Eine Frau liest auf einer Bank in Reykjavik (Island) neben einer Statue des isländischen Dichters Tomas Gudmundsson ein Buch
Getty Images/Arctic-Images
Island

Viertagewoche als „Erfolgsgeschichte“

In Island ist die Viertagewoche über Jahre in zwei umfassenden Versuchen getestet worden – der Forschungsbericht dazu liegt nun vor. Das Projekt sei eine „Erfolgsgeschichte“, heißt es darin. So hätten sich die Work-Life-Balance sowie das Wohlbefinden der teilnehmenden Personen verbessert, während sich deren Produktivität bei verkürzter Arbeitszeit und gleich bleibender Bezahlung nicht verschlechterte.

Es handelt sich um eines der bisher größten Experimente zum Thema: Mit über 2.500 Beteiligten nahmen 1,3 Prozent der isländischen Bevölkerung an den Versuchen, die von 2015 bis 2019 durchgeführt wurden, teil. Die Wochenarbeitszeit wurde bei einem Gros der Personen von 40 Stunden auf 35 oder 36 Stunden reduziert. Initiiert wurden die beiden Versuche vom Stadtrat der Hauptstadt Reykjyavik sowie von der isländischen Regierung, wissenschaftlich begleitet wurden diese vom britischen Thinktank Autonomy sowie von der isländischen Gesellschaft für nachhaltige Demokratie (Alda).

Während zu Beginn nur einige Dutzend Menschen beteiligt waren, stieg die Zahl rasant an – auch die Palette an Arbeitsmodellen wurde breiter. Neben klassischen „Nine to five“-Jobs, wurden auch Personen mit Schichtdiensten integriert. Zudem wurden die Versuche nicht nur in Bürosettings, sondern auch in Kindergärten, sozialen Einrichtungen und Spitälern durchgeführt.

„Bahnbrechende Beweise für Effizienz“

Die Ergebnisse würden „bahnbrechende Beweise für die Effizienz von Dienstzeitreduzierung darstellen“, schreiben die Forscherinnen und Forscher. So sei die Produktivität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer laut Bericht gleichbleibend gewesen oder gar gestiegen. Das generelle Wohlbefinden habe sich gesteigert – darauf würden unterschiedliche Indikatoren hinweisen. Es wurde von weniger Stress, einem geringeren Risiko für Burnout, aber auch von mehr Zeit für Hobbies sowie Familie und Freunde berichtet.

Vor allem Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher hätten profitiert, wird hervorgehoben. Zudem hätten Männer in heterosexuellen Beziehungsmodellen sich verstärkt an der unbezahlten Heimarbeit, die immer noch stark von Frauen geschaukelt wird, beteiligt. Darüber hinaus konnten sich auch Arbeitgeber mit dem Modell anfreunden – das zeigt sich etwa anhand neu verhandelter Dienstverträge durch die isländischen Gewerkschaften.

Verkürzte Dienstzeit „die Zukunft“

Den Forschern zufolge sollen nach Beendigung der Experimente zwischen 2019 und 2021 zahlreiche neue Vereinbarungen mit Dienstgebern getroffen worden sein, sodass mit Stand Juni 86 Prozent der gesamten arbeitenden Bevölkerung entweder auf ein Anstellungsverhältnis mit reduzierter Arbeitszeit wechselten oder zumindest Anspruch darauf haben. Eine kürzere Arbeitswoche sei „die Zukunft – es gibt kein Zurück“, fasst es ein Teilnehmer zusammen.

In dieselbe Kerbe schlägt der Forschungsdirektor der Denkfabrik Autonomy, Will Stronge: „Diese Studie zeigt, dass das weltweit größte Experiment einer verkürzten Dienstwoche im öffentlichen Sektor auf alle Fälle ein überwältigender Erfolg war.“ Der öffentliche Sektor sei demnach „reif dafür, eine Pionierrolle in Sachen kürzerer Arbeitswochen einzunehmen.“ Auch andere Länder könnten daraus Lehren ziehen, so Stronge. Die isländische Viertagewoche „zeigt uns, dass es nicht nur möglich ist, in modernen Zeiten weniger zu arbeiten, aber dass progressiver Wandel ebenso möglich ist“, fügt der Alda-Forscher Gudmundur D. Haraldsson hinzu.

Projekte von Spanien bis Neuseeland

Auch in anderen Staaten gibt es Pilotprogramme zur Viertagewoche. Nachdem die spanische Regierung heuer einem entsprechenden Vorschlag der Linkspartei Mas Pais zustimmte, wird in einigen Unternehmen auf eine kürzere Arbeitswoche umgestellt. In Japan werden Unternehmen neuerdings ebenso aufgerufen, eine Viertagewoche anzudenken.

In Neuseeland gibt der Unilever-Konzern seinen Angestellten die Möglichkeit, ihre Dienstzeit um zwanzig Prozent zu reduzieren, bei gleich bleibender Bezahlung. Die neuseeländische Regierungschefin Jacinda Ardern ist dem positiv gesinnt und ermunterte die Arbeitgeber im Mai 2020, über die Einführung einer Viertagewoche und andere flexible Arbeitsmodelle nachzudenken. Ähnlich positionierte sich die finnische Regierungschefin Sanna Marin. Auch in Großbritannien forciert eine Gruppe von Abgeordneten die Umsetzung der Viertagewoche.

Die Rechtsberatungsfirma Perpetual Guardian mit mehr als 200 Mitarbeitern hatte weltweit Aufsehen erregt, als sie 2018 die Viertagewoche bei sich einführte. Dieses Modell könne eine Lösung sein, um Neuseelands Wirtschaft nach der Pandemie bei der Erholung zu helfen, so Firmengründer Andrew Barnes im Vorjahr. Diese habe seine Mitarbeiter glücklicher und produktiver gemacht und ihre mentale wie körperliche Gesundheit verbessert, schilderte Barnes.

Debatten in Österreich

Auch hierzulande köcheln Debatten rund um Arbeitszeitverkürzung immer wieder hoch: „Es gibt keinen wirksameren Jobmotor als die Verkürzung der Arbeitszeit“, warb zuletzt etwa die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner Ende Juni für eine freiwillige, staatlich geförderte Viertagewoche. Die SPÖ-Chefin macht sich bereits seit Längerem für die Möglichkeit stark.

Im Vorjahr sorgte das Thema für Debatten: Während Gewerkschaftsvertreter und Arbeiterkammer Unterstützung für den SPÖ-Vorschlag signalisierten, zeigten sich die Wirtschaftsforschungsinstitute WIFO und IHS kritisch – dem IHS stand zu der Zeit der nunmehrige ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher vor. So wurden etwa höhere Kosten für Betriebe befürchtet. Strikt gegen die Viertagewoche waren damals auch die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung.

Eine Viertagewoche ist bereits möglich. Hier wird allerdings die volle Arbeitszeit einer Fünftagewoche absolviert. Dafür kann die tägliche Arbeitszeit auf bis zu zehn Stunden ausgedehnt werden, ohne dass Überstunden anfallen. Nötig ist eine Betriebs- oder Einzelvereinbarung, Rechtsanspruch besteht nicht. Das SPÖ-Modell sieht hingegen eine Reduktion der Normalarbeitszeit – bei fast gleichem Gehalt – vor.