Kerzen am Fundort des ermordeten 13-jährigen Mädchens in Wien-Donaustadt
APA/Herbert Neubauer
13-Jährige getötet

Festnahme, Haftbefehl und runder Tisch

Die Tötung eines 13-jährigen Mädchens in Wien-Donaustadt schlägt weiter hohe Wellen. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren, neben einer dritten Festnahme wurde am Donnerstag auch bekannt, dass noch ein weiterer möglicher Mittäter gesucht wird. Unterdessen berief Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) einen runden Tisch zum Thema ein.

Da es sich bei den festgenommenen Tatverdächtigen um drei afghanische Geflüchtete handelt, fachte der Fall erneut das Thema Asyl und Straffälligkeit an. Edtstadler forderte nach dem runden Tisch von Justizministerin Alma Zadic (Grüne) die Einschaltung der Dienstaufsicht. Wäre schneller gehandelt worden, wäre einer der Verdächtigen wahrscheinlich zum Zeitpunkt der Tat schon abgeschoben gewesen, meinte Edtstadler bei einer Pressekonferenz.

Zu dem runden Tisch waren Experten und Expertinnen geladen, konkrete Maßnahmen wurden im Anschluss zwar nicht verkündet, aber die Botschaft Edtstadlers war, dass man nicht zur Tagesordnung übergehen könne. Der Ministerin missfiel etwa, dass man subsidiär Schutzberechtigten auch nach Kapitalverbrechen die Möglichkeit zu Berufungen gegen die Abschiebung einräumt. Insgesamt warb sie dafür, den Rechtsrahmen auszuschöpfen. Gefordert sah die Europaministerin aber auch die europäische Politik mit rascheren Abschiebungen, weiteren Rücknahmeabkommen und einem effektiveren Außengrenzschutz.

Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) und Franz Ruf, Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit
APA/Helmut Fohringer
Edstadler und der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, erläuterten nach dem Runden Tisch Details zum Fall und weitere Maßnahmen

Runder Tisch nur der „Anfang“

In den einzelnen Beiträgen der Fachleute wurde ein starker Fokus auf ein mutmaßlich fehlgeleitetes Verständnis von Frauen bei muslimischen Männern gelegt. Vorgebrachtes Zahlenmaterial diente dazu, eine stärkere Kriminalität vor allem afghanischer Flüchtlinge darzustellen. Bei Inländern seien auf 100.000 Einwohner 883 Straftaten aufgekommen, bei Afghanen aber 4.000, führte der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, aus. Sie seien auch bei Sexualdelikten überrepräsentiert.

Edstadler sagte einmal mehr, dass, wer in Österreich Schutz suche, die hiesigen Werte auch zu respektieren habe: „Wer das nicht tut, hat in dem Land nichts verloren.“ Man müsse daher genau hinsehen, wo der „politische Islam“ sein Unwesen treibe. Der runde Tisch sei nur der Anfang der intensiveren Beschäftigung mit dem Thema gewesen.

Doskozil fordert „konsequente Migrationspolitik“

Ähnliche Töne schlug Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) an. Er verlangte von seiner Partei „vollkommene Kooperation“ mit der Regierung bei einer „konsequenten Migrationspolitik“ – mehr dazu in burgenland.ORF.at.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nahm den Ball sofort auf und warb in einem Medienstatement Donnerstagmittag für einen Schulterschluss aller Parteien, Abschiebungen von straffälligen Asylwerbern nach Afghanistan weiter durchzuführen. Ideen von Rot und Grün bezüglich eines Abschiebestopps seien unpassend, so Kurz. In alle Länder, bei denen das bisher schon der Fall sei, müsse abgeschoben werden. Er erwarte von Sozialdemokraten und Grünen ein Umdenken.

Die FPÖ forderte eine Abschiebeoffensive nach Afghanistan. Parteichef Herbert Kickl sprach einen „Zehnpunkteplan“ zur „Abwehr von Gewalttaten durch Asylwerber bzw. Asylberechtigte“ an. NEOS wiederum schlug vor, die Maximaldauer nach Schweizer Vorbild bis zum zweitinstanzlichen Erkenntnis mit 180 Tagen zu beschränken. „Ein positiver Asylbescheid bedeutet: Zugang zum Arbeitsmarkt, massive Unterstützung für rasche Integration und damit volle Chancen. Ein negativer Asylbescheid bedeutet: entschlossene Rückführung“, so Vizeklubchef Nikolaus Scherak.

