Marlene Dietrich im Cafe Bazar in Salzburg
Austrian Archives (S) / Imagno / picturedesk.com
Der Fall Carl Ellinger

Die Dietrich im Bazar und Hitler vor der Tür

Die Gesellschaft der Ersten Republik war so gespalten wie in dauernden Existenzkämpfen gefangen. Trotz aller Verwerfungen in den frühen 1930er Jahren erlebt Salzburg wenige Jahre vor dem Einmarsch Hitlers in Österreich eine ungeahnte Blüte: Die Festspiele werden zum großen Magneten – und internationale Stars wie Marlene Dietrich werden zu hofierten Gästen an der Salzach. Mittendrin: Betty Steinhart als Chefin des Fotoateliers Ellinger, das immer noch den Namen des geflüchteten Ex-Inhabers trägt. Episode drei der neuen Webserie „Die Doppelte Frau“ operiert auf historisch explosivem Terrain.

Dass man in Zeiten größter wirtschaftlicher Not ab 1920 in Salzburg Festspiele ins Leben rief, war alles andere als eine Selbstverständlichkeit, ja rief am Anfang auch Kritiker auf den Plan. Ab den späten 1920er Jahren hatten sich die Festspiele ja als feste Größe etabliert und waren zu einem Träger einer neuen kulturellen Identität für das nicht von allen geliebte neue Österreich geworden. In Wien und Niederösterreich kopierte man Ende der 1920er Jahre die Festspielidee. Und Theaterimpressario Max Reinhardt bemühte sich um eine Wirkungskraft von Festspielproduktionen wie dem „Jedermann“ bis hin auf den Broadway. Salzburg hatte einen Tourismusmagneten in einer politisch unsicheren Zeit geschaffen.

„Die doppelte Frau“, Episode drei: „Schuss“

Ein seltsamer Historiker taucht in Episode drei der „Doppelten Frau“ ungefragt im Hotelzimmer der unergründlichen Auftraggeberin auf. Er liefert Spuren, die dem Fall eine völlig neue Wende geben.

Schicksalsjahre 1933/34

Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und die schrittweise Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland sollte Salzburg besonders treffen. Einerseits gab es viele der „Illegalen“ auf Salzburger Boden. Andererseits begann gerade in den labilen Jahren 1933/34, als die Republik ins Wanken kam und von einer katholischen Diktatur abgelöst werden sollte, eine ungeahnte Internationalisierung der Kultur rund um den Ort Salzburg. Die Gründe sind handfeste und politische – und haben gerade auch mit der etablierten Rivalität zu Bayreuth (die ja in den Gründungsgedanken eines Hugo von Hofmannsthal schon eine Rolle spielte) zu tun.

Episode drei: „Schuss“

Ein seltsamer Historiker taucht in Episode drei der „Doppelten Frau“ ungefragt im Hotelzimmer der unergründlichen Auftraggeberin auf. Er liefert Spuren, die dem Fall eine völlig neue Wende geben: Mehr als 50 Jahre lang hat jemand entscheidend das Bild vom Beginn der österreichischen Republik geprägt. Doch dieser Mensch findet sich in keiner historischen Abhandlung. Auch die fremde Spurensucherin gerät zunehmend unter Druck. Am Ende platzt eine Bombe.

Im Juni 1933 wird der berühmteste Dirigent der damaligen Zeit, Arturo Toscanini, sein Mitwirken in Bayreuth durch die, wie er schreibt, „bedauerlichen Vorfälle (gemeint ist Hitlers Aufstieg, Anm. GH), die meine Gefühle sowohl als Mensch als auch als Künstler verletzt haben“, zurücklegen: „Es ist meine Pflicht, heute das Schweigen zu brechen, das ich mir während der letzten beiden Monate auferlegt habe, und Sie zu informieren, dass es für meine, für Ihre und für jedermanns Seelenruhe besser ist, nicht mehr an eine Mitwirkung in Bayreuth zu denken.“

Italienische Connection

Der Fagottist der Philharmoniker, Hugo Burghauser, der mit der jüdischen Tänzerin und Choreografin Margarete Wallmann verheiratet ist und eine italienische Mutter hat, wird zum Verbindungsmann zu Toscanini.

