Präsidentenpalast in Haiti
Reuters/Ricardo Arduengo
Präsidentenmord in Haiti

Arzt als „Drahtzieher“ festgenommen

Haitis Nationalpolizei hat nach eigenen Angaben einen mutmaßlichen Drahtzieher des Mordes an Präsident Jovenel Moise festgenommen. Laut Polizei handelt es sich um einen haitianischen Arzt, der im US-Bundesstaat Florida wohnt. Vor wenigen Wochen soll er nach Haiti eingereist sein.

Der 63-jährige Christian Emmanuel Sanon sei Anfang Juni in einem Privatjet nach Haiti geflogen, begleitet von angeheuerten Sicherheitsleuten. Sanons Motiv sei „politisch“ gewesen, sagte Haitis Polizeichef Leon Charles auf einer Pressekonferenz am Sonntag. Sein Ziel sei gewesen, das Amt des Präsidenten zu übernehmen.

Der Arzt werde beschuldigt, die als Attentäter verdächtigten kolumbianischen Söldner über eine private venezolanische Sicherheitsfirma mit Sitz in Florida angeheuert zu haben. Er sei der Erste gewesen, den diese nach dem Attentat angerufen hätten. In seiner Wohnung seien Beweise gefunden worden. Der Mann habe mit zwei weiteren Hintermännern Kontakt gehabt.

Polizeichef Leon Charles spricht auf einer Pressekonferenz
APA/AFP/Valerie Baeriswyl
Polizeichef Charles meldete am Sonntag die Festnahme eines mutmaßlichen Drahtziehers des Attentats auf den Präsidenten

Viele Festnahmen und viele Unklarheiten

Mehrere YouTube-Videos aus dem Jahr 2011 inszenierten einen „Dr. Christian Sanon“ als potenziellen Führer des Landes. Darin prangert der Sprecher die Führung Haitis als korrupte Plünderer der Ressourcen des Landes an. „Wenn ich an der Macht bin, werdet ihr mir beantworten müssen: ‚Was werdet ihr mit meinem Uran machen?‘“, sagt er. Und weiter: „Was macht ihr mit dem Öl, das wir im Land haben? Was werdet ihr mit dem Gold machen, das ihr ausbeuten wollt?“ Dass es sich bei dem in den Videos präsentierten Sanon um die gleiche Person handelt, die nun verhaftet wurde, ist noch nicht bestätigt.

Im Zusammenhang mit dem Mord an Moise seien 18 Kolumbianer und drei Amerikaner haitianischer Herkunft – einschließlich Sanons – verhaftet worden, sagte Charles. Fünf Kolumbianer seien noch auf freiem Fuß, drei seien getötet worden. Die Hintergründe der Tat sind weiterhin unklar. Für Spekulationen sorgte unter anderem, dass die Wächter des Präsidenten anscheinend keinen Widerstand leisteten. Die mutmaßlichen Attentäter sagten den Ermittlern, dass sie den Präsidenten festnehmen wollten, nicht töten, wie die Zeitung „Miami Herald“ berichtete. Sie hätten den Präsidenten bereits tot aufgefunden.

Präsidentengattin schildert Attentat

Der 53 Jahre alte Staatschef Moise war in der Nacht auf Mittwoch in seiner Residenz überfallen und erschossen worden. Seine Ehefrau Martine Moise wurde schwer verletzt. Am Samstag postete sie eine Sprachnachricht auf ihrer Twitter-Seite, in der sie den Moment beschrieb, in dem die Angreifer ihren Mann töteten. „In einem Wimpernschlag drangen die Söldner in mein Haus ein und durchlöcherten meinen Mann mit Kugeln“, sagte sie in der Aufnahme.

Sie deutete an, dass ihr Mann aus politischen Gründen ins Visier genommen wurde – insbesondere wegen der Erwähnung eines Referendums über Verfassungsänderungen, das dem Präsidenten mehr Macht hätte geben können. Gewisse Personen „wollen den Traum des Präsidenten ermorden“, sagte sie. Nähere Details zu den von ihr Beschuldigten nannte sie nicht.

Zwei Interimspremiers kämpfen um Macht

Moise war seit 2017 im Amt und regierte seit mehr als einem Jahr mit Erlässen, weil die Ausrichtung einer Wahl gescheitert war. Die Opposition warf dem 53-Jährigen Korruption vor, es kam zu Massenprotesten. Moise hatte die Anschuldigungen stets bestritten und auf eine Verfassungsreform gedrängt, mit der er nach eigenen Angaben für mehr Stabilität sorgen wollte. Seine Gegner sahen darin den Versuch, eine Diktatur zu errichten.

Nach der Ermordung Moises steuert Haiti nun auf einen weiteren Machtkampf zu: Zwei Männer erklärten sich jeweils zum Interimsregierungschef. Der bisherige Interimspremier Claude Joseph führt seit dem Mord die Regierung, obwohl Moise noch zwei Tage vor seiner Ermordung den Neurochirurgen und Ex-Innenminister Ariel Henry zu dessen Nachfolger ernannt hatte. Henry sagte in einem Interview, aus seiner Sicht sei er der wahre Interimspremierminister. Der Senat wählte seinen Präsidenten Joseph Lambert, der Henry unterstützt, am Freitag zum Interimsstaatschef.

Bandenführer ruft zur Mobilisierung auf

Das Parlament ist seit Anfang 2020 nicht beschlussfähig, nachdem eine Wahl ausgefallen und die Amtszeiten der meisten Abgeordneten abgelaufen waren. Der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs starb vor wenigen Wochen an den Folgen von Covid-19. Für den 26. September sind Präsidenten- und Parlamentswahlen geplant.

Zuletzt trieben überdies blutige Kämpfe zwischen Banden um die Kontrolle über Teile der Hauptstadt mehr als 14.000 Menschen in die Flucht. Der berüchtigte Bandenführer und Ex-Polizist Jimmy „Barbecue“ Cherizier, dem Verbindungen zu Moise nachgesagt wurden, sagte in einem am Samstag veröffentlichten Video, dessen Ermordung sei eine nationale und internationale Verschwörung gegen das haitianische Volk gewesen. Er rufe alle Banden auf zu mobilisieren.

US-Ermittler in Haiti

Die internationale Gemeinschaft hat Joseph, der auch Außenminister ist, bisher als Ansprechpartner anerkannt. Seine Regierung bat die Ex-Besatzungsmacht USA, Truppen zu schicken, um für Sicherheit zu sorgen und Infrastruktur zu schützen. Die Bitte werde geprüft, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby. Der Fokus liege derzeit aber darauf, bei den Ermittlungen zu helfen, sagte er dem Sender Fox News.

Die USA entsandten inzwischen hochrangige Beamte unter anderem der US-Bundespolizei FBI und des Heimatschutzministeriums nach Haiti. Diese trafen sich am Sonntag nach Angaben von Lambert auch mit ihm. Gemeinsam habe man seine Wahl zum Übergangspräsidenten gewürdigt und die nächsten Schritte besprochen, schrieb er auf Twitter. Kurz darauf twitterte Lambert, er sei empört: Joseph habe seinen Rivalen Henry vor der US-Delegation verleumdet und beleidigt.

Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jennifer Psaki, hatte auch eine baldige Lieferung von Impfstoff gegen das Coronavirus angekündigt – daran fehlt es in Haiti, dem ärmsten Land des amerikanischen Kontinents, bisher komplett. Die Fallzahlen stiegen dort zuletzt deutlich.