Koffer in Schwarz Weiß mit Fotos
ORF
Der Fall Carl Ellinger

Geschäftsfrau in Männertarnung

Carl Ellinger, so dachte man, habe die großen Fotos aus Salzburg in der Zwischenkriegszeit gemacht. Max Reinhardt, Marlene Dietrich, alle will Ellinger vor der Linse gehabt haben. Doch wie der Mehrteiler „Die doppelte Frau“ von ORF.at zeigt, war Ellinger verschwunden. Bereits seit 1916. Eine junge Frau sollte kurzfristig die Stellung halten, während Ellinger im Krieg war. Doch dann kam er nie retour. Und sie führte das Geschäft unter seinem Namen weiter. Als Frau hätte sie in dieser Branche keine Chance gehabt.

Erst 1918, mit der Gründung der Republik, trat das allgemeine Wahlrecht für Frauen in Österreich in Kraft. Wie in vielen anderen Ländern auch waren Frauen bis zum Ende des Ersten Weltkrieg von politischen Aktivitäten und der Teilnahme am Vereinswesen weitgehend ausgeschlossen.

Im Bereich der Wirtschaft stand es nicht viel besser. Die Gewerbeordnung bzw. jene Institutionen, die über Zulassungen und Befähigungen entschieden, gaben Frauen so gut wie keine Chance. So blieb auch die Geschichte jenes Salzburger Fotoarchivs, das unter dem Namen Carl Ellinger bekannt wurde, lange Zeit im Dunklen, ja man nahm an, dass dieser Carl Ellinger, der das Fotostudio in der Salzburger Schwarzstraße unweit des Mirabellgartens gegründet hatte, tatsächlich über Jahrzehnte hinweg Bilder der Salzburger Gesellschaft nach Ende des Ersten Weltkrieges gemacht hatte.

„Die doppelte Frau“, Episode zwei: „Fokus“

Eine interessante Sachverständige analysiert die Fotografien aus dem Studio Ellinger. Hilft ihre Expertise, um in dem Fall weiterzukommen?

Neue Bildinszenierungen

Als eine Zeit großer Umbrüche in der Kunst bezeichnet die Kunsthistorikerin Lisa Ortner-Kreil die Lage nach Ende des Ersten Weltkrieges. Die Phase großer Unsicherheit sei auch die Phase neuer Orientierungen gewesen – und ein Medium, das die Neuorienierung nach 1918 besonders ausdrücke, gerade auch das Finden neuer Rollen, das sei die Fotografie gewesen. Die Porträts, die in den 1920er und 1930er Jahre im Atelier Ellinger entstanden, zeichnen sich für Ortner-Kreil durch eine große Unmittelbarkeit aus.

TV-Hinweis

Episode zwei der „Doppelten Frau" ist in ORF III am 24.7. um 20.00 Uhr zu sehen. ORF2 zeigt am 9. August anschließend an den „kulturMontag“ alle drei Episoden am Stück.

Gründlich wurde auf die Lichtinszenierung geachtet, auch das Ambiente bei den Personenporträts. Neben Max Reinhardt etwa findet man einen Hund, der den Theaterimpressario mit Sitz in Leopoldskron nahbarer machte. „Die Natürlichkeit der Bilder ist ohne eine Inszenierung nicht zu haben“, erinnert Ortner-Kreil an das Setting, in dem diese Bilder entstanden. Doch wer sie gemacht hat, bleibt immer noch ein Rätsel. Tatsächlich kommen sie aus dem Atelier Ellinger. Und es könnten Männer gewesen sein, die beim Fotografieren zum Einsatz kamen. Die Fäden im Hintergrund zog aber eine Frau, das ist gewiss.

Episode zwei: „Fokus“

Eine interessante Sachverständige analysiert die Fotografien aus dem Studio Ellinger. Hilft ihre Expertise, um in dem Fall weiterzukommen? Die Auftraggeberin, eine mysteriöse Fremde, und ein Privatdetektiv stoßen auf immer neue Ungereimtheiten. Wollte sich hier jemand einer fremden Identität bemächtigen? Doch beiden wird aufgelauert. So richtig sicher ist man auch in Salzburg in den späten 1920ern nicht mehr.

Von wem sind diese Fotos?

Beinahe beiläufig beantwortet die Archivarin Victoria Morino während der Recherche zur Dokumentation das „Große Welttheater“, die im Vorjahr im ORF zu sehen war, dass die von der Regisseurin Beate Thalberg für die Doku ausgesuchten Bilder gar nicht von Carl Ellinger stammten. „Von wem sind diese Fotos?“, fragt die Regisseurin. „Nicht von Carl Ellinger“, antwortet Morino – und erinnert daran, dass Ellinger bereits 1916 Salzburg als Soldat verlassen hat. In seinem Atelier arbeitete damals eine junge, gerade mal 24-jährige Fotografin. Sie sollte der Schlüssel zum Fortbestand dieses Ateliers werden.

„Das Studio hat eine Betty Steinhart übernommen, sie hatte viele Angestellte", berichtet Morino. Und verweist auf eine Enkelin von Steinhart, Susanne Gordon, die in Salzburg lebt. Für die „Doppelte Frau“ erzählt nun Gordon von ihrer Großmutter, kann manche, lange aber nicht alle Geheimnisse lüften.

Steinhart habe, so berichtet Gordon, „direkt nach der Schule in einer Apotheke zu arbeiten begonnen“. 1909 sei sie in das frisch gegründete Atelier Ellinger gewechselt und habe sich dort sehr rasch als „richtige Fotografin herausgestellt“, so Gordon. Offenbar habe ihr auch Ellinger im Geschäft eine aktive Rolle eingeräumt und sei 1914, als sie gerade einmal 22 Jahre alt war, zu seiner Stellvertreterin und Geschäftsführerin bestellt.

Mit 22 in die Fußstapfen des Mannes

Susanne Gordon über den Werdegang von Betty Steinhart.

Ellinger, der auch als Soldat mit in den Ersten Weltkrieg ziehen musste, habe sein Geschäft 1916 abstoßen wollen, erzählt Gordon weiter. Unter seinem Namen lief es aber auch nach dem Abschied Ellingers weiter.

Fotostrecke mit 7 Bildern

Historisches Foto
Photo Ellinger
Trachtenlook und Internationalsierung in den 1930er Jahren
Historisches Foto
Photo Ellinger
Historisches Foto
Photo Ellinger
In Abendlicht vor der Stadt
Historisches Foto
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Betty Steinhart mit Hund
Historisches Foto
Photo Ellinger
Blick aus dem Mirabellgarten zur Altstadt
Historisches Foto
Photo Ellinger
Zwei Frauen am Salzachkai
Historisches Foto
Photo Ellinger
Max Reinhardt während einer Probenpause in der „Fauststadt“

Die Fahndung nach dem Fall Betty

„Die Vorarbeiten zur ‚Doppelten Frau‘“, resümiert Regisseurin Thalberg, seien im wesentlichen eine Suche gewesen. Zunächst nach der Enkelin von Steinhart. Und dann nach den wenigen Anhaltspunkten, die ein kompletteres Bild von der Arbeit des Ateliers Ellinger zwischen den Kriegen ermöglichen sollten. Dazu gibt die Episode zwei, „Fokus“, einige Hinweise. Doch wie im Fall des suchenden Privatdetektivs lässt sich das Tableau bis ins letzte Detail nicht scharf zeichnen. „Die doppelte Frau“ ist in diesem Kontext auch eine Geschichte möglicher Antworten zum Funktionieren dieses Ateliers Ellinger und aller Kontakte, die Steinhart geknüpft haben muss.

Hinweis

„Die doppelte Frau“ basiert auf Archivmaterial des ORF, des Archivs Atelier Ellinger der Salzburger Festspiele, Film-noir-Material aus 1948, einer von Lily Amman gezeichneten und animierten Graphic Novel, Fotografien aus dem Privatarchiv Ellinger von Susanne Gordon. Neu gedreht wurde in Salzburg, Wien und Laxenburg. ORF.at dankt Helga Rabl-Stadler, Margarethe Lasinger, Susanne Gordon, Lizabeth Scott, Heidemarie Mühlfellner, Georg Razumovsky, Johannes Hofinger, Herbert Grunsky, Ric Marechal u. v. a.

„Um Betty Steinhart schmiegt sich noch immer so eine Art Geheimnis“, so Thalberg, die darauf verweist, dass Steinhart selbst mit an diesem Geheimnis gearbeitet habe: „Das Geheimnis hat sie durchaus auch selbst kreiert, weniger strategisch als dem Bild der Frau ihrer Zeit entsprechend. Frauen haben viel geleistet, sich aber niemals als Person dargestellt wie es für Männer schon immer ganz selbstverständlich ist.“

Das Finale: Ritt in die 1930er Jahre

So endet die Folge zwei entsprechend auch in einer wilden Verfolgungsjagd. Und auch in der Gesellschaft dieser Zeit arbeiten unterschiedliche Kräfte gegeneinander. 1927 brennt der Justizpalast. Die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahren hat nicht nur in Österreich große Folgen. In Deutschland muss man den Aufstieg des Nationalsozialismus miterleben.

Und relativ rasch schwappt dieser mit ersten Illegalen auch jenseits der Grenze in die Gesellschaft in der Region Salzburg Anfang der 1930er Jahre über. Das Atelier Carl Ellinger wird in den 1930ern noch eine große Blüte erleben. Große Stars stellen sich in Salzburg ein. Und das Foto von Arturo Toscanini bei den Proben im Dunkel des Festspielhauses sollte legendär werden. Ebenso wie die Auftritte der Marlene Dietrich auf der Terasse des Cafe Bazar. Aber davon berichtet die Episode drei: „Schuss“. Ab morgen mehr.