Bundeskanzler Sebastian Kurz
APA/Herbert Neubauer
Delta-Ausbreitung

Regierung hält an Öffnungen fest

Die Regierung hält trotz der Ausbreitung der ansteckenderen Delta-Variante in Österreich an ihrem Öffnungsfahrplan fest. Am 22. Juli soll die Maskenpflicht weiter gelockert werden. Das bekräftigte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Freitag. Die „3-G-Regel“ bleibe aufrecht. Das niederschwellige Impfangebot werde weiter ausgebaut.

Kurz erneuerte seinen Appell an die Bevölkerung, sich impfen zu lassen. Das Virus werde in den nächsten Jahren nicht verschwinden. „Nur wer geimpft ist, ist geschützt“, sagte der Kanzler bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne), Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) und dem Vizerektor der MedUni Wien, Oswald Wagner.

„Die Impfung bleibt freiwillig“, sagte der Kanzler. Niemand werde gezwungen, und er verurteile auch niemanden, aber „als Bundeskanzler bin ich froh über jeden, der geschützt ist“. Das Impfangebot werde erweitert: Laut Kurz soll es etwa weitere Impftage ohne Anmeldung sowie Impfungen in besonderen Settings für Jüngere geben.

40 Prozent der Bevölkerung seien bereits vollständig geimpft, das entspreche 45 Prozent der impfbaren Bevölkerung, sagte Gesundheitsminister Mückstein. Er ersuche alle, die bereits eine Dosis eines CoV-Vakzins erhalten haben, den Impfschutz zu vervollständigen. Auch Mückstein rief die Bevölkerung auf, die Impfangebote in den Bundesländern wahrzunehmen. Wenn die Impfgeschwindigkeit beibehalten werde, komme man gut durch den Herbst. Wenn das Tempo aber nachlasse, „können wir in die Lage kommen, wo wir die gemeinsam erarbeiteten Lockerungen wieder verlieren könnten“, warnte Mückstein. Die infektiösere Delta-Variante sei hierzulande bereits dominant.

Ansteckungszahlen steigen wieder

Nach einer langen Phase des Rückgangs steigt die Zahl der CoV-Neuinfektionen in Österreich und vielen anderen EU-Ländern wieder. Die Ampelkommission und das CoV-Prognosekonsortium orten aufgrund der Verbreitung der hochansteckenden Delta-Variante eine „hohe Wahrscheinlichkeit“ für eine vierte Welle in Österreich.

Kurz erneuert Impfappell

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und die Regierung halten an den geplanten Öffnungsschritten fest. Eine Impfpflicht werde es nicht geben, aber nur wer geimpft sei, sei auch geschützt.

Laut einem Bericht der APA empfehlen die Gremien abhängig von den Fallzahlen und den Belastungen des Gesundheitssystems eine Wiedereinführung diverser Maßnahmen. Die FFP2-Maskenpflicht sollte ab einem Schwellenwert einer risiko-adjustierte 7-Tage-Inzidenz von 25 wieder eingeführt werden. Bei steigenden Hospitalisierungen auf den Normalstationen wird auch die Wiedereinführung des „Social Distancing“ angeraten, im Fall eines kontinuierlichen Anstiegs der Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen (was aus derzeitiger Sicht als wenig wahrscheinlich gilt), wird auch neuerlich ein „Lockdown light“ in Betracht gezogen.

Einschränkung der Grundrechte „kein Dauerzustand“

Österreich sei besser durch die dritte Welle gekommen als andere Länder, sagte Kurz. In sechs von neun Bundesländern sei man ohne Lockdown durchgekommen. Was die Zahlen betrifft, liege Österreich im besten Drittel der EU, „obwohl wir um ein Vielfaches mehr testen“, so der Kanzler.

