Impffläschchen der Firmen Moderna, Biontech Pfizer und AstraZeneca
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Coronavirus-Kreuzimpfung

Vorteile und offene Fragen

Der Erststich mit AstraZeneca, die zweite Dosis mit einem mRNA-Vakzin: Die Kombination unterschiedlicher Impfstoffe – Kreuzimpfung genannt – kann Vorteile bieten, zeigen Studien. Einige Fragen sind allerdings offen. Wien bietet den Impfstoffwechsel bereits an – eine offizielle Empfehlung des Nationalen Impfgremiums (NIG) für den Umstieg gibt es vorerst aber nicht.

Die deutsche Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt seit 1. Juli, allen unter 60-Jährigen, die als erste Dosis AstraZeneca erhalten haben, als zweite Dosis ein mRNA-Vakzin zu spritzen. Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, sprach sich am Dienstag ebenfalls für dieses als heterolog bezeichnete Impfschema aus.

Am Donnerstag folgte dann freilich das Dementi: Es gebe keine allgemeine Empfehlung der Ärztekammer für ein heterologes Impfschema, sagte Rudolf Schmitzberger, Leiter des Referats für Impfangelegenheiten der ÖAK, bei einem Pressegespräch. Die Aussagen von Szekeres seien verkürzt wiedergegeben worden. Auch Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) betonte am Donnerstag: „Wir sind da noch ein bisschen vorsichtig, aber es zeigt sich bei zunehmender Datenlage, dass das heterologe Impfen eine gute Idee ist.“

Dieser „Off-Label-Use“ (Verwendung eines Arzneimittels außerhalb des durch die Arzneimittelbehörden zugelassenen Gebrauchs) könne allerdings nur durch die besondere Aufklärung des Arztes oder der Ärztin erfolgen, sagte der Minister. „Wenn etwas off-label verwendet wird, dann muss die Aufklärung besonders genau sein, muss besonders genau dokumentiert werden, bis die Wissenschaft am Ende dann durch Studien belegen kann, dass es sicher ist und dass auch eine Empfehlung herausgeht.“

Eine Krankenschwester zieht eine Spritze mit Covid-Impfstoff auf
APA/AFP/Getty Images/Win Mcnamee
Außer in Wien wird die Kreuzimpfung in Österreich derzeit nur in Ausnahmefällen angeboten

Kreuzimpfungen in Wien

Als bisher einziges Bundesland gibt Wien Menschen, die mit AstraZeneca erstgeimpft sind, ab sofort die Möglichkeit zum Umstieg auf ein mRNA-Vakzin. Interessierte können via Hotline 1450 einen entsprechenden Termin ausmachen, hieß es aus dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). Hackers Sprecher Mario Dujakovic schrieb auf Twitter, dass maximal 15.000 mit AstraZeneca Erstgeimpfte für die Aktion infrage kämen – mehr dazu in wien.ORF.at. Die anderen Bundesländer zeigen sich zurückhaltend – mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Der Verband der Impfstoffhersteller (ÖVIH) lehnt eine Kreuzimpfung ohne entsprechende Zulassung ab. Diese Vorgehensweise könne die ÖVIH nicht unterstützen, hieß es am Freitag in einer Aussendung. Keiner der vier von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassenen Impfstoffe sei bisher für Kreuzimpfungen zugelassen. Diese „Off-Label-Anwendung“ sei nur für Ausnahmefälle vorgesehen.

Wechsel auf dringenden Wunsch möglich

Anders als in Deutschland gibt es in Österreich vorerst keine generelle Empfehlung. „Für einen vollständigen Impfschutz muss eine Impfserie mit dem Impfstoff beendet werden, mit dem sie begonnen wurde“, hält das NIG in seinen jüngst aktualisierten Anwendungsempfehlungen fest. Die Verwendung unterschiedlicher Impfstoffe bei Dosis eins und zwei „ist eine Off-Label-Anwendung und wird derzeit nicht empfohlen“, hieß es weiter. „Vonseiten des Nationalen Impfgremiums muss schon gesagt werden, dass es sich hier um ein Vorgehen handelt, das nicht der Zulassung entspricht“, sagte Ursula Wiedermann-Schmidt vom NIG.

Allerdings erleichtert das NIG den Zugang zu Kreuzimpfungen zumindest teilweise. Sollte es aus Sicht der zu impfenden Person „dringend wünschenswert“ sein, „so soll ein Impfstoffwechsel angeboten werden“, schreiben die Fachleute. Auch bei Personen, bei denen nach der ersten Teilimpfung schwere Nebenwirkungen auftraten, und bei Schwangeren, die bereits die erste Teilimpfung mit AstraZeneca bekommen haben, kann laut NIG-Empfehlung ein heterologes Impfschema in Erwägung gezogen werden. Seine Zurückhaltung begründet das NIG mit Studiendaten, die „teils eine erhöhte Rate an Impfreaktionen bei guter Immunantwort“ zeigten.

Das Beste aus zwei Technologien

Fachleute hoffen, mit Hilfe der Kreuzimpfung die Vorzüge von zwei Impfstofftechnologien zusammenzuführen. Grundsätzlich bildet der Körper nach der Impfung Antikörper, die ein Andocken des Virus an menschliche Zellen unterbinden. Zudem werden die T-Zellen stimuliert, die bereits von SARS-CoV-2 befallene Zellen töten.