13-Jährige getötet: Dritte Festnahme

Nachdem am Wochenende ein 13-jähriges Mädchen im Wiener Bezirk Donaustadt ermordet wurde, hat die Polizei Mittwochabend einen dritten Verdächtigen festgenommen. Nach einem vierten Verdächtigen wird gefahndet. Die ÖVP übt derweilen Kritik am grünen Koalitionspartner.

Grüne gegen politische Instrumentalisierung

Zadic hatte sich in der Vergangenheit kritisch zu Abschiebungen nach Afghanistan geäußert und sich für eine Evaluierung ausgesprochen. Vizekanzler Werner Kogler und Justizministerin Alma Zadic meldeten sich dann am Donnerstag zu Wort. Die beiden grünen Regierungsmitglieder sprachen sich gegen eine politische Instrumentalisierung des Falles aus. Kogler erinnerte an das Regierungsprogramm und betonte, dass Zadic nie einen Abschiebestopp nach Afghanistan gefordert habe.

„Woran wir uns alle nicht beteiligen sollten und ich mich sicher nicht beteiligen werde, ist das Wechseln von politischem Kleingeld und das Spalten der Gesellschaft“, erklärte Kogler in einer Aussendung. Den Fall bezeichnete er als „grausame Tat, für die die Täter mit allen Mitteln des Rechtsstaates verfolgt und verurteilt gehören“. Klar sei: „Wer bei uns Schutz vor Gewalt und Verfolgung sucht und auch braucht, soll ihn bekommen. Wer aber bei uns schwere Gewaltverbrechen begeht, muss dieses Land wieder verlassen.“ So stehe es auch im Regierungsprogramm: „Konsequente Abschiebung von straffällig gewordenen Drittstaatsangehörigen, denen der Schutzstatus aberkannt wurde.“

Zadic: Wer schweres Verbrechen begeht, muss gehen

Im Regierungsprogramm vereinbart und geltende Rechtslage sei zudem die laufende Neubewertung der Sicherheitslage der Herkunftsländer von Asylwerbern unter Berücksichtigung der Erkenntnisse internationaler Organisationen, insbesondere des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM). „Und dass nach EMRK (Europäischer Menschenrechtskonvention, Anm.) jeder Fall individuell zu prüfen ist, bevor abgeschoben wird“, so Kogler: „Das hat die Justizministerin in der Debatte wiedergegeben.“

Auch Zadic betonte: „Wer bei uns Schutz vor Gewalt und Verfolgung sucht, bekommt ihn auch – wer aber bei uns schwere Gewaltverbrechen begeht, muss dieses Land wieder verlassen.“ Sie werde diesen „erschreckend brutalen Fall“ nicht politisch instrumentalisieren. „Das entspricht nicht meinem politischen Stil, und daran werde ich mich nicht beteiligen. Wichtig ist, dass wir den Fall rasch aufklären und die Täter mit allen Mitteln des Rechtsstaats zur Verantwortung ziehen. Das sind wir den Angehörigen schuldig. Diesen möchte ich nochmals mein aufrichtig empfundenes Mitgefühl ausdrücken“, so die Justizministerin.

Die von der SPÖ beschlossene Resolution sieht unterdessen vor, „dass Österreich keine Abschiebungen in Krisenregionen oder Länder, in denen der Aufenthalt vom österreichischen Außenministerium als Risiko eingestuft wird, durchführt“ – so der Fall bei Afghanistan. Aus Sicht von SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch steht das der Abschiebung von Asylwerbern, die schwere Straftaten begangen haben, aber nicht entgegen, wie er in einer Aussendung sagte: „Für die SPÖ ist vollkommen klar: Wer um Asyl ansucht, muss sich an Gesetze und Regeln halten. Wer unsere Gesetze missachtet, hat in Österreich keinen Platz und kein Recht auf Schutz.“

Duldung wurde von BFA ausgesprochen

Das Bundesverwaltungsgericht (BvWG) wies indes die Schuldzuweisung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in dem Fall zurück. Zwar bestätigte ein Sprecher, dass das Asylverfahren gegen einen der tatverdächtigen Afghanen bereits seit Ende 2019 läuft. Allerdings verwies er darauf, dass das Bundesamt selbst die Duldung des 18-Jährigen in Österreich ausgesprochen hatte. Die lange Dauer erklärte das BvWG mit Zigtausenden anhängigen Asylverfahren.

