Eine Mitarbeiterin der chinesischen BGI Gruppe beim testen von Proben im Labor.
Reuters/Stringer
Weltweit eingesetzte Pränataltests

China sammelt Gendaten von Schwangeren

Um Erbkrankheiten schon vor der Geburt feststellen zu können, werden häufig nicht invasive Pränataltests (NIPT) eingesetzt. Eine Firma, die diese herstellt, ist die chinesische BGI Group. Wie eine Reuters-Recherche ergab, sammelt BGI mit seinen NIPTs nicht nur millionenfach Daten schwangerer Frauen auf der ganzen Welt, sondern teilt diese auch mit dem chinesischen Militär. Auch in Österreich werden die Tests eingesetzt.

US-Sicherheitsberater warnten schon im März vor einer riesigen Bank von Erbgutdaten, die von Chinas größtem Genomikunternehmen BGI gesammelt und mittels künstlicher Intelligenz (KI) analysiert würden. Diese Datenbank verschaffe der Volksrepublik einen wirtschaftlichen und militärischen Vorteil gegenüber den USA, meinten die Sicherheitsberater. Denn BGI begann 2010 mit chinesischen Militärkrankenhäusern zusammenzuarbeiten, um die Genome von Föten zu untersuchen. Mehr als ein Dutzend gemeinsamer Studien mit Forscherinnen und Forschern der Volksarmee wurden seither veröffentlicht.

Die USA befürchten, China könnte so nach und nach versuchen, die Pharmaindustrie weltweit zu dominieren. Außerdem, bemerkten die US-Berater, könne die Analyse eines Menschen bereits im Mutterleib genutzt werden, um Informationen darüber zu bekommen, wie er körperlich und geistig beschaffen ist.

Zur Auswahl von Soldaten genutzt?

Reuters schreibt, China könne auf diese Weise zum Beispiel strukturell auswählen, welche seiner Staatsbürgerinnen und Staatsbürger besonders kräftige Soldatinnen und Soldaten werden könnten und wen man nach den Bedürfnissen der Kommunistischen Partei (KPCh) besser in anderen Funktionen unterbringe. Durch die Analyse der BGI-Tests, die unter dem Namen „Nifty“ weltweit vermarktet werden, könne man etwa Menschen herausfiltern, die eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, unter beeinträchtigten Sinnesorganen zu leiden.

Informationsschalter der chinesischen BGI Gruppe auf einer Messe in Shanghai.
AP/Imaginechina/Bai kelin
Menschen schon im Mutterleib kategorisieren – das wird laut Reuters von BGI strukturell betrieben

Was nach Science-Fiction klingt, könnte der Reuters-Recherche zufolge Realität sein. So könnte man beispielsweise Soldatinnen und Soldaten rekrutieren, die einen besonders gut ausgeprägten Hör- und Sehsinn haben. Überdies, so befürchten die USA, könne China Krankheitserreger dahingehend manipulieren, dass sie nur eine bestimmte Bevölkerungsgruppe treffen.

„Qualität der Bevölkerung“

Reuters schreibt weiters, dass China durch „Nifty“ dafür sorgt, die „Qualität der Bevölkerung“ zu verbessern. Eine umfassende BGI-Studie nutzte laut der Nachrichtenagentur die „Nifty“-Daten dazu, die Prävalenz von Viren bei chinesischen Frauen zu kartieren, nach Indikatoren für psychische Erkrankungen zu suchen und tibetische und uigurische Minderheiten herauszufiltern. So sollten Verbindungen zwischen ihren Genen und Eigenschaften gefunden werden.

Menschen uigurischer und tibetischer Abstammung werden in der Volksrepublik stark benachteiligt. Seit 2017 geht die chinesische Regierung unter Berufung auf die Notwendigkeit der inneren Sicherheit mit einer repressiven Strategie gegen Uiguren vor. Dazu gehören unter anderem Masseninternierungen, umfassende „Umerziehungsmaßnahmen“ und erhöhter Druck auf die uigurische Diaspora.