Vektor- und mRNA-Impfstoffe können beides mit geringfügig unterschiedlichen Schwerpunkten: MRNA-Impfstoffe seien „außergewöhnlich gut“ bei der Bildung großer Antikörpermengen, sagte der Immunologe Leif-Erik Sander von der Berliner Charite dem Wissenschaftsmagazin „Spektrum“. Sander führt derzeit eine Studie zu Kreuzimmunisierungen durch. Vektorimpfstoffe nutzen ein harmloses Virus, das sich im Körper nicht vermehren kann, als Träger für genetische Bestandteile des Coronavirus. Sie rufen eine starke Reaktion der T-Zellen-Abwehr hervor.

Zur Kombination unterschiedlicher Impfstoffe laufen derzeit in mehreren Ländern Untersuchungen. Anlass waren nicht zuletzt Fälle von sehr seltenen Hirnvenenthrombosen, die in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin beobachtet wurden.

Daten geben Anlass zu Optimismus

Die bisher vorliegenden Studienergebnisse legen nahe, dass ein heterologes Impfschema zumindest ebenso wirksam ist wie ein homologes, bei dem zwei Dosen desselben Impfstoffs verabreicht werden. Mehr noch: Die Immunantwort könnte bei einer Kombination zweier verschiedener Impfstofftechnologien stärker ausfallen.

In der von Sander an der Berliner Charite durchgeführten Studie deutet sich an, dass die Immunantwort bei der Kombination von AstraZeneca und Biontech und Pfizer ähnlich gut war wie bei zwei Dosen Biontech und Pfizer.

Zwischenergebnisse der seit Februar in Großbritannien laufenden Com-CoV-Studie zeigten sogar Vorteile des Impfstoffwechsels. Personen, die im Abstand von vier Wochen zunächst den AstraZeneca- und später den Biontech-Pfizer-Impfstoff erhielten, entwickelten den Daten zufolge zehnmal so viele Antikörper wie Personen, die zwei Dosen AstraZeneca verabreicht bekamen. Wurde die Reihenfolge umgedreht – erst Biontech, dann Astrazeneca –, waren es immerhin fünfmal so viele Antikörper wie bei einer reinen AstraZeneca-Immunisierung.

Fragen zum zeitlichen Abstand

Mit Spannung erwartet werden die Ergebnisse der zweiten Testreihe aus der Com-CoV-Studie, in der zwischen Erst- und Zweitstich zwölf Wochen lagen. Einerseits, weil bei AstraZeneca bekannt ist, dass ein größerer Abstand zwischen der Verabreichung der Dosen die Wirkung erhöht.

Andererseits könnte es Auswirkungen in puncto Verträglichkeit geben. Die Zwischenauswertung der Com-CoV-Studie besagt, dass Impfreaktionen und moderate Nebenwirkungen bei einem Impfstoffwechsel häufiger auftreten. In der Charite-Studie war das Zeitintervall zwischen erster und zweiter Dosis größer – eine Zunahme der Nebenwirkungen konnte dabei nicht beobachtet werden.

Zu möglichen seltenen Nebenwirkungen fehlen noch Daten. Fachleute verweisen darauf, dass in den bisherigen Studien nur wenige hundert Menschen beobachtet wurden. In kleinen Studien nehme „man nicht die eine von 1.000 Nebenwirkungen auf, geschweige denn die eine in 50.000 Nebenwirkungen“, sagte Matthew Snape, wissenschaftlicher Leiter der britischen Com-CoV-Studie. Snape plädierte dafür, beim homologen Impfschema zu bleiben, bis weitere Studien vorliegen.

Vollständige Impfung wichtig gegen Delta

Unterdessen zeigt eine neue Studie die Wichtigkeit der vollständigen Impfung im Kampf gegen die Delta-Variante. Im Laborversuch scheint die Mutante Antikörpern von Erstgeimpften und ungeimpften Genesenen teilweise zu entkommen.

In den Experimenten seien die nach einer Einzeldosis von Biontech und Pfizer und AstraZeneca gebildeten Antikörper kaum in der Lage gewesen, an die erstmals in Indien entdeckte Mutante zu binden und sie unschädlich zu machen, berichteten Forschende vom Institut Pasteur in Paris. Eine effiziente Reaktion gegen Delta hätten beide Vakzine erst nach der zweiten Dosis hervorgerufen – mehr dazu in science.ORF.at.

Eine große Frage im Herbst wird sein, wie lange der Impfschutz nach Verabreichung einer vollständigen Impfung anhält. Das NIG beziffert die Länge der Schutzdauer auf mindestens neun Monate nach der Zweitimpfung bzw. nach dem „Single Shot“ mit dem Vakzin von Johnson & Johnson. Wann und für welche Personengruppen eine dritte Dosis notwendig sein wird, sei derzeit nicht bekannt, so die Fachleute.

CoV-Kommission: Höhere Impfbereitschaft „essenziell“

Die Expertenkommission, die wöchentlich über die CoV-Ampel entscheidet, rechnet nun „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ mit einer vierten Welle. Wann und wie schwer sie ausfällt, ist demnach noch offen. Um Infektionsraten wie im letzten Herbst zu verhindern, sind laut Kommission eine höhere Impfbereitschaft und eine stärkere Durchimpfung „essenziell“.