Detail vom Ibiza U Ausschuss
ORF.at/Lukas Krummholz
U-Ausschuss

Auftritt der Reformideen

Kaum ein Untersuchungsausschuss hat so hohe Wellen geschlagen wie jener über die „mutmaßliche Käuflichkeit der ÖVP-FPÖ-Regierung“. Mit dem „Ibiza-Video“ fing es an, mit Chats ging es weiter, und mit einem Endbericht wird die Aufklärung enden. Neben den Befragungen prägten auch Reformideen den U-Ausschuss. Doch die Frage nach Änderungen ist noch lange nicht beantwortet.

Um den U-Ausschuss ist es zwar ruhig geworden. Doch im Hintergrund feilen die Fraktionen und allen voran der Verfahrensrichter an ihren Berichten. Welche Schlüsse ziehen sie aus den Befragungen? Im Fokus wird der Inhalt stehen. Der Frage, wie der U-Ausschuss arbeitete oder ob man diesen nun ändern sollte, wird hingegen kaum nachgegangen. Doch Rufe nach einer Reform des U-Ausschusses überschatteten nicht selten die Arbeit der Abgeordneten: die parlamentarische Kontrolle.

Nationalratspräsident und U-Ausschuss-Vorsitzender Wolfgang Sobotka (ÖVP) stellt etwa die Wahrheitspflicht für Auskunftspersonen infrage. Etwas später stellte er klar, dass er nicht für die Abschaffung sei. Sein Kollege, ÖVP-Mandatar Andreas Hanger, forderte eine Wahrheitspflicht für Fragestellende. Und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) schlug just am Tag seiner Befragung vor, dass Richter und Richterinnen die Fragen stellen sollten. Die Vorsitzfrage und die Forderung nach Livestreaming der Befragungen waren ebenfalls omnipräsent.

„Typisches Kompromissprodukt“

Will man die Verfahrensordnung für U-Ausschüsse ändern, betrifft das die Geschäftsordnung des Nationalrats. Novellen können also nur von den Abgeordneten selbst initiiert werden. Neben Zeit wird auch eine Zweidrittelmehrheit benötigt. Usus ist sogar, dass unter den Parteien Einstimmigkeit erzielt wird. So votierten 2014 fünf der sechs Klubs für die neue Verfahrensordnung, die den U-Ausschuss als Minderheitsrecht gesetzlich verankerte. Die Verfahrensordnung gilt auch heute noch als Meilenstein, für den früheren Verfahrensrichter Eduard Strauss ist sie ein „typisches Kompromissprodukt“.

Der ehemalige Verfahrensrichter Eduard Strauss
ORF.at/Roland Winkler
Jurist Strauss lernte als Verfahrensrichter den U-Ausschuss und die Regeln besser kennen

Der mittlerweile pensionierte Richter beriet 2018 als Verfahrensrichter im BVT-U-Ausschuss die Vorsitzende Doris Bures (SPÖ) und lernte die Verfahrensordnung besser kennen. Das Problem seien allerdings gar nicht die Regeln, sondern dass diese „nicht auf Punkt und Beistrich gelebt“ werden, sagte Strauss. Zwar sei seine Rechtsmeinung während der Befragung, wie rechtlich vorgesehen, gebührend berücksichtigt worden. Doch die Vorbereitungen hätten ohne seine Expertise als Richter stattgefunden.

In dieser Phase des U-Ausschusses wären die Beratungen dem Prinzip „Sie sind eh einverstanden, nicht?“ gefolgt. Strauss hätte gerne mehr unterstützend eingegriffen, etwa bei der Erstellung des Arbeitsplans und bei der Reihung der Auskunftspersonen. Er möchte niemanden bevormunden, „aber ich will Linien hineinbringen. Wo wollt ihr denn überhaupt hin?“, sagte der Jurist. Klar ist aber, dass der U-Ausschuss ein politisches Gremium ist. Die Abgeordneten sollen Fragen stellen, und der Vorsitz soll in den Händen des Parlaments bleiben. „Alles andere wäre nicht im Sinne des Erfinders.“

Vorsitz in mehreren Händen

Auch Politologin Tamara Ehs erinnerte daran, dass der U-Ausschuss ein politisches und kein richterliches Kontrollinstrument ist. „Das sind nicht bloß zwei Paar Schuhe, sondern unterschiedliche Gewalten im Staatsaufbau“, sagte sie im Gespräch mit ORF.at. Der Vorsitzende bzw. die Vorsitzende solle daher auch aus den Reihen der Abgeordneten kommen. Die Demokratieforscherin könnte sich aber vorstellen, dass der Vorsitz rotierend gestaltet wird. Nicht nur Nationalratspräsidenten sollen sich abwechseln, sondern auch die Klubchefs.