Über acht Millionen Schwangere getestet

Seit 2013 vermarktet BGI seine „Nifty“-Tests im Ausland. Sie gehören zu den meistverkauften NIPTs der Welt. Bisher wurden laut BGI weltweit mehr als acht Millionen schwangere Frauen getestet. Nach Informationen von Reuters befinden sich mittlerweile die genetischen Daten von mehr als 500 Frauen aus Europa und Asien, die den Test benutzt hatten, auch in der von Chinas Regierung finanzierten China National GeneBank.

Bild zeigt ein Formular für einen pränatal Test der chinesischen BGI Gruppe.
Reuters/Jakub Stezycki
Mit einer umfassenden Datenschutzvereinbarung sichert sich das Unternehmen ab

Der Vorgang wirft ein Licht auf den generellen Umgang mit Medizindaten durch Regierungen und Konzerne weltweit – zumal sich die Tonlage in den Beziehungen zwischen westlichen Regierungen und dem kommunistischen China in den vergangenen Monaten verschärft hat. So ist die Sorge vor einem Datenabfluss auch in Deutschland groß. „Dieser Test darf künftig in Deutschland nur angewendet werden, wenn sichergestellt ist, dass die verwendeten Daten im Geltungsbereich der Datenschutzgrundverordnung verbleiben“, sagte etwa der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff am Freitag zu Reuters.

Auch in Österreich angewendet

In der Tat macht BGI keinen Hehl daraus, zumindest Blutprobenreste an sein Labor in Hongkong zu schicken, um anonymisierte genetische Daten für die Bevölkerungsforschung einzusetzen. Das bestätigte das Unternehmen in zahlreichen schriftlichen Dokumenten, in die auch ORF.at Einsicht nahm. Die „Nifty“-Tests werden in mindestens 52 Ländern verkauft – auch in Österreich über das Unternehmen GenePlanet.

Deren Datenschutzerklärung kann man als Schwangere, die einen NIPT durchführt, zustimmen oder ablehnen, dass die klinischen Daten anonymisiert „in einer statistischen Datenbank gespeichert werden können, um die Diagnose genetischer Anomalien und Krankheiten bei anderen Patientinnen zu erforschen und zu verbessern“. Im Kleingedruckten ist dann noch zu lesen: „In Ausnahmefällen und Fällen höherer Gewalt werden die Blutprobe und die personenbezogenen Daten an das Partnerlabor BGI in Hongkong übermittelt.“ Hongkong ist Chinas Sonderverwaltungszone und wurde mit dem „Sicherheitsgesetz“ 2020 politisch auf Linie gebracht.

Kein Hinweis auf Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen

Die Datenschutzrichtlinien des „Nifty“-Test besagen überdies, dass die gesammelten Daten weitergegeben werden können, wenn sie „direkt relevant für die nationale Sicherheit oder die nationale Verteidigungssicherheit“ in China sind. BGI sagte, dass es „niemals darum gebeten wurde, Daten aus seinen Nifty-Tests für die nationale Sicherheit oder die nationale Verteidigung an chinesische Behörden weiterzugeben – noch hat es diese Daten zur Verfügung gestellt“.

Reuters fand tatsächlich keine Beweise dafür, dass BGI gegen Datenschutzvereinbarungen oder -bestimmungen verstößt. Das Unternehmen betonte, es hole eine unterzeichnete Zustimmung ein und vernichte Proben und Daten aus dem Ausland nach fünf Jahren. „Zu keinem Zeitpunkt während des Test- oder Forschungsprozesses hat BGI Zugriff auf identifizierbare persönliche Daten“, so das Unternehmen. Chinas Außenministerium reagierte, die Reuters-Recherchen spiegelten „grundlose Anschuldigungen und Verleumdungen“ der US-Behörden wider.

Auch andere Firmen, die pränatale Tests verkaufen, verwenden Daten für die Forschung. Zahlreiche amerikanische IT-Konzerne sammeln und verarbeiten ebenfalls weltweit Gesundheitsdaten von Menschen. Keiner von ihnen aber operiere in der Größenordnung von BGI, so Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Reuters, und keiner habe wie BGI Verbindungen zu einer Regierung oder dem nationalen Militär.