Quentin Tarantino
Reuters/Mike Blake
Quentin Tarantino

Trashiger Pageturner als Debütroman

Schon vor Monaten war die Aufregung groß, als es hieß, dass Quentin Tarantino unter die Autoren geht. Jetzt ist es so weit: Mit der Romanversion von „Es war einmal in Hollywood“ bespiegelt der Kultregisseur einmal mehr nostalgisch das Hollywood von 1969 und nimmt dabei den Titel seines Megaerfolgs „Pulp Fiction“ von 1994 wörtlich: ein Buch für Film-Nerds, Trash- und Tarantino-Fans – mit einigermaßen hoher Sexismus-Toleranzschwelle.

Auf der deutschen Ausgabe blubbern poppig rot-orange Sixties-Blasen. Das englischsprachige Originalcover kommt dagegen umstandslos zum Punkt: In Eierschalenfarbe gehalten und mit Bildern der Filmhelden – Leonardo DiCaprio und Brad Pitt als lässig-abgelebte B-Movie-Protagonisten – ist die Aufmachung wie die eines Massenmarkt-Taschenbuchs von anno dazumal.

„Es war einmal in Hollywood“ ist Tarantinos erster Ausflug in die Literatur – und geht es nach dem „Guardian“ soll es übrigens nicht der letzte bleiben: Memoiren sind, so heißt es, bereits in Arbeit. Hier jedenfalls legt Tarantino die Romanadaption seines neunten und bisher letzten Films vor, ein „Beitrag zu diesem oft marginalisierten, aber geliebten Subgenre der Literatur“, wie ihn sein US-Verlagshaus HarperCollins zitiert.

Cover von „Once Upon a Time in Hollywood“
HarperCollins
„Hollywood 1969 … Du hättest dabei sein sollen“: Retro-Massenmarkt-Taschenbuch-Cover beim englischen Original von „Es war einmal in Hollywood“

„Cineastenköder-Knaller“

Was da heißt: Tarantino spielt nicht das „Quality Lit Game“, er versucht also gar nicht, wie zuletzt etwa „Being John Malkovich“-Drehbuchautor Charlie Kaufman, als ernsthafter Autor zu reüssieren, sondern springt lustvoll ins dreckige Groschenroman-Wasser. Seine Story beschwört roh und ungefiltert die späten 1960er Jahre, wo „echte“ Männer-Freundschaften, Gewalt und sexy Frauenfiguren noch fröhliche Urständ feierten und die B-Movies aus Tarantinos Kindheit auf der Leinwand liefen.

Für den Mut zum Trash wird er von den englischsprachigen Kritikern jedenfalls durchgehend gefeiert: „Wäre es besser geschrieben, wäre es schlechter“, meinte die „New York Times“, die das Buch als „pulpigen Pageturner“ lobte. Von einem „Cineastenköder-Knaller“ wiederum schrieb der Kritiker des „Variety“, der ebenfalls viel Vergnügen bei der Lektüre hatte.

Rein ins Hollywood 1969

Aber der Reihe nach: Mit einigen Abweichungen, Ausschmückungen und teils eins zu eins aus dem Film übernommen Dialogen geht es hier wieder mitten rein ins Hollywood von 1969. „Rosemaries Baby“ feierte damals seine triumphale Premiere, Charles Manson mit seiner Hippie-Sekte trieb sein Unwesen und ermordete schließlich grausam die hochschwangere Sharon Tate in ihrem Haus am Cielo Drive. Eine Tat, die, wie es heißt, das Ende der Sechziger markierte – so weit die hier nur teils so erzählte Hintergrundgeschichte.

Im Zentrum steht Rick Dalton (im Film DiCaprio), Held der Westernserie „Bounty Law“ und (fiktiver) Nachbar von Sharon Tate und Roman Polanski, der explizit als bipolar gezeichnet wird und schwer damit hadert, dass die ultramännlich-coolen Hauptdarsteller zusehends durch androgyne Langhaarige ersetzt werden. Für Dalton bleiben nur der Alkohol und die Italo-Western übrig, wobei die Karriere in der Buchversion durch ein überraschendes Plot-Mesh-up ein Stück weit wieder in Schwung gerät: Schon auf Seite 100 gibt es eine Fast-Forward-Version des Filmendes.

Stuntman als Filmfan

Der Plot ist auch an anderen Stellen umgeschrieben: Eine größere Rolle als im Film bekommt Rick Daltons Stuntman, Fahrer und Kumpel Cliff Booth (gespielt von Brad Pitt), der in einer Doppelrolle zwischen Frauenheld mit markigen Sprüchen und ernsthaftem Film-Aficionado in Erscheinung tritt. Akira Kurosawa ist top, Truffauts „Jules et Jim“ dagegen „scheißlangweilig“: Wenn man diesen Cliff ausführlich denken und reden liest, bekommt man bisweilen den Eindruck, dass Tarantinos Alter Ego da seinen Auftritt hat.

Cover von „Es war einmal in Hollywood“
Kiepenheuer & Witsch
Quentin Tarantino: Es war einmal in Hollywood. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Melle und Stephan Kleiner. Kiepenheuer & Witsch, 416 Seiten, 25,95 Euro.

Der Detailreichtum, mit dem Tarantino sein einschlägiges Wissen einfließen lässt, ist beizeiten etwas überschießend. Bisweilen aber sind diese ruppig vorgetragenen Insider-Stories richtig mitreißend, etwa die Ausführungen zum berüchtigten Sexfilm „Ich bin neugierig (gelb)“, der damals für Aufsehen sorgte, oder Einblicke in Kurosawas Filmproduktionen oder Polanskis Karriereschritte – womit das Buch sicher einige Filmfans gut bedient und beizeiten echte Pageturner-Qualitäten hat.

Standardsätze statt Doppelbödigkeit

Dieses nerdige Filmwissen und ein teils flott erzählter Plot können nicht wirklich darüber hinwegtäuschen, dass das Buch an den Glanz des Films nicht anschließen kann. Während es dort präzise durchgeführte Szenenbilder und Kamerafahrten gab, während Hollywood-Topstars dem Film ironische Strahlkraft und kunstvolle Doppelbödigkeit verliehen, gibt es hier vor allem viel rohen Trash – und, wenn man so will, „Mut“ zu einer hohen Abgelutschte-Standardsätze- und Sexismus-Dichte.

Ein Beispiel ist folgender Satz: „Als der Cowboy näher kam, sah er, dass das enge rosa T-Shirt zwei große, hüpfende Brüste bedeckte und dass ihre langen nackten Beine ungewöhnlich weiß waren.“ Ein bisschen Glamour lässt sich vielleicht hinüberretten, hat man die beiden Stars auch beim Lesen vor Augen.

Indem Tarantino das Genre 70er-Groschenroman wählt, hat er scheinbar einen entscheidenden Vorteil, dass er sich nicht um Repräsentationsfragen scheren muss, darum, ob es okay ist, mit Leichte-Mädchen-Hippie-Storyschnipseln den Voyeurismus seines Publikums zu bedienen. Alles eh nur Trash-Literatur, scheint das Format den Lesern und Leserinnen zuzuraunen, also immer ganz locker bleiben.