Demonstranten in Havanna
Reuters/Alexandre Meneghini
Kuba

Großdemonstrationen gegen Regime

Nur wenige Monate nach dem Ende der Ära Castro sind Tausende Kubaner und Kubanerinnen am Sonntag in mehreren Städten auf die Straße gegangen, um gegen die anhaltende Wirtschaftskrise und die dadurch entstandene Strom- und Lebensmittelknappheit sowie den Medikamentenmangel zu demonstrieren. Proteste wie diese kommen in Kuba nur selten vor. Die größten Demonstrationen seit Jahrzehnten richteten sich auch gegen