Übersichtsaufnahme des Gebiets der geplanten Trassenführung
APA/Hans Klaus Techt
Lobautunnel

Lauter Streit über Evaluierung

Klima- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) lässt das gesamte Straßenbauprogramm der ASFINAG prüfen, darunter auch den höchst umstrittenen Lobautunnel und die Umfahrung von Wien. Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig drohte bereits mit Klagen. Auch sonst gab es laute Kritik – und Lob.

Die Aufregung betrifft vor allem die Wiener Schnellstraße S1 mit dem Lobautunnel, weil es sich um das umstrittenste Straßenbauprojekt der vergangenen Jahre handelt und Umweltschützer schon seit Langem dagegen Sturm laufen. Aber wie es aus dem Umwelt- und Verkehrsministerium am Freitag hieß, wird das gesamte Bauprogramm der ASFINAG evaluiert. Davon betroffen sind Projekte in sieben Bundesländern. Ergebnisse sollen im Herbst vorliegen.

„Das ASFINAG Bauprogramm wird aktuell im Klimaschutzministerium evaluiert. Denn die Infrastruktur, die wir heute errichten, hat großen Einfluss darauf, wie unser Mobilitätssystem morgen aussieht. Die Evaluierung soll bis Herbst abgeschlossen sein. Erst nach Vorliegen des Evaluierungsergebnisses und Abschluss aller notwendigen Verfahren können etwaige Bauschritte begonnen werden“, hieß es am Freitag aus dem Ministerium.

Ministerium versteht Aufregung nicht

Die Aufregung, die sich vor allem auf den Lobautunnel konzentrierte, verstand man im Ministerium nur bedingt. Die Evaluierung gehe schon seit Längerem, und es gebe derzeit keine Bauvorhaben, die unmittelbar vor ihrem Start stehen. In Sachen Lobautunnel ist das Projekt Neubau der S1 zwischen Schwechat und Süßenbrunn entscheidend. Dafür wird auf der Homepage der ASFINAG noch kein Startdatum angeführt, auch das Wasserrechtsverfahren dafür ist noch offen.

Bereits in Bau befindliche Projekte wie die Fürstenfelder Schnellstraße (S7) in der Steiermark, die von Riegersdorf bis zur Staatsgrenze bei Heiligenkreuz nach Ungarn führt, werden fortgesetzt. Betroffen ist aber etwa der Weiterbau der Murtal-Schnellstraße von Judenburg westwärts ab 2025, in Oberösterreich die Mühlviertler Schnellstraße (S10) von Freistadt-Nord nach Rainbach-Nord (geplanter Baubeginn 2023) und in Niederösterreich die Marchfeld-Schnellstraße (S8, Baubeginn offen), die von einem Knoten mit der S1 nach Gänserndorf/Obersiebenbrunn führen soll, aber derzeit auf Eis liegt.

Acht Kilometer langer Tunnel

Seit fast 20 Jahren wird über die rund 19 Kilometer lange Nordostumfahrung für Wien inklusive eines acht Kilometer langen Tunnels gestritten. Der Lobautunnel ist in den Augen von Umweltschützerinnen und -schützern abseits vom konkreten Straßenprojekt längst zu einem Symbol einer verfehlten Verkehrspolitik geworden, die die Klimaveränderung ausblendet. Befürworter verweisen auf die wirtschaftliche Notwendigkeit und die völlige Überlastung der Tangente und des innerstädtischen Verkehrsnetzes.

Ludwig warnt vor „Milliardenschaden“

Dennoch gab es auch am Freitag zahlreiche Reaktionen von Politik und Interessenvertretern, vor allem in Hinblick auf die S1 mit dem Lobautunnel. Ludwig kündigte bei einem Stopp für die S1 am Freitag im Ö1-Mittagsjournal juristische Schritte an. Mit einem Stopp der Projekte riskiere man einen „Milliardenschaden“ und einen ganz starken Einschnitt in die Entwicklung der gesamten Ostregion. Ein Stopp „müsste schon ein sehr starker politischer Eingriff sein“, und „das würde bedeuten, dass das mit Sicherheit auch juristische Auswirkungen hätte“.

Kritik von FPÖ und ÖVP, Grünen-Kritik an Ludwig

Kritik kam erneut von der FPÖ: Wien werde im Jahr 2027 voraussichtlich mehr als zwei Millionen Einwohner haben und ersticke schon heute im Verkehr, warnten der Wiener FPÖ-Obmann Dominik Nepp und -Verkehrssprecher Toni Mahdalik. Auch die Wiener ÖVP wies darauf hin, dass der S1-Lückenschluss und der Lobautunnel „entscheidende Infrastrukturprojekte für Wien und das Umland“ seien.

„Die Evaluierung samt dem einhergehenden Baustopp von Umweltministerin Gewessler sind völlig unverständlich und realitätsfremd“, kritisierten Stadträtin Isabelle Jungnickel und Klubobmann Markus Wölbitsch. Der grüne Wiener Klimastadtrat Peter Kraus warf hingegen der Stadtregierung eine Klimablockade vor.

Demo von „Fridays for Future“

Naturgemäß völlig anders als das Gros der Rathausparteien und aller Wirtschaftsverbände sahen das Umweltschutzorganisationen: „Fridays for Future“ hatte für Freitagnachmittag zu einer Großdemo gegen den geplanten Bau des Tunnels aufgerufen. „Mehrere Milliarden Euro sollen für dieses klimaschädliche Autoverkehrsprojekt ausgegeben werden“, kritisierte die Klimabewegung.

Die Umweltschutzorganisation WWF Österreich unterstützte in einer Aussendung den Appell zum Erhalt der Lobau und forderte ebenfalls den Stopp der geplanten S1-Lobau-Schnellstraße. „Wer eine Autobahn durch ein wertvolles Naturschutzgebiet plant, ignoriert die dringendsten Krisen unserer Zeit“, sagte Maria Schachinger vom WWF.

Greenpeace: „Stadtplanerisches Fossil“

Auch Global 2000 unterstützte die Demo und forderte Ludwig zum Handeln auf. Greenpeace erneuerte die bereits am Vortag geäußerte Kritik und forderte von Ludwig den sofortigen Projektstopp. „Die Lobauautobahn ist ein stadtplanerisches Fossil der 1970er Jahre. Dieses umweltschädliche Megaprojekt würde die Klima- und Artenkrise, in der wir uns befinden, mit massivem Tempo vorantreiben“, sagte Klara Maria Schenk, Klima- und Verkehrssprecherin bei Greenpeace.

VCÖ: Klimaziele als Maßstab für Bauprojekte

Auch die Umweltorganisation Virus unterstützte den Demoaufruf. Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) plädierte für kritisches Hinterfragen: „Die Bundesregierung und alle Bundesländer haben Verkehrs- und Klimaschutzziele beschlossen, die für die Zukunft einen deutlich höheren Anteil der klimaverträglichen Mobilität und eine Reduktion des Anteils des Autoverkehrs beinhalten. An diesen Zielen hat sich der Infrastrukturausbau zu orientieren“, erinnerte VCÖ-Experte Michael Schwendinger.