Sebastian Kurz (ÖVP)
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„Ibiza“-Ausschuss

Kurz ortet „Hass“, Wirbel um Anzeige

In der letzten regulären Sitzung des „Ibiza“-U-Ausschusses wird am Donnerstag Bundeskanzler Kurz (ÖVP) befragt – es ist sein zweiter Auftritt. Der Auftakt verlief recht turbulent, noch vor der Befragung tauchte die Information über eine anonyme Anzeige auf, Kurz erneuerte gleich eingangs die Kritik an der Arbeitsweise des Ausschusses und plädierte für eine Reform. Generell wies die Befragung einige Besonderheiten – oder besser gesagt: ungewöhnliche Längen – auf.

Er habe Respekt vor allen demokratischen Institutionen, aber er habe den Eindruck, dass versucht werde zu skandalisieren. Er mache sich „Sorgen um den politischen Diskurs“. Im U-Ausschuss gebe es zunehmend offene Ablehnung und „Hass“. Erreicht werden könne eine Reform mittels einer Befragung durch Richter, so Kurz, damit die „Wahrheit im Zentrum“ stehe. Das vergangene Jahr habe auch ihn geprägt, er habe bei seiner Befragung vor einem Jahr versucht, mit seinen Antworten schnell zu reagieren und diese nach bestem Wissen und Gewissen zu geben, so Kurz.

Seine Premiere vor etwa einem Jahr sorgte für Nachhall, sie mündete in eine Anzeige und letztlich Ermittlungen wegen möglicher Falschaussage im U-Ausschuss – es gilt die Unschuldsvermutung. Kurz dazu nun: „Jahre später während einer Pandemie zu Nebenschauplätzen befragt zu werden ist keine einfache Situation.“ Er sei mit dem Vorsatz gekommen, die Wahrheit zu sagen, so Kurz. Da sei wohl der Fehler passiert, dass er zu schnell oder „flapsig“ geantwortet habe. „Was hätte ich von einer Falschaussage?“, fragte Kurz.

„Bin mir vorgekommnen wie ein Schwerverbrecher“

Den Ball versuchte die SPÖ zurückzuspielen: Fraktionsführer Kai Jan Krainer legte Kurz das Protokoll von dessen letzter Ausschuss-Befragung vor. Weil Kurz behauptet habe, er sei unter Druck gesetzt worden, solle er sagen, welche Stellen er konkret meine, so Krainer.

Das dauerte länger, und Kurz sagte danach, er habe das Dokument nun nicht vollständig lesen können, aber er erinnere sich an Zwischenrufe, Suggestivfragen, Unterstellungen, Geschäftordnungsdebatten, zynische Wortmeldungen. Bei einer Zeugenbefragung einst durch eine Staatsanwaltschaft sei das ganz anders gelaufen, da sei er in ruhiger und freundlicher Atmosphäre befragt worden. Im Ausschuss sei er sich „vorgekommnen wie ein Schwerverbrecher, den sie hier überführen wollen“.

U-Ausschuss hört sich U-Ausschuss an

Dem wollte wiederum Krainer kontern, man möge doch die zuletzt an die Öffentlichkeit gelangen Soundfiles von der ersten Kurz-Befragung vorspielen, um einen Eindruck zu bekommen von der Stimmung damals im Saal. Das führte zu einer langen Unterbrechung, danach wurden zwei Files vorgespielt. Es ging um die Frage nach der Aufsrichtsratsbestellung und die Entscheidung, dass die ÖBAG einen Alleinvorstand erhält. Krainer danach an Kurz: „Waren das diese Stellen, die sie gemeint haben?“

„Da müsst der schon ein fester Trottel sein“

Eingangs von Verfahrensrichter Pöschl zu Spenden der Novomatic (von einer solchen war in einem Chat zwischen Ex-CEO Harald Neumann und Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) die Rede) gefragt, sagte Kurz, dass es solche an die ÖVP nie gegeben habe. Er hielt fest, dass die Bundespartei in seiner Zeit keine Spende von der Novomatic bekommen habe.

Sebastian Kurz (ÖVP)
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Kurz sprach bereits bei seiner Ankunft über eine „nötige U-Ausschuss-Reform“

Er könne ausschließen, dass er Novomatic-Gründer Johann Graf dazu getroffen habe. „Hätte mir die Novomatic eine Spende angeboten, hätte ich dankend abgelehnt.“ Die Masse der ÖVP-Spender „waren immer Kleinstspender“, gab der Kanzler an. „Die machen das, weil es ihnen nicht egal ist, was in diesem Land passiert“, so Kurz, der sagte, dass stets alles korrekt abgelaufen sei.

Der Vorwurf, dass die Volkspartei bestechlich ist, sei an „Absurdität nicht zu überbieten“: „Zu glauben, dass jemand eine Straftat begehen würde, sein Leben wegzuwerfen, ins Gefängnis zu gehen – alles für eine Spende an die Volkspartei“, sei völlig absurd. „Dafür, dass der persönlich überhaupt nichts davon hat, sondern nur die Institution (die ÖVP, Anm.), da müsst der schon ein fester Trottel sein“, so Kurz auf Fragen von ÖVP-Mandatar Klaus Fürlinger.

Wortreiche Antworten auf ÖVP-Fragen

Dabei dauerte die erste Fragerunde der ÖVP (sie startete mit den Fragen) fast zwei Stunden, weil Kurz auf die sehr knapp gestellten Fragen äußerst wortreich antwortete. Dabei ging es um Themen wie die Zusammenarbeit mit anderen Parteien und den Grad der Einbindung des Kanzlers in personelle Entscheidungen. Generell: Es gebe ja jeden Tag mehr Entscheidungen, als man treffen könne, deswegen: „Je mehr man sich fernhalten kann, umso besser“, so Kurz.