BFA-Direktor Gernot Maier verwies darauf, dass das BFA nach mehreren Verurteilungen den Schutzstatus für den Afghanen aufgehoben habe. Vor einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die Beschwerde des jungen Mannes habe man aber keine Abschiebung durchführen dürfen. Und die Beschwerde sei seit November 2019 unerledigt.

Dritte Festnahme bestätigt

Ruf bestätigte am Rande des runden Tischs am Donnerstag die dritte Festnahme. Diese sei am Mittwochabend erfolgt. Beim dritten Verdächtigen handelt es sich um einen 23-jährigen, bereits amtsbekannten Afghanen. Er soll dem Vernehmen nach bereits wegen Suchtgiftdelikten verurteilt worden sein.

Der junge Mann wurde am Mittwoch gegen 22.00 Uhr bei der U-Bahn-Station Michelbeuern in Alsergrund von Beamten des Landeskriminalamtes gemeinsam mit Polizisten der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) gefasst. Gegen ihn besteht der Verdacht, dass er „an der Tathandlung beteiligt gewesen sein dürfte, die zum Tod der 13-Jährigen geführt hat“, sagte Polizeisprecher Markus Dittrich.

Vierter Haftbefehl

Auch ein vierter Haftbefehl könne bestätigt werden, so Ruf. Gesicherten Informationen der APA zufolge wird nach einem 22-jährigen Afghanen seit Dienstag mit Europäischem Haftbefehl gesucht. Die „Kronen Zeitung“ berichtete online, dass die Ermittler davon ausgehen, dass das Mädchen von einer Gruppe junger Männer missbraucht worden sei. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es seitens der Polizei nicht. „Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren. Weitere Tatverdächtige können nicht ausgeschlossen werden“, sagte Dittrich. Ruf sprach von einer „dynamischen Entwicklung“ bei den Ermittlungen. Details nannte er keine.

Das Mädchen war Samstagfrüh an einen Baum gelehnt vor der Wohnung des 18-jährigen Tatverdächtigen in der Donaustadt gefunden worden. Einem beigezogenen Gerichtsmediziner zufolge war die 13-Jährige erstickt. Am Montagabend wurden der 18-Jährige und ein 16-jähriger Landsmann festgenommen. Die Polizei kam durch Zeugenaussagen auf die Spur der beiden. Der Ältere wurde bereits dreimal gerichtlich verurteilt.

Einvernahme der Verdächtigen ohne Ergebnis

Unterdessen wurden die zwei anderen Verdächtigen einvernommen – allerdings erfolglos. Die Einvernahmen des 16-Jährigen und des 18-Jährigen trugen angeblich bisher nicht zur Aufklärung bei. Der Jüngere schwieg bisher, während der Ältere bestritt, etwas mit der Tötung des Mädchens zu tun zu haben.

Am Mittwoch wurden die beiden in die Justizanstalt Josefstadt überstellt. Die Anklagebehörde hat ab da 48 Stunden Zeit, um U-Haft-Anträge einzubringen. Die Staatsanwaltschaft gab bereits die Einholung mehrerer Fachgutachten – darunter ein Obduktionsgutachten zur Abklärung der genauen Todesursache sowie ein toxikologisches und ein molekulargenetisches Gutachten – in Auftrag.

Nähere Umstände weiter unklar

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl hatten am Montag Details zu den Ermittlungen bekanntgemacht. Das Mädchen habe die beiden Verdächtigen gekannt und sie freiwillig in die Wohnung des 18-Jährigen begleitet.

Dort wurden ihr Pürstl zufolge Drogen – vermutlich Ecstasy – verabreicht, es hätten „Straftaten gegen die sexuelle Integrität“ des Mädchens stattgefunden. Die näheren Umstände ihres Todes und wie sie auf die Straße kam, sind weiterhin unklar. Die Kinder- und Jugendhilfe Niederösterreich teilte mit, dass „die betroffene Minderjährige an die örtlich zuständige Kinder- und Jugendhilfe angebunden und somit dieser bekannt war“.