Seit 2015 sitzt der Nationalratspräsident bzw. die -präsidentin dem U-Ausschuss vor. Als Vertretung fungieren die zwei nachgereihten Nationalratspräsidenten. Sie sind keine U-Ausschuss-Mitglieder und nicht stimmberechtigt. Vor der Reform 2015 war das anders. Aus den Reihen der U-Ausschuss-Mitglieder wurde ein Obmann bzw. eine Obfrau gewählt – in Deutschland ist das heute noch der Fall. Bei einem Wien-Besuch 2014 nannte der deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die damals kursierende Idee, dass der Vorsitz dem Nationalratspräsidenten übertragen wird, „abwegig“.

Wolfgang Sobotka im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss
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Seit 2015 sitzt der Nationalratspräsident bzw. die Nationalratspräsidentin dem U-Ausschuss vor

Die Vorsitzfrage ist im Zuge des „Ibiza“-U-Ausschusses in den Fokus gerückt. Für die Opposition war Nationalratspräsident Sobotka wegen seiner Kontakte mit Novomatic-Vertretern (Stichwort Alois-Mock-Institut) befangen und verzögere mit seiner Verfahrensführung die Befragungen. Der ÖVP-Politiker widersprach und ließ sich nur dann vertreten, wenn er verhindert war. Sobotka ließ aber anklingen, dass künftig ein Richter übernehmen könnte. Bures lehnte die Idee ab: Ein U-Ausschuss müsse von einem Parlamentarier geleitet werden.

Kaum Interesse, kaum Macht

Geprägt waren die Befragungen von laufenden Ermittlungen und infolgedessen von Entschlagungen. Um dem entgegenzuwirken, wurde vorgeschlagen, dass der U-Ausschuss erst nach den Verfahren starten solle. „So klar und schön dieser Vorschlag ist, so unbrauchbar ist er für den politischen Alltag“, so Strauss. Die Staatsanwaltschaften wären „bestimmt glücklich“ darüber. Aber bis Ermittlungen abgeschlossen sind, können Jahre vergehen, und ein U-Ausschuss würde so auf die lange Bank geschoben werden. „Es würde sich niemand mehr dafür interessieren, was vor Jahren auf Ibiza passierte“, sagte Strauss.

Besteht kaum Interesse am U-Ausschuss, könnte auch eine öffentliche Debatte über das politische Verhalten ausbleiben. Andererseits wird wegen laufender Ermittlungen ein „Tribunal“ beklagt. Von einem „Skandalisierungsinstrument der Opposition“ ist die Rede. Politologin Ehs sieht das anders. „In einer Demokratie muss man es aushalten, dass in einem Untersuchungsausschuss personelles oder institutionelles Fehlverhalten aufgedeckt wird“, sagte sie. In Österreich sei das lange nicht der Fall gewesen. Erst mit der U-Ausschuss-Reform 2015 habe das Parlament eine stärkere Kontrollmacht erhalten.

Der ehemalige Verfahrensrichter Eduard Strauss
ORF.at/Roland Winkler
Strauss sieht eine öffentliche Übertragung des U-Ausschuss kritisch: „Persönlichkeitsrecht müssen geschützt werden“

„Das ist neu für unser politisches System, und man muss es offenbar erst lernen auszuhalten“, so die Forscherin. Denn grundsätzlich habe das Parlament wenig institutionelles Selbstvertrauen, und durch die engen Verschränkungen von Regierung und Mehrheitsparteien könnten Abgeordnete kaum eigene Akzente setzen. Mit der Kontrollmacht habe sich schon einiges in Richtung stärkeres Parlament verändert. Doch es brauche noch mehr Bemühungen, um das Hohe Haus zu stärken.

Politiker „wachrütteln“

Strauss schlägt etwa eine eigene Ethikkommission im Parlament vor. „Manches Verhalten von Politikerinnen und Politikern ist strafrechtlich nicht fassbar, aber sehr wohl moralisch bedenklich. Das könnte man mit einem Ethikkodex und einer Ethikkommission untersuchen und bei Verstößen gegebenenfalls sanktionieren“, so der Ex-Verfahrensrichter. Die Ethikkommission, die als Denkanstoß zu verstehen sei, soll aus Vertretern der im Parlament vertretenen Parteien und aus mindestens ebenso vielen Ethikern bestehen.

Um zu verhindern, dass eine Gruppe die andere überstimmt oder es zu einem Patt kommt, soll für Beschlüsse eine Zweidrittelmehrheit notwendig sein. Welche Aufgaben und Sanktionsmöglichkeiten man der Kommission zubilligt, müsse man sich überlegen. „Aber nur mit dem Zeigefinger zu wackeln und zu sagen, dass das Verhalten gegen ethische Grundsätze verstößt, ist mir zu wenig“, betonte Strauss.

Der Grund für den Vorschlag: Der U-Ausschuss würde in dieser Frage zu kurz greifen. Er stoße dank seiner Ergebnisse zwar ein paar Reformen in der Verwaltung an, aber für die „Bildung eines moralischen Empfindens“ sei das zu wenig. „Die Affären in den letzten Jahren haben uns gezeigt, dass man politisch Handelnde auf der moralischen Ebene ein bisschen wachrütteln muss.“