Zwang und Einsamkeit: Jahrelang saß der mauretanische Staatsbürger Mohamedou Ould Slahi ohne Anklage in Guantanamo in Haft. Kevin McDonalds Politthriller „Der Mauretanier“, der ab Freitag im Kino zu sehen ist, ist die dramatische Nacherzählung seines Falles, mit Jodie Foster, Tahar Rahim und Benedict Cumberbatch in den Hauptrollen.

Nouakchott, Mauretanien im November 2001: Ein Hochzeitsfestzelt, Gesang und Tanz, und inmitten all der fröhlichen Gäste ein Mann im traditionellen Festgewand, der den anderen erzählt vom Leben in Deutschland. So beginnt „Der Mauretanier“, mit einem fröhlichen Slahi, gespielt von Tahar Rahim. Dann jedoch wird er von der Polizei abgeholt, löscht noch eilig die Kontakte in seinem Mobiltelefon und verabschiedet sich mit beruhigenden Worten von seiner Mutter.

Es ist das Letzte, was sie für viele Jahre von ihrem Sohn hören wird. Die CIA hält ihn für eine Al-Kaida-Schlüsselfigur, er habe direkte Kontakte zu Osama bin Laden gehabt, und nach den Aussagen eines anderen Mannes sei er an der Rekrutierung für die Anschläge beteiligt gewesen. Slahis Festnahme ist für die Amerikaner ein enormer Erfolg. So schnell wie möglich soll eine Verurteilung her, am besten die Todesstrafe. Mit diesem gewünschten Ergebnis wird der Veteran und Militärstaatsanwalt Stuart Couch (Benedict Cumberbatch) beauftragt.

Szene des Films „Der Mauretanier“ mit Tahar Rahim
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Ohne Anklage hinter Gittern: Mohamedou Ould Slahi (Tahar Rahim) in Guantanamo

Doch als Couch zu ermitteln beginnt, denn die Anklage soll doch auf festen Beinen stehen, stößt er bald auf Ungereimtheiten: Die Unterlagen, die er von den Verhören bekommt, sind nur Zusammenfassungen, die Haftbedingungen vorerst unklar. Und bald hat er mächtige Gegenspieler, die sich Slahis Fall angenommen haben, nämlich die Strafrechts- und Menschenrechtsanwältin Nancy Hollander (Jodie Foster) und die Amerikanische Bürgerrechtsunion (ACLU).

Unrechtmäßig in Haft

Dass Hollander sich mit der Verteidigung eines 9/11-Beschuldigten jahrelangen Ärger einhandelt, weiß sie selbst, doch auf die Einwände ihrer Anwaltspartner geht sie gar nicht ein. „Wir haben einander versprochen, wir reden einander nicht drein, welche Pro-bono-Fälle wir annehmen“, sagt sie, und damit ist die Frage vom Tisch. Foster ist als die trockene Anwältin das leuchtende Zentrum des Films, ein ideales Gegenüber des charismatischen Rahim, der den Gefangenen mit viel Empathie verkörpert.

Hollander plant ihre Verteidigung darauf zu stützen, dass Slahi jahrelang unrechtmäßig und ohne Anklage festgehalten wird, im nach 9/11 eigens für Verdächtige errichteten Internierungslager der US-Marinebasis Guantanamo Bay auf Kuba. Zumindest ihre Assistentin Teri Duncan (Shailene Woodley) glaubt fest an Slahis Unschuld, doch das ist gar nicht der Punkt hier. Die Verteidigung rechtsstaatlicher Prinzipien sind der Kern, um den es Hollander geht.

Bestseller-Tagebuch als Grundlage

Der schottische Regisseur Kevin McDonald, der bereits 2006 mit „Der letzte König von Schottland“ über Macht und Sturz des megalomanischen Diktators Idi Amin einen Politthriller nach wahren Begebenheiten inszeniert hat, schildert in „Der Mauretanier“ die Erlebnisse Slahis innerhalb Guantanamos. Basis des Drehbuchs sind die eigenhändigen Aufzeichnungen Slahis, die ab 2013, noch vor seiner Freilassung, zensiert in Buchform publiziert und zum weltweiten Bestseller wurden.

Über 15 Jahre lang war Slahi ohne Anklage eingesperrt, 14 davon in Guantanamo in Einzelhaft, 70 Tage wurde er derbster psychischer und physischer Folter ausgesetzt, von Schlafentzug durch Lärm, Kälte und Stehfolter über Vergewaltigung, Drohung und Waterboarding. In diesen drastischen Filmszenen verengt sich das 16:9-Kinobild etwa auf ein klaustrophobisches 4:3-Format, was zuvor noch wie Einzelhaft im sonnigen Kuba aussieht, wird hier zum Alptraum.

Szene des Films „Der Mauretanier“ mit Jodie Foster
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Im Zweifel für den Angeklagten – komme, was wolle: Nancy Hollander (Jodie Foster)(rechts) und ihre Assistentin Teri Duncan (Shailene Woodley)

Angeklagt wurde Slahi nie, das durch die Folter erpresste Geständnis konnte nicht verwendet werden. „Der Mauretanier“ handelt von einem Justizverbrechen, das bis heute nicht erschöpfend geklärt ist. Die Situation Slahis dauerte über die Präsidentschaft George W. Bushs hinaus an, selbst nach der Feststellung der Unrechtmäßigkeit der Haft wurde er unter Obama weiter festgehalten und kam erst 2016 frei.

Die Fähigkeit zur Freude nie verloren

Ob Slahi tatsächlich unschuldig ist, ist gar nicht das Thema des Films. Was tatsächlich passiert ist, wird zwar in einer traumartigen Rückblende erzählt, doch ob diese Version stimmt, lässt der Film offen. Erzählt ist all das in Form eines Politthrillers, der die Konventionen nie hinter sich lässt.

Es sind die absurden Details, die den Film lebendig machen, etwa dass neben dem Lager eine McDonald’s-Filiale steht, dass der Flughafen der Marinebasis einen Geschenkeshop mit Gefängnis-Merchandise hat, oder dass im Internierungslager zwar das Misshandeln von Leguanen unter Strafe steht, aber offenbar nicht das Foltern von Häftlingen.

Es ist ein Film, der fassungslos macht, wie amoralisch sich ein Staat verhält, der sich Demokratie an die Fahnen geheftet hat. Dass das Internierungslager nicht auf US-Boden errichtet wurde, um die Gefangenen möglichst weit weg unterzubringen, sondern vielmehr in einem de facto rechtsfreien Raum, um die Folterer vor den Konsequenzen ihrer Verbrechen schützen, ist die bittere Erkenntnis des Films.

Zugleich handelt „Der Mauretanier“ aber auch von der Widerstandskraft eines Menschen, der unter teils entsetzlichsten Umständen inhaftiert war. Dass er trotz allem seine Fähigkeit zur Lebensfreude bewahrt hat, beweisen Aufnahmen des echten Slahi am Ende des Films, und das ist die eigentliche, radikale Botschaft des Films: dass es sich lohnt, nicht aufzugeben. Was jedoch kaum zu fassen ist: Bis heute, fast zwanzig Jahre nach 9/11, warten immer noch 40 Menschen in Guantanamo auf einen fairen Prozess und auf ihre Freilassung.