Der bulgarische Ministerpräsident Bojko Borrisow
Reuters/Spasiyana Sergieva
Parlamentswahl

Knappes Rennen in Bulgarien

Mit kleinen Abweichungen hat die vorgezogene Parlamentswahl am Sonntag in Bulgarien das Wahlergebnis vom 4. April wiederholt. Laut ersten Befragungen von Wählern und Wählerinnen nach der Abstimmung gewinnt die Mitte-rechts-Partei GERB des langjährigen Ministerpräsidenten Bojko Borrisow knapp die Neuwahl. Doch die Anti-Establishment-Partei ITN des Showmasters Slawi Trifonow liegt knapp dahinter.

Schon im April war die GERB trotz Korruptionsvorwürfen wieder als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgegangen. Angaben des Meinungsforschungsinstituts Gallup International zufolge kommt die ehemalige Regierungspartei auf 22,1 Prozent der abgegebenen Stimmen. Dicht dahinter folgt ITN mit 21,5 Prozent. Es ist nicht auszuschließen, dass die ITN die GERB im Zuge der tatsächlichen Auszählung der Stimmen und Hochrechnungen überholt.

Umkämpft ist auch der dritte Platz – zwischen den Sozialisten (BSP) mit 15,1 Prozent und dem konservativen Wahlbündnis Demokratisches Bulgarien mit 13,7 Prozent. Ins Parlament ziehen aller Voraussicht nach auch die wirtschaftsliberale DPS, eine Partei der türkischen Volksgruppe mit zwölf Prozent und das Protestbündnis „Steh auf“ mit 4,8 Prozent ein. Unklar bleibt, ob die nationalistische Dreierkoalition Bulgarische Patrioten die Vierprozenthürde für den Einzug ins Parlament in Sofia überwinden wird.

Frage nach Mehrheit

Rund 6,7 Millionen Bulgaren und Bulgarinnen waren am Sonntag aufgerufen, die neuen 240 Parlamentarier zu bestimmen. Die Schlüsselfrage bei dieser Wahl blieb jedoch am Wahlabend unbeantwortet: Wird es dem neuen Parlament gelingen, sich auf eine regierungsfähige Mehrheit zu einigen? Ein solcher Versuch war nach der regulären Wahl am 4. April gescheitert. Seitdem wird Bulgarien nicht von Borissow, sondern von einer Übergangsregierung geführt.

Nun haben die drei „Anti-GERB-Parteien“ – ITN, Demokratisches Bulgarien und „Steh’ auf“ – sowie die Sozialisten drei neue Anläufe, um eine Regierungsmehrheit gegen die Mitte-rechts-Partei Borissows zu bilden. Die Parteien des gegnerischen Lagers des langjährigen Ministerpräsidenten werfen ihm korrupte Amtsführung vor und schließen eine Koalition mit seiner GERB-Partei aus.

Bulgarische Bürger demonstrieren in Sofia.
APA/AFP/Nikolay Doychinov
Bulgarische Bürger und Bürgerinnen demonstrierten vor einem Jahr in der Hauptstadt Sofia

Gegen mehrere Korruptionsaffären der Regierung und ihr Coronavirus-Management hatte es im Sommer des vergangenen Jahres Massenproteste gegeben. Die Wahl galt daher auch als Machtprobe zwischen der langjährigen Machtelite und der Protestbewegung. Gegner und Gegnerinnen werfen Borissow vor, selbst für ein durch und durch korruptes System bulgarischer Oligarchen zu stehen. Das hat sein Image als Kämpfer für Recht und Ordnung schwer beschädigt.

Satiriker hofft auf Regierung mit „jungen Leuten“

Die Schlüsselfrage nach der Regierungsmehrheit hängt auch sehr stark von der Wahlbeteiligung ab, die laut Gallup International niedriger als im April liegt. Gingen im April etwa 43 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl, waren es am Sonntag nur knapp 35 Prozent. Das könnte zum Teil am Wahltermin im Hochsommer liegen. Die niedrige Wahlbeteiligung hilft eher den gut mit Stammwählern und -wählerinnen ausgestatteten großen Parteien.

Der bulgarische Premierminister Bojko Borissow.
APA/Barbara Gindl
Borissow will wieder Premier werden

ITN-Chef Trifonow will bei einem Wahlerfolg selbst weder Ministerpräsident noch Abgeordneter werden, sondern lediglich eine Regierungsbildung ohne Beteiligung der etablierten Parteien ermöglichen. „Es ist Zeit zu beenden, was wir angefangen haben, und das Regierungsmodell komplett zu ändern“, schrieb er bei Facebook.

Er hoffe auf eine neue Regierung aus „jungen Leuten, neuen Gesichtern“. Die ITN hat vorab ein Regierungsbündnis mit etablierten Parteien ausgeschlossen. Ohne eine stabile Regierungsmehrheit könnte erneut eine Neuwahl in dem EU-Land nötig werden.

GERB verlor Stimmen bei Wahl im April

Bereits bei dieser Abstimmung hatte GERB deutlich an Rückhalt eingebüßt, war aber mit gut 26 Prozent stärkste Kraft geblieben. Trifonows ITN errang damals 17,6 Prozent der Stimmen. Als Reaktion auf das schlechte Wahlergebnis trat Borissow, der in Bulgarien seit 2009 fast durchgehend an der Macht war, zurück.

Die Übergangsregierung hatte vor der Wahl versucht, gegen den weit verbreiteten Kauf von Stimmen und die Einschüchterung von Wählern und Wählerinnen vorzugehen. Diese in Bulgarien gängigen Praktiken wirken sich laut dem in der Hauptstadt Sofia ansässigen Antikorruptionsfonds auf fünf bis 19 Prozent der Stimmen aus.

Mehr als 900 Menschen waren im Vorfeld festgenommen worden, weil sie mutmaßlich ärmere Menschen in ihrer Wahlentscheidung beeinflussen wollten. Nach Angaben des Innenministeriums sollen die Verdächtigen den Wahlberechtigten Geldgeschenke im Wert von zehn bis 25 Euro, aber auch Feuerholz und Grundnahrungsmittel angeboten haben.