Die Präsidentin der europäischen Zentralbank Christine Lagarde.
Reuters/Kai Pfaffenbach
Inflation und Klimawandel

Kleine Revolution in der EZB

Die Inflationsrate ist einer der Schlüsselwerte für Notenbanken weltweit, auch für die Europäische Zentralbank (EZB). Nun hat sie diesen Wert erstmals seit 20 Jahren, wenn auch nur leicht, nach oben verschoben. Der Strategiewechsel zeigt sich noch in einem anderen Punkt: Klimaschutz soll in der Geldpolitik mehr Gewicht bekommen.

Die EZB strebt künftig für den Euro-Raum eine jährliche Teuerungsrate von zwei Prozent an, wie die Notenbank am Donnerstag mitteilte. Das ist zwar etwas höher als die bisher veranschlagten „unter, aber nahe zwei Prozent“. Zugleich wird die EZB jedoch in ihrem Bestreben, mittelfristig Preisstabilität im Währungsraum der 19 Staaten sicherzustellen, künftig zumindest zeitweise „moderat über dem Zielwert“ liegende Inflationsraten akzeptieren.

Europas Währungshüter verschaffen sich beim Thema Inflation damit mehr Spielraum. Denn die Notenbank ist künftig nicht mehr unmittelbar zum Reagieren gezwungen, sollten die Inflationsraten zeitweilig nach oben oder nach unten von dem prozentualen Ziel abweichen. Es ist zugleich eine Abkehr von der Doktrin der Deutschen Bundesbank, die 2003 von der EZB übernommen worden war.

Für Einberechnen der selbst genutzten Immobilien

Die Euro-Währungshüter empfehlen zudem, künftig auch die Preise für selbst genutzte Wohnimmobilien in Berechnung der Inflationsrate aufzunehmen, die für sie ein zentraler Gradmesser für ihre Geldpolitik ist. Das sieht die EZB jedoch als längeren Prozess.

Das veränderte Inflationsziel ist ein Kernergebnis der Überprüfung der geldpolitischen Strategie, welche die seit 1. November 2019 amtierende EZB-Präsidentin Christine Lagarde angestoßen hatte. Hauptziel der Notenbank ist ein ausgewogenes Preisniveau – im Jargon der Währungshüter: Preisstabilität. Das sieht die EZB am ehesten gewährleistet, wenn die Preise im Euro-Raum moderat steigen. Daher wurde schon bei Gründung der EZB im Juni 1998 ein Inflationsziel mit Abstand zur Nullmarke gewählt.

Euro-Zonen-Inflation künstlich niedrig?

Unmittelbare Folgen für Bürgerinnen und Bürger der Euro-Zone haben die Entscheidungen zunächst nicht. Sie könnten freilich mittelfristig Auswirkungen auf die Bewertung von Staatsanleihen haben. Eine Änderung des Warenkorbs – mit Einbeziehen der Wohnimmobilien – würde die Teuerungsrate dagegen anheben und sich auf alle weiteren damit verbundenen Werte auswirken.

Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) begrüßte dieses Vorhaben. Er verwies darauf, in Europa seien im Wohnbereich „inflationäre Prozesse in Gang gekommen, die den Verbraucher empfindlich treffen, aber noch nicht ausreichend in der Inflationsmessung berücksichtigt“ seien.

Fachleute monieren, dass die Euro-Zone-Inflation künstlich niedrig ausfalle, indem die Kosten für Eigenheime nicht berücksichtigt werden. In den USA machen diese dagegen fast ein Viertel des Warenkorbs, in Deutschland immerhin zehn Prozent aus, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ bereits im Vorjahr berichtete.

Seit Jahren krisenbedingt niedriger

Allerdings lag die Teuerungsrate im Euro-Raum seit 2013 oft deutlich unter der Zweiprozentmarke. Und das, obwohl die EZB seit Jahren gewaltige Summen billigen Geldes auf die Märkte pumpt und die Zinsen auf Rekordtief hält. Kritiker werfen der EZB daher schon lange vor, sich mit ihrem starren Inflationsziel in eine Sackgasse manövriert zu haben, und forderten mehr Spielraum.

„Relevante Risiken des Klimawandels“

Der EZB-Rat hat zudem „einen umfassenden Aktionsplan mit einem ehrgeizigen Fahrplan zur weiteren Einbeziehung von Klimaschutzüberlegungen in seinen geldpolitischen Handlungsrahmen beschlossen“, hieß es in der Mitteilung der EZB.

Mit diesem Beschluss unterstreiche das Führungsgremium der Zentralbank für die 19 Euro-Staaten seine Verpflichtung, „ökologische Nachhaltigkeitsüberlegungen systematischer in seiner Geldpolitik zu berücksichtigen“. Das sei eines der Ergebnisse der Strategieüberprüfung, die die EZB in den vergangenen 18 Monaten vorgenommen habe.

Beim Kauf von Unternehmensanleihen habe die EZB bereits damit begonnen, „relevante Risiken des Klimawandels“ in ihren Prüfverfahren für den Ankauf von Vermögenswerten zu berücksichtigen, sagte die Notenbank.

Lagardes Plädoyer für mehr Klimaschutz

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte sich wiederholt für mehr Engagement für Klima- und Umweltschutz ausgesprochen. Die Französin hatte immer wieder bekräftigt, die EZB werde im Rahmen ihres Mandats zu den Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel beitragen.

Ob Notenbanken umweltpolitische Ziele mit ihrer Geldpolitik unterstützen sollten, ist unter Notenbankerinnen und -bankern und Fachleuten umstritten. Dabei geht es vor allem um die Frage, ob eine Zentralbank bei Anleihekäufen „grüne“ Wertpapiere anderen Papieren vorziehen sollte.