Oswald Wagner (Vize-Rektor MedUni Wien), Tirols Landeshauptmann Günther Platter, Bundeskanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein
APA/Herbert Neubauer
Mückstein, Kurz, Platter und Wagner (v. r. n. l.): Die CoV-Impfung sei der „Gamechanger“

Die Infektionszahlen würden trotzdem wieder steigen, vor allem bei den Jüngeren. Das sei zu erwarten gewesen, aufgrund des Sozialverhaltens und der hohen Durchimpfungsrate bei Älteren. Kurz betonte mit Verweis auf die derzeit niedrigen Ansteckungszahlen, dass die Öffnungsschritte wie geplant fortgesetzt werden sollen.

Die Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten könne „kein Dauerzustand sein“, sagte der Kanzler in der Pressekonferenz. „Das wird es mit mir nicht geben.“ Dass die Zahlen über den Sommer und spätestens im Herbst wieder steigen werden, sei „sonnenklar“. Mit früheren Wellen ist die Situation laut Kurz aber nicht vergleichbar. Die Impfung sei der „Gamechanger“. „Man kann nicht auf Dauer die Freiheitsrechte einschränken, wenn es durch die Impfung ein gelinderes Mittel gibt“, sagte Kurz.

Lockerung der MNS-Pflicht ab 22. Juli

Die MNS-Pflicht im Handel soll wie geplant am 22. Juli weiter gelockert werden und dann nur noch in Supermärkten, Banken, Apotheken, Postgeschäftsstellen und Tankstellen sowie den Betriebsstätten des täglichen Bedarfs gelten. In allen übrigen Geschäften und in Museen entfällt sie, wenn die Betreiber keine strengere Maßnahme vorsehen. Weiterhin gilt die Maskenpflicht auch im öffentlichen Verkehr sowie in Krankenanstalten und Alters- und Pflegeheimen. Hier können die Betreiber aber ebenfalls strengere Maßnahmen ergreifen.

„Das wird dieses Jahr anders gemanagt“

„Ohne Eigenverantwortung“ sei die Pandemie nicht in den Griff zu bekommen, sagte Platter, der momentan den Vorsitz der Landeshauptleutekonferenz führt. Auch Platter bekräftigte das Festhalten an weiteren Lockungen: Die Öffnungsschritte seien auch „aus Sicht der Länder die richtigen“, so Platter: „Wenn man unterwegs ist im Land, könnte man sagen: Österreich lebt wieder.“

Mückstein zur Lage im Herbst

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein rief die Bevölkerung zum Impfen auf. Nur wenn das Impftempo hoch gehalten werde, komme Österreich gut durch den Herbst.

Ein „klares Commitment“ gab es von Kurz zum Präsenzunterricht in den Schulen im Herbst. ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann arbeite an einem Konzept für die Schulöffnung im Herbst, das zeitnahe präsentiert werden solle. Der Schulstart werde eine große Herausforderung, sagte Platter. „Es soll nicht passieren, dass wir generell die Schulen sperren müssen, dass Homeoffice und Homeschooling notwendig sind.“

Mückstein erinnerte an die gute Lage im vergangenen Sommer und den darauffolgenden Herbst, als die zweite Welle Österreich erfasste und die Zahl der Covid-19-Toten in die Höhe ging. „Das wird dieses Jahr anders gemanagt. Das garantiere ich“, versprach Mückstein. An Platter gewandt sagte der Gesundheitsminister: Der Schutz vor einer vierten Welle schütze auch vor dem Verlust Zehntausender Arbeitsplätze im Tourismus.

Wagner: Impfstoffe in wenigen Wochen adaptierbar

Die Lage sei derzeit gut unter Kontrolle, so Mückstein. In Sachen Tests werde man immer genauer, die Zahl der PCR-Tests steige. MedUni-Wien-Vizerektor Wagner bezeichnete das Testangebot und die Beibehaltung der Maskenpflicht in manchen Bereichen als „Übergangslösung für den Sommer, bis alle geimpft sind, die geimpft werden wollen“.

Regierung setzt auf Impfungen

Die Regierung will trotz der Delta-Variante an den Lockerungen festhalten. Um diese beibehalten zu können, müssen sich so viele Menschen wie möglich gegen das Coronavirus impfen lassen, so der Bundeskanzler.