Auf seine Frage, ob sich Toscanini eine Zusammenarbeit mit den Philharmonikern in Salzburg vorstellen könne, kommt von Toscanini ein kurzes „Si“. Mit Hilfe von Toscanini sollte Österreich auf internationaler Ebene als unabhängiger Staat und als echte Alternative gegen Nazi-Deutschland positioniert werden. Mozarts „Don Giovanni“ wird unter Bruno Walter erstmals in italienischer Originalfassung gespielt. Reinhardt probt erstmals seinen legendären „Faust“ in der Fauststadt mit der jungen Paula Wessely als Gretchen.

Arturo Toscanini im Orchestergraben bei den Salzburger Festspielen
Ellinger, Carl / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com
Legendäres Bild aus dem Archiv Carl Ellinger: Toscanini dirigiert in Salzburg die Wiener Philharmoniker

Drei Tage vor Eröffnung der Festspiele, am 25. Juli 1934, wird Engelbert Dollfuß ermordet. Die Regierung schießt Geld zu, damit die Festspiele stattfinden. Und französische Zeitungen drängen ihre Leser, die österreichische Unabhängigkeit zu unterstützen, indem man die Festspiele besuche.

TV-Hinweis

Episode drei, „Schuss", ist am 31.7. um 20.00 Uhr in ORF III zu sehen. ORF2 zeigt am 9. August anschließend an den „kulturMontag“ alle drei Episoden am Stück.

Es liegt was in der Luft im Sommer 1934. Und Reinhardt sagt seinen berühmten Satz: „Das Schönste an diesen Festspielsommern ist, dass jeder von ihnen der letzte sein könnte.“ Der Autor Carl Zuckmayer fühlt sich, wenngleich unter einer starken Verdrehung der historischen Bedeutung an „Versailles vor den Tagen der Bastille“ erinnert: „Nur wacher, nur bewusster, nur geistig klarer und lichter.“ Deutsche Künstlerinnen und Künstler mit jüdischem Background wie Bruno Walter und Margarete Wallmann kommen nach Salzburg.

„100 Pieces“: Marlene Dietrich fährt in Salzburg ein

Marlene Dietrichs Ankunft in Salzburg wurde auch filmisch festgehalten.

Marlene Dietrich reist mit Mann und Geliebtem (Douglas Fairbanks jr.) an, um ihre Solidarität zu bekunden. Sie trägt offensiv Tracht und Lederhosen, was für Gesprächsstoff und Fotos, auch aus dem Hause Ellinger, sorgt.

Goebbels zieht Furtwängler und Strauss ab

Joseph Goebbels, seit März 1933 „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“ zieht Wilhelm Furtwängler und Richard Strauss von den, wie er sich ausdrückt, „verjudeten“ Festspielen ab. Zeitgleich hält der französische Nobelpreisträger und Schriftsteller Francois Mauriac in einem aufsehenerrengenden Kommentar fest: „Salzburg hört Hitler atmen (…) einige Kilometer vor der Stadt entfernt.“

„100 Pieces“: Margarete Wallmann über das Arbeiten mit Max Reinhardt

Die Choreografin Margarete Wallmann erinnert sich an die Zusammenarbeit mit Max Reinhardt in den 1930er Jahren.

Die Angst vor Hitler ante portas

Die Reisenden, die aus der ganzen Welt hierher kämen, um Mozart zu hören, empfänden die gleiche Angst, „eine Angst, die zudem noch ihren Genuß vertieft“. Leopoldskron wird 1937 Tag und Nacht überwacht, zur Probe geht es nur mehr in Begleitschutz, nachdem es Bombenanschläge sowohl in Leopoldskron (1937 Empfangshalle) als auch auf das Festspielhaus gab. Alle Bemühungen, Salzburg als antinazistisches, antifaschistisches Schaufenster zu positionieren, fruchteten. Die Auslastung von 53 Prozent im Jahr 1934 stieg 1937 auf 89 Prozent. Sogar Gäste aus Japan, Indien, dem Nahen Osten kamen hinzu.

