Medizinisches Personal führt am Bondi Beach in Sydney Covid-19-Tests durch
APA/AFP/Steven Saphore
Trotz Lockdowns

Sydney bekommt CoV nicht in Griff

Die australische Millionenmetropole Sydney bekommt das Coronavirus trotz eines strikten Lockdowns nicht in den Griff. Die Coronavirus-Fälle nehmen rasch zu. Die Regierung von New South Wales sieht die „fahrlässige“ Bevölkerung in der Schuld und rief einmal mehr zur Impfung auf. Das Problem: Dem Land mangelt es an Impfstoff.

Mit 112 Neuinfektionen in Sydney meldeten die Behörden am Montag den höchsten Tageswert seit April 2020. Am Dienstag waren es 89 – für die Behörden allerdings kein Grund zur Entwarnung. Mehrere Viertel im Großraum Sydney im Bundesstaat New South Wales sind von Ausbrüchen betroffen.

Auch im benachbarten Bundesstaat Victoria, der nun seine Grenzen zu New South Wales schloss, wurden aus Sydney eingeschleppte Fälle gemeldet. Am Samstag wurde in Australien zudem der erste Todesfall des Jahres in Verbindung mit dem Virus verzeichnet, ein weiterer wurde am Dienstag gemeldet. „Die aktuelle Risikosituation hat sich dramatisch verändert“, mahnte die Gesundheitschefin von New South Wales, Kerry Chant.

Die Regierungschefin von New South Wales, Gladys Berejiklian, sieht Menschen, die einander trotz des Lockdowns trafen, in der Verantwortung: „Wenn Sie sich selbst einem Risiko aussetzen, setzen Sie Ihre gesamte Familie – und das bedeutet die erweiterte Familie sowie Ihre engsten Freunde und Bekannten – einem Risiko aus.“ Kritik gab es zuletzt aber auch an der eigentlich obligatorischen zweiwöchigen Hotelquarantäne für Einreisende, die zu durchlässig sei und zur neuen Ausbreitung des Virus geführt haben soll.

Auf den Tischen umgedrehte Sessel in einem Restaurant in Sydney
Reuters/Loren Elliott
Der Großraum Sydney befindet sich seit über zwei Wochen im Lockdown

Strengere Beschränkungen stehen im Raum

Australiens größte Stadt ist wegen der Beschränkungen de facto vom Rest des Landes abgeschottet. Seit mehr als zwei Wochen dürfen die fünf Millionen Bewohner von Sydney ihr Haus nur noch aus triftigem Grund verlassen. Die Maßnahme wurde vorerst bis zum 16. Juli verlängert – und auch eine weitere Verlängerung scheint wahrscheinlich. Angesichts der Zahlen sei es „beinahe unmöglich“, dass der Lockdown am Freitag endet, sagte Berejiklian.

Auch Überlegungen, einen noch strikteren Lockdown zu verhängen, sind nicht vom Tisch. Konkret geht es laut „Sydney Morning Herald“ um Beschränkungen der „Stufe vier“, die besagt, dass man sich nicht mehr als fünf Kilometer von seinem Zuhause entfernt aufhalten darf, Einkäufe nur noch einmal täglich erledigen darf – zudem würde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.

Modellierungen des Burnet Institute in Melbourne legen nahe, dass sich die Ausbreitung der besonders ansteckenden Delta-Variante nur mit Beschränkungen der „Stufe vier“ – die im Vorjahr in Melbourne gegolten hatten – stoppen lässt. Es gehe um die Ausbreitung der „Delta-Epidemie in einer großteils ungeimpften Bevölkerung, und das will ganz eindeutig niemand“, sagte der Vorsitzende des Instituts, Brendan Crabb.

Frauen mit Schutzmasken auf einem Bahnhof in Sydney (Australien)
Reuters/Loren Elliott
Junge Menschen müssen noch länger auf ein Impfangebot warten

Geänderter Impfappell

Die Impfkampagne in Australien schreitet nur sehr schleppend voran. Nicht einmal zehn Prozent der Australierinnen und Australier sind vollständig geimpft. Zumindest teilgeimpft sind gut 17 Prozent. Aktuellen landesweiten Empfehlungen des Impfgremiums ATAGI zufolge sollen Personen über 60 Jahre das Vakzin des Herstellers AstraZeneca erhalten, jener darunter jenes von Biontech Pfizer. ATAGI präzisierte seine Empfehlungen am Dienstag und empfiehlt nun auch jenen, die keinen Zugang zu Biontech und Pfizer haben, eine Impfung mit AstraZeneca zu erwägen.

