Ein enttäuschter englischer Fan
Reuters/Henry Nicholls
Chaos und Rassismus

Hartes Erwachen für Englands Fußball

Die Niederlage des englischen Nationalteams gegen Italien im Finale der Fußball-EM am Sonntag in London hat für rassistische Ausfälle und Beschimpfungen insbesondere in sozialen Netzwerken gesorgt. Schon zuvor hatte es Auseinandersetzungen zwischen englischen Fans und der Polizei gegeben. Der britische Premier Boris Johnson und der Englische Fußballverband (FA) verurteilten dieses Verhalten scharf.

Die Angriffe richteten sich vor allem gegen die englischen Spieler Bukayo Saka, Marcus Rashford und Jadon Sancho, die ihre Chance im Elfmeterschießen vergaben. Die Enttäuschung über Italiens Triumph schlug in Gewalt und Rassismus um.

Der britische Premierminister nahm dazu am Montag Stellung und verlangte mehr Respekt: „Dieses englische Team verdient es, als Helden verehrt und nicht rassistisch beschimpft zu werden“, twitterte er. „Die Verantwortlichen für diese entsetzlichen Beschimpfungen sollten sich schämen.“ Die Nationalmannschaft habe „die Nation stolz gemacht und verdient große Anerkennung“.

„Als Anhänger unseres Teams nicht willkommen“

Schon zuvor hatte sich die FA über die rassistischen Beschimpfungen entrüstet gezeigt: "Die FA verurteilt alle Formen von Diskriminierung und ist erschüttert über den Rassismus online, der in sozialen Netzwerken auf einige unserer England-Spieler zielt.“ Jeder, der hinter solch widerlichem Verhalten stecke, sei „als Anhänger unseres Teams nicht willkommen“. Der Fußballverband kündigte die „härtestmöglichen Strafen für jeden, der verantwortlich ist“, an.

Die Londoner Polizei will wegen „beleidigender und rassistischer“ Nachrichten in sozialen Netzwerken ermitteln: „Dieser Missbrauch ist absolut nicht akzeptabel, wird nicht toleriert und wird untersucht werden.“ Die englische Nationalmannschaft war vor jedem Spiel bei der EM auf ein Knie gegangen, um gegen Rassismus und Diskriminierung zu protestieren.

England-Trainer Gareth Southgate hatte schon zu Beginn der EM erklärt, diese Geste während der gesamten EM durchziehen zu wollen, und hatte damit Diskussionen ausgelöst, begleitet von Buhrufen im Stadion. Premier Johnson hatte sich Mitte Juni noch geweigert, diejenigen zu verurteilen, die die Spieler auf dem Knie ausbuhten.

19 verletzte Polizisten, 49 Festnahmen

Schon vor dem Spiel war es in London zu Krawallen von Fans und Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. 19 Polizisten wurden dabei verletzt. Laut Polizei wurden im Lauf des Sonntag wegen unterschiedlicher Straftaten 49 Personen festgenommen. Die Polizei dankte zugleich Zehntausenden Fans, die sich friedlich verhalten hätten.

Fans beim Versuch, das Londoner Wembley-Stadion zu erstürmen
Mark Lindsay
Zahlreiche Fans ohne Karten versuchten, das Wembley-Stadion zu stürmen

Zahlreiche Fußballfans hatten versucht, ins Wembley-Stadion zu stürmen. Einige von ihnen schafften das auch. Von den Stadionbetreibern hieß es zunächst, niemand sei ohne Ticket ins Stadion gekommen. Der Europäische Fußballverband (UEFA) bestätigte zwar, dass Fans Barrieren durchbrochen hätten. Sie hätten sich jedoch keinen Zugang zum Innenbereich des Stadions verschafft. Später hieß es in einer Mitteilung des Wembley-Stadions jedoch, eine kleine Gruppe von Menschen sei ins Stadion gelangt.

In Videos waren Schlägereien an den Eingängen zum Stadion zu sehen. Die FA bezeichnete dieses Verhalten als „völlig inakzeptabel“. Der Verband werde mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten, um „gegen jeden vorzugehen, der illegal in das Stadion eingedrungen ist“.

„Peinlichkeit für englische Mannschaft“

Schon tagsüber hatte sich die Stimmung in der Londoner Innenstadt aufgeheizt. Londons Bürgermeister Sadiq Khan hatte Stunden vor dem Match eindringlich an die Fans appelliert, nur zum Wembley-Stadion zu fahren, wenn sie auch ein Ticket haben – allerdings vergeblich. Schon am frühen Nachmittag feierten auf dem Wembley Way, dem rund 600 Meter langen Weg zwischen der U-Bahn-Station Wembley Park und dem Stadion, Zehntausende Fans ohne jeglichen Abstand und ohne Masken, dafür aber mit viel Alkohol. Ähnliche Szenen boten sich später auf anderen beliebten Plätzen wie dem Piccadilly Circus und Leicester Square.

Nach der englischen Niederlage mühte sich die Polizei, die Menschenansammlungen aufzulösen. Es wurden Bierflaschen geworfen und Lieder gegen Italien gesungen. Die FA zeigte auch dafür wenig Verständnis: „Diese Leute sind eine Peinlichkeit für die englische Mannschaft und alle wahren Fans, die eines der wichtigsten Spiele unserer Geschichte genießen wollten."

Einem Medienvertreter zufolge habe eine Sicherheitskraft im Stadion von einem „kompletten Alptraum“ gesprochen. Niemand habe seinen Block seit 19.30 Uhr verlassen oder betreten können, weil er so voll sei. Ein anderer Journalist schilderte, dass Zuschauer ohne Plätze stehen würden und auf einigen Sitzen zwei Leute säßen. Schon im Vorfeld hatte es Kritik gegeben, dass ein voll besetztes Stadion angesichts der steigenden CoV-Zahlen ein großes Risiko berge.