Lisa Ortner-Kreil und die Suche nach der Einordnung

Lisa Ortner-Kreil über die Bilder aus dem Atelier Ellinger

Internationalisierung und Tracht, das gehörte Mitte der 1930er Jahre in Salzburg zusammen. Im Sommer 1935 hatte die Salzburger Landesregierung einen Beschluss zur „Salzburger Landestracht“ gefasst und auch den Männern einen eigenen „Salzburger Herrenanzug“ verschafft. Die Trachtenerneuerung, sie war in Salzburg bereits im Jahr 1910 gestartet worden, brachte laut der Volkskundlerin Ernestine Hutter einen „sorglosen Eklektizismus“ des Städters mit sich.

Historisches Foto
Photo Ellinger
Das Fotoatelier Carl Ellinger in der Schwarzstraße zwischen den Kriegen

Salzburg und der Trachtenkult

Wer als prominenter Gast aus dem Ausland gekommen sei, sei von Reinhardts Freund und Berater Rudolf Kommer empfangen und auf dem Weg zum Reinhardt-Schloss Leopoldskron gleich beim lokalen Modeausstatter Lanz in Trachten eingekleidet worden, so Hutter: „So gingen Lillian Gish, Lady Diana Manners, Rosamond Pinchot und zahlreiche andere schon wenige Stunden nach ihrer Ankunft als Dirndln durch die Stadt.“

Max Reinhardt und Nora Gregor bei Proben zu >Faust I< von Johann Wolfang von Goethe in der Felsenreitschule. Salzburger Festspiele. Um 1935.
Österreichisches Theatermuseum / Imagno / picturedesk.com
Welttheater und Tracht: Nora Gregor und Max Reinhardt 1935 während der Proben zu Goethes „Faust“ in der Felsenreitschule

Gegen diese in Salzburg betriebene „Maskerade“ polterte man im Februar 1938 in der „Österreichischen Gebirgs- und Volks-Trachten-Zeitung“. Von einer „Verballhornung“ der Tracht ist da die Rede, „um darin auf Bühnen zu spielen, um sich darin läppisch und unsere Ahnen verspottend aufführen zu können“. Die Tracht sei ein „Ehrenkleid“, das die „Volksseele“ und die „Ahnen“ verkörpere – mehr dazu in Die Festspiele und der Trachtenkult

Alle drei Episoden

Alle drei Episoden der „Doppelten Frau“ sind bis 16.8. auf der sendebegleitenden Seite tv.ORF.at/doppeltefrau abrufbar.

Man spürt den Geschmack der Vergänglichkeit

Am 15. August 1937 gibt Salzburgs ewiger Landeshauptmann Franz Rehrl (er amtiert seit 1922) in der Residenz noch einen großen Abschlussempfang. „Man spürt den Geschmack von Vergänglichkeit“, sinniert Reinhardt bei dieser Gelegenheit. Bald wird er sich nach Amerika einschiffen und nie mehr wiederkehren.

Im Februar 1938 trifft Österreichs Kanzler Kurt Schuschnigg Adolf Hitler in Berchtesgaden. Arturo Toscanini dirigiert zu dieser Zeit gerade in New York ein Konzert, um Geld für das neue Festspielhaus aufzutreiben. Als er von dem Treffen erfährt, schreibt er ein Telegramm: „Wegen der geänderten Situation muss ich meine Teilnahme an den Festspielen absagen.“ Für Salzburg endet eine kurze, mutige Zeit des Internationalismus. Betty Steinhart und das Atelier Carl Ellinger arbeiten und fotografieren weiter. Auch, als sich im März 1938 die Zeiten ändern. Auch davon erzählt die „Doppelte Frau“ im Finale. Fortsetzung folgt.