Der Grund: Von AstraZeneca sind derzeit die größten Mengen verfügbar, da Australien das Vakzin seit März selbst herstellt. Allerdings herrscht in Teilen der Bevölkerung aufgrund weniger Fälle von extrem seltenen Blutgerinnseln große Skepsis. Impfdosen von Biontech und Pfizer, die Australien bisher ausschließlich von Europa geliefert bekommen hatte, sind hingegen Mangelware.

So hat Australien Stand Sonntag mit seinen 25 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern rund 4,4 Mio. Impfdosen aus Europa erhalten – insgesamt 40 Mio. Dosen hat sich das Land für das Jahr 2021 vom Biontech-Pfizer-Vakzin gesichert. Dem „Sydney Morning Herald“ zufolge bat das Land nun auch die USA, die bisher keinen Impfstoff des Herstellers an Australien auslieferten, um Dosen. Bis Ende des Jahres will das Land nämlich allen über 16 Jahren ein Impfangebot machen.

Der Bundesstaat New South Wales entschloss sich angesichts der Ausbreitung des Virus im Großraum Sydney zuvor zu einer Änderung der Impfvorgaben für die Region: So sollen nun auch über 40-Jährige mit dem AstraZeneca-Vakzin, von dem größere Mengen verfügbar sind, geimpft werden. Grundsätzlich sollen auch unter 40-Jährige, je nach Verfügbarkeit und sofern der explizite Wunsch besteht, damit geimpft werden können. In ganz Australien soll der Abstand von Erst- und Zweitimpfung beim AstraZeneca-Vakzin von zwölf auf vier bis acht Wochen verkürzt werden.

Entrüstung über Impfkampagne der Regierung

Angesichts des Impfmangels scheint es auch nicht überraschend, dass in Australien Entrüstung über eine Werbekampagne der Regierung herrscht. Konkret geht es um einen Clip, der eine unter Atemnot leidende und an Covid-19 erkrankte junge Frau im Spitalsbett zeigt. „Covid-19 kann jeden treffen. Buch deine Impfung“, heißt es dann – was vielen angesichts der Tatsache, dass Junge noch lange auf ihre Impfung warten müssen, sauer aufstößt. Gezeigt wurde der Clip bisher nur in Sydney.

Keine Infektionen: Australien verfolgt strikte Strategie

Australien verfolgt anders als die europäischen Länder eine Strategie, die darauf abzielt, keinerlei Ansteckungen mit dem Virus mehr zu haben. Dafür machte die Regierung die Grenzen weitgehend zu und verhängte bereits bei wenigen Ansteckungen örtlich begrenzte, aber strenge Lockdowns.

Diese Strategie hat es den Australiern ermöglicht, während der Pandemie relativ normal zu leben und gleichzeitig hohe Zahlen an Todesopfern zu vermeiden. Seit Beginn der Pandemie wurden in Australien etwas mehr als 30.000 Infektionen und 910 Todesfälle gemeldet.

Bis Mitte Juli gelten zudem noch strengere Einreiseregeln. Bis dahin sollen nämlich nur noch 3.000 anstatt 6.000 Menschen ins Land. Die Begrenzung der ankommenden Flüge solle eine weitere Ausbreitung des Coronavirus verhindern, sagte Premierminister Scott Morrison Anfang Juli.

Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern
AP/Pool/Robert Kitchin
Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern

Neuseeland startet Rückholflüge

Auch Neuseeland sah sich aufgrund der Situation in Sydney zum Handeln gezwungen: Laut einem Bericht der „Financial Times“ will das Land ab Dienstag neuseeländische Bürgerinnen und Bürger via Rückholflüge aus Sydney schaffen. Laut Premierministerin Jacinda Ardern reagiere die Regierung auf einen „bedeutenden Ausbruch“. Die rund 1.000 Flugtickets seien binnen weniger Minuten ausgebucht gewesen, so Air New Zealand. Rückkehrerinnen und Rückkehrer müssen 14 Tage in Quarantäne verbringen.

Quarantänefreie Reisen, die zwischen den beiden Ländern ab Juli möglich sein sollten, wurden zuletzt kurzerhand auf die lange Bank geschoben. Neuseeland will seine Grenzen erst bei einer hohen Impfquote öffnen. Laut „Our World in Data“ sind auch in Neuseeland gerade einmal zehn Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft.