Menschen unterhalten sich an einer Bar
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Öffnungen und Delta

Herausforderungen fürs Contact-Tracing

In Österreich setzt sich die ansteckendere Delta-Variante durch. Zugleich hält die Bundesregierung an den weiteren Lockerungsplänen fest und verweist dabei auch auf die steigende Durchimpfungsrate. Als ausgemacht gilt aber zugleich, dass die Zahlen nun wieder merklich steigen werden. Damit rückt erneut auch das Contact-Tracing in den Fokus – das weiterhin in der Hand der Länder liegt.

Fast genau vor einem Jahr begann in Österreich die Zahl der CoV-Neuinfektionen wieder leicht zu steigen – bevor das Land dann im Herbst voll von der „zweiten Welle“ erwischt wurde. Wie auch heuer ging Österreich im vergangenen Jahr mit sehr wenigen CoV-Beschränkungen durch die Sommermonate. Wenngleich etwa die Nachtgastronomie damals noch geschlossen halten musste.

Die Geschichte werde sich aber nicht wiederholen, wird die Regierung nicht müde zu betonen, und verweist zum einen auf die CoV-Impfungen. Mehr als 56 Prozent aller Österreicherinnen und Österreicher haben inzwischen zumindest eine Impfung erhalten, rund 42 Prozent sind inzwischen vollimunisiert. Dazu kommt laut Regierung die „3-G-Regel“, die es im vergangenen Jahr auch noch nicht gab.

Freilich gab es im vergangenen Jahr auch noch keine Delta-Variante. Die erstmals in Indien nachgewiesene Mutation des Coronavirus beherrscht mittlerweile hierzulande das Infektionsgeschehen. Sie gilt als deutlich ansteckender als die Alpha-Variante, die im Winter in Europa dominant wurde. Diese Mutation wiederum war bereits wesentlich ansteckender als der ursprüngliche Wildtyp des Coronavirus.

Ministerium: Weiterhin wichtig zur Eindämmung

Dass damit die Zahlen auch in Österreich wieder deutlich steigen werden, gilt als ausgemacht. Nicht zuletzt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte am Montag, ein Anstieg der Ansteckungszahlen wie jüngst in Südeuropa und den Niederlanden „wird auch bei uns stattfinden“. In den Niederlanden stieg die Reproduktionszahl am Dienstag auf 2,17 – den höchsten Wert seit Ausbruch der Pandemie.

Zwar erklärte Kurz die Pandemie mittlerweile auch zu einem zunehmend „individuellen medizinischen Problem“. Dass sich der Staat deshalb völlig aus der Pandemiebekämpfung zurücknimmt, erscheint aber kaum realistisch. „Besonders wichtig zur Eindämmung der Pandemie ist neben einer hohen Impfbeteiligung sowie einer konsequenten Umsetzung der Maßnahmen durch die Bevölkerung auch das Tempo der Durchführung von Tests und Kontaktpersonenmanagement“, heißt es etwa aus dem Gesundheitsministerium gegenüber ORF.at.

Infektionsfälle rasch zu identifizieren und zu isolieren sei „in jeder Phase eine Pandemie wichtig“. Damit werde sowohl die Geschwindigkeit der Ausbreitung als auch die Zahl der Erkrankungen in der Bevölkerung reduziert. „Dies ist von großer Bedeutung, da dadurch die zusätzliche Belastung für das Gesundheitssystem reduziert werden kann“, so das Ministerium.

Jedem Bundesland sein EDV-System

Zuständig für die Kontaktnachverfolgung ist in Österreich allerdings nicht das Ministerium oder der Bund. Seit Beginn der Pandemie liegt die Suche nach möglichen Kontakten und deren Absonderung im Aufgabenbereich der Länder beziehungsweise Bezirke. Das hat zum Beispiel zur Folge, dass mittlerweile zwar jedes Bundesland das Contact-Tracing EDV-basiert abwickelt, dabei aber acht unterschiedliche Systeme zum Einsatz kommen. Nur Kärnten und Steiermark haben das gleiche System im Einsatz.

Mitarbeiter eines Contact-Tracing-Teams in ihren Büroräumlichkeiten
APA/Barbara Gindl
Das Contact-Tracing ist mittlerweile in allen Bundesländern EDV-basiert – wenn auch mit acht unterschiedlichen Systemen

Das in der Steiermark entwickelte System hat dabei eine direkte Anbindung an das Epidemiologische Meldesystems (EMS) des Bundes. Auch Wien, Oberösterreich und Niederösterreich erklärten gegenüber ORF.at, die eigenen EDV-Plattformen hätten eine Schnittstelle zum EMS. „Hinsichtlich der Tracing-Daten gibt es keine Schnittstelle zum EMS“, heißt es hingegen aus Tirol. Und auch das Vorarlberger System hat „keine automatische Anbindung an das EMS“.

Nicht immer einheitliches Vorgehen

Es ist das nicht der einzige Punkt, in dem sich die Länder bei der Kontaktnachverfolgung unterscheiden. Auf Nachfrage von ORF.at hieß es etwa aus dem Burgenland, Tirol und Vorarlberg, dass bereits bei Vorliegen eines Antigen-Tests nach Kontakten gefragt werde. In Wien, Oberösterreich, der Steiermark und Kärnten läuft die Nachverfolgung erst nach der Bestätigung durch einen positiven PCR-Test an. In Niederösterreich bekommen Verdachtsfälle nach einem positiven Antigen-Test zwar bereits ein Formular zur Nachverfolgung zugeschickt. Retournieren müssen sie es aber erst, nachdem auch ein PCR-Test ein positives Ergebnis geliefert hat.

Kein gänzlich einheitliches Vorgehen der Länder zeigt sich auch bei der Frage, wer als Kontaktperson der Klasse 1 und wer der Klasse 2 eingestuft wird. Konkret geht es darum, dass laut Empfehlung des Gesundheitsministeriums Menschen, deren Erstimpfung zumindest 22 Tage zurückliegt, auch bei engem Kontakt mit einem Infizierten als K2 eingestuft werden können und damit zum Beispiel nicht mehr in Quarantäne müssen.

Allerdings empfiehlt das Gesundheitsministerium auch: Bei Personen, die nicht vollimunisiert sind, sollten die Behörden beim Verdacht der Delta-Variante von einer solchen Abstufung absehen. Als Delta-Verdachtsfall solle dabei jeder Fall gelten, solange kein gegenteiliger Befund vom untersuchenden Labor vorliege.

In Niederösterreich werden deshalb Teilgeimpfte weiterhin automatisch als K1 eingestuft. In Oberösterreich passiert das, solange der Verdacht „nicht ausgeräumt ist“. Vorarlberg hingegen arbeitet derzeit nach eigenen Angaben an einem neuen Ablauf. Derzeit würden Kontaktpersonen, erst wenn sich eine Infektion mit der Delta-Variante bestätige, noch einmal geprüft und „bei Bedarf“ doch auf K1 hinaufgestuft.

Mitarbeiterzahlen variieren

Gar nicht so kleine Unterschiede zeigen sich zwischen den Ländern auch, wenn es um die Zahl der Menschen geht, die im Bereich des Contact-Tracing tätig sind. In der Steiermark seien derzeit etwa pro Tag rund zehn „reine Contact-Tracer“ im Dienst, so das Bundesland. Dazu kämen noch rund 25 Personen in den Bezirkshauptmannschaften, die mit der Fallbearbeitung beschäftigt sind. Sie würden derzeit aber zumeist für andere CoV-bezogene Tätigkeiten herangezogen.

In Oberösterreich ist die Zahl der im Contact-Tracing Beschäftigen laut Angaben des Landes deutlich größer: 50 seien es auf Landesebene. „Hinzu kommen die rund 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Bezirksverwaltungsbehörden.“ Und im deutlich kleineren Vorarlberg sind derzeit immerhin noch 65 Menschen in dem Bereich beschäftigt – wenn auch mit „sinkender Tendenz“. Allerdings halten alle Bundesländer gegenüber ORF.at fest, dass sie bei Bedarf die Mitarbeiterzahl schnell wieder nach oben korrigieren können.

Hauptjob der Contact-Tracer ist neben dem Ausstellen von Absonderungsbescheiden und Eingaben in die EDV-Systeme weiterhin das Telefonieren. Bei der mündlichen Befragung würden die besten Ergebnisse erzielt, heißt es etwa aus Tirol. In Vorarlberg könnte die Kontaktnachverfolgung mit Onlineformularen zwar theoretisch gänzlich automatisch ablaufen. Bei Unklarheiten oder auch wenn die Angaben nicht ausreichend erscheinen, werde aber trotzdem zum Telefonhörer gegriffen.

Wenig Rückgriff auf Gastroregistrierung

Für ihre Arbeit können die Contact-Tracer überdies auf die Registrierungslisten der Gastronomie zurückgreifen – zumindest noch. Mit 22. Juli soll in Österreich auch die Registrierungspflicht in der Gastronomie fallen. So kündigte es Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) Mitte Juni an. Und bisher hat die Regierung keine Hinweise gegeben, von diesem Kurs abzurücken.

Tatsächlich scheint man auch in den Bundesländern von den in der Gastronomie gesammelten Kontaktdaten bisher nur bedingt Gebrauch zu machen. Die SPÖ-geführten Bundesländer Wien, Burgenland und Kärnten meinten auf Nachfrage, die Registrierung in der Gastronomie könne „hilfreich“ sein – allerdings ohne konkrete Zahlen zu nennen. Auch in Oberösterreich sieht man es als eine „gute Unterstützung beim Contact-Tracing“, wenn Gäste in Wirts- und Kaffeehaus ihre Daten angeben.

Das Land Steiermark erklärte gegenüber ORF.at, „in einigen wenigen Fällen wurde in den letzten Wochen auf die Daten der Registrierungen zurückgegriffen“. Aufgrund der sehr niedrigen Fallzahlen handle es sich dabei aber nur um Einzelfälle. In Vorarlberg habe man mit Stand vergangener Woche einen Fall gehabt, „in dem wir auf die Gastroregistrierung zurückgreifen mussten“. Auch in Tirol spielte die Registrierungspflicht in der Gastronomie laut Angabe des Landes für das Contact-Tracing bisher „kaum eine Rolle“. Und in Niederösterreich hätten die Contact-Tracer überhaupt „noch keine Kontaktlisten“ anfordern müssen, hieß es vergangene Woche.

Das entspricht auch den Zahlen zur Fallabklärung, die – allerdings mit zweiwöchiger Verzögerung – von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) veröffentlicht werden. Anfang Juli wurde noch immer mehr als die Hälfte aller Infektionen auf Kontakte im eigenen Haushalt zurückgeführt. Und fast ein Viertel ging auf Reisen zurück. Auf die Gastronomie ließ sich laut der AGES-Zusammenstellung allerdings kein einziger Fall zurückführen. Freilich bezieht die AGES ihre Daten wiederum von den Ländern.

Kontaktsuche in Nachtgastro

Der von der AGES dargestellte Zeitraum steht überdies erst ganz am Anfang der jüngsten Öffnungsschritte. Mit ihnen fiel die vorgezogene Sperrstunde ebenso wie die Maskenpflicht in Lokalen. Zudem brachten die Lockerungen auch die Wiederöffnung der Nachtgastronomie mit sich. Inzwischen gibt es auch in Österreich erste Berichte über Fälle von Infizieren in Clubs und Discos. Die ZIB2 berichtete am Montag von sieben Infektionsfällen in Wiener Clubs, die insgesamt über 1.500 Kontaktpersonen der Kategorie K1 bzw. K2 nach sich zogen – mehr dazu in wien.ORF.at

Der Discobesuch einer infizierten Person im steirischen Lannach sorgte dafür, dass nun im großen Stil nach Kontaktpersonen gesucht wird. Rund 380 hatten sich mit ihren Kontaktdaten registriert. Die Behörden gehen aber davon aus, dass an dem Abend deutlich mehr Gäste in der Disco waren – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Auch in Tirol starteten die Behörden am Dienstagabend einen öffentlichen Aufruf, weil sich ein inzwischen positiv Getesteter am Wochenende in drei Innsbrucker Clubs aufhielt – mehr dazu in tirol.ORF.at. Und in Kärnten wuchs der CoV-Cluster in der Gastroszene in Velden am Wörthersee inzwischen auf zehn infizierte Personen, wenngleich bisher keine Gäste betroffen sind – mehr dazu in kaernten.ORF.at.

Aufklärungsquote relativ konstant

Fest steht jedenfalls: Mit steigenden Infektionszahlen, der beginnenden Urlaubs- und Reisesaison und weiteren Lockerungen wird die Arbeit der Contact-Tracer nicht einfacher werden. Dass den Ländern die Nachverfolgung von Infektionen und Kontaktpersonen noch einmal so entgleitet wie im vergangenen Herbst und Winter, hält man dort für unwahrscheinlich. Schließlich lag die Aufklärungsquote im Spätherbst 2020 österreichweit nur noch bei rund 20 Prozent.

Von diesen Werten sind die Bundesländer schon seit vielen Monaten weit entfernt. Seit Anfang des Jahres liegt die Quote für ganz Österreich konstant deutlich über 60 Prozent. Allerdings rutschten zuletzt gleich zwei Bundesländer mit ihrer Quote unter 50 Prozent. In Vorarlberg konnten Anfang Juli nur 45 Prozent aller Fälle abgeklärt werden. In Salzburg waren es nur noch 43 Prozent. Für Salzburg war das die dritte Woche in Folge, in der in dem Bundesland nicht mehr als jeder zweite Fall abgeklärt werden konnte.