Ob er sich je über den Ermittlungsstand der „Ibiza“-Causa erkundigt habe? Er habe nie etwas Illegales dazu getan, wiewohl er viele Gespräche geführt habe mit vielen Personen, so Kurz. Ob ihm die Ermittler persönlich bekannt seien? „Wenn ich richtig informiert bin, sind das Soko Tape und WKStA“, antwortet Kurz. Auch geredet wurde über die Schredder-Causa – Kurz dazu sinngemäß: Ein junger Mann habe einen Fehler gemacht, dass dieser dann wegen einer nicht bezahlten Rechnung von der Polizei abgeholt und Straftaten verdächtigt wurde, sei ein „Skandal“.

Auch seine Ansichten zu Diskussionen über die Justiz wurden von der ÖVP abgefragt: „Die Justiz wird teilweise missbraucht“, so Kurz. Er würde die Justiz niemals „pauschal kritisieren“, in Einzelfällen müsse es aber möglich sein, „konkret“ Kritik zu üben, so Kurz – er habe ja schließlich nur eine der 17 Staatsanwaltschaften in Österreich kritisiert. In diesem Zusammenhang nannte Kurz auch die Kirche: Problematische Vorgänge dort, etwa Missbrauch, dürfe man ja schließlich auch kritisieren, so der Kanzler sinngemäß. „Es gibt keinen Bereich, der sakrosankt ist“, so Kurz.

Anonyme Anzeigen wegen Kirchenchats

Apropos Kirche: Schon vor der Befragung war eine anonym eingebrachte Anzeige gegen Kurz „wegen Nötigung der katholischen Kirche“ Thema – nämlich angeblich anlässlich der bekanntgewordenen Kirchenchats. Die SPÖ mutmaßte, dass die Anzeige eingebracht wurde, damit sich Kurz zu dem Thema entschlagen könne. Anzeigen seien nicht gut für den politischen Diskurs, sagte Kurz in einem Statement schon vor dem U-Ausschuss-Lokal.

Der Hintergrund: Es ging damals um die Überlegung der Streichung von Steuerprivilegien für die Kirche, der damalige ÖBAG-Chef Thomas Schmid konferierte anlässlich bevorstehender Gespräche mit dem Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka, mit dem Kanzler, und dieser wies Schmid an, „Vollgas“ zu geben. Die SPÖ sagte nun, die nun aufgetauchte Anzeige habe wohl ein gewisser „A. H.“ eingebracht, was ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger empört zurückwies.

Hanger rät Krainer zu „Psychiater“

SPÖ-Fraktionsführer Krainer sei eine „Schande“ für den Parlamentarismus, er solle einen „Psychiater aufsuchen“, man habe nun einen „Tiefpunkt“ erreicht, so Hanger. Dass man nun versuche, der ÖVP eine Anzeige in Sachen Kirchenchats zu unterstellen, sei „letztklassig“. Krainer bezeichnete Kurz vorab als einen „Insider“ des „türkisen Staats im Staat“.

Kai Jan Krainer (SPÖ)
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Krainer gegen Hanger – und umgekehrt. Das Match war erwartbar.

FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker äußerte sich „gespannt, was die türkise Familienaufstellung bringen“ werde. Einige Punkte seien offen – generell schlage die ÖVP wie ein Ertrinkender um sich. Grünen-Fraktionsführerin Nina Tomaselli hoffte, dass es im Zuge der Befragung keine „Entschlagungsorgie“ geben werde. Der Kanzler habe gesagt, dass er für Aufklärung sorgen wolle, so Tomaselli („Und ich nehme ihn beim Wort“). Es gehe darum, das Bild der österreichischen Politik zurechtzurücken.

NEOS: Kurz „mittendrin statt nur dabei“

NEOS-Fraktionschefin Stephanie Krisper sagte vorab, dass Kurz beim ersten Termin nicht die Wahrheit gesagt habe, weswegen man ihn nun noch einmal befragen müsse. Material habe es beim ersten Termin auch nicht gegeben, erst später seien die Chats aufgetaucht. Dann habe man erkannt, dass Kurz „mittendrin statt nur dabei war“, als „die Posten innerhalb der türkisen Familie verschachert“ worden seien, so Krisper. Kurz solle nun „sein Handeln von A bis Z erklären“.

Sebastian Kurz (ÖVP)
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Kurz unmittelbar vor seiner zweiten Befragung im U-Ausschuss

Mitschnitte von erster Kurz-Befragung aufgetaucht

Auch Thema könnten die durch Zackzack, das Medium des Ex-Abgeordneten Peter Pilz, am Vortag veröffentlichten Mitschnitte von Kurz’ erster Befragung im Ausschuss werden. Hintergrund: Für die genauere Klärung der Aussagen hatte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vom Parlament die Mitschnitte angefordert – über einen unbekannten Weg landeten sie bei Zackzack. Die FPÖ hatte in der Veröffentlichung einen „Spin“ der ÖVP vermutet, indem man der WKStA unterstellen wolle, Beweismittel zu leaken. Die ÖVP wies die Spekulation zurück; man habe nichts mit einer Weitergabe zu tun.

Generell war das Finale des „Ibiza“-Ausschusses von breitem Zeugenschwund geprägt. Ex-FPÖ-Chef und -Vizekanzler Heinz-Christian Strache etwa sagte aufgrund des Bootsbrandes in Kroatien ab (und bot ein Erscheinen zum Ersatztermin Mitte Juli an), Ex-ÖBAG-Chef Schmid erschien nicht, gleichsam der ehemalige Casinos-Vorstand und SPÖ-Politiker Dietmar Hoscher, auch Zadics stellvertretende Kabinettschefin Sarah Böhler konnte nicht befragt werden.