Eine Vollimmunisierung mit den derzeit zugelassenen Impfstoffen schützt auch vor der Delta-Variante. Auch Delta könne sich weiterentwickeln, so Wagner, und es könnte eine Mutante entstehen, die der Wirkung der Impfung entkommt. Grund zu Sorge bestehe aber nicht: Die Impfstoffe könnten binnen weniger Wochen an neue Varianten adaptiert werden.

SPÖ für höheres Impftempo, NEOS für Aus von Gratistests

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner rechnet mit einem Anstieg der Erkrankungen spätestens im Herbst. „Um gröbere Schäden zu vermeiden, müssen das Impftempo, die Durchimpfung erhöht werden.“ Es brauche niederschwellige Möglichkeiten, sich ohne Anmeldung impfen zu lassen – bei Konzerten, auf Parkplätzen großer Supermärkte, in Fitnesscentern. Um die Übersicht über andere Virusvarianten zu behalten, müssten PCR-Tests fortgeführt werden. In „Öffis“ und in Supermärkten müsse die Maskenpflicht bleiben.

NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker hielt fest, dass die CoV-Tests nach dem Sommer kostenpflichtig werden sollten, damit sich möglichst viele Menschen impfen lassen. „Solange man an jeder Ecke einen Gratistest bekommt, wird die Durchimpfungsrate nicht entscheidend erhöht werden können.“ Ein niederschwelliges Testangebot sei zweifelsohne zu einer Zeit, als der Impfstoff noch rar war, überaus wichtig gewesen. Der Staat kaufe mit Steuergeld teuren Impfstoff. Wer sich freiwillig gegen dieses Angebot entscheide, dürfe nicht erwarten, auf Dauer alles gratis zu bekommen.

Intensivmedizin: „Nicht in falscher Sicherheit wiegen“

Die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) zeigte sich indes besorgt über die Verbreitung der Delta-Variante in vielen Ländern und mahnte zur Vorsicht. „Wir müssen rechtzeitig gut gewappnet sein für einen Wiederanstieg der Fallzahlen, wie wir sie seit Wochen in vielen Ländern beobachten müssen. Die aktuell günstige Infektionslage darf uns nicht in falscher Sicherheit wiegen“, sagte ÖGARI-Präsident Walter Hasibeder.

Bei einer ungenügenden Durchimpfungsrate bestehe die große Gefahr einer neuerlichen Infektionswelle am Ende der Sommerferien, „wenn wir uns wieder mehr in Räumen aufhalten und wenn Urlaubsrückkehrer die Delta-Variante oder neue noch unbekannte ‚Variants of Concern‘ eintragen“, so Hasibeder. Die möglichst vollständige Durchimpfung der Bevölkerung müsse daher in den nächsten Wochen das oberste gesundheitspolitische Ziel sein. „Wer nicht geimpft ist, wird sich letztlich infizieren, und niemand kann den klinischen Verlauf einer Infektion genau vorhersehen“, sagte Hasibeder.

Handel erfreut, GPA vermisst Praxistauglichkeit

Der Handel zeigte sich erfreut über die Lockerung der Maskenpflicht: „Jede Erleichterung hilft dem Handel“, sagte WKÖ-Handelsobmann Rainer Trefelik zur APA. Die Branche erwarte dadurch einen Umsatzanstieg von zehn Prozent sowie eine Umsatzstabilisierung in den schwächeren Sommermonaten, so Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will.

Die Gewerkschaft GPA bezeichnete die Differenzierung bei der Maskenpflicht im Handel als „weder logisch noch praxistauglich“. In Einkaufszentren müsse dann vor jedem Geschäft überlegt werden, welche Regel es zu beachten gilt, in einem Möbelhaus etwa gebe es keine Vorschriften für den Eintritt, beim Besuch des integrierten Restaurants brauche der Gast aber einen „3-G“-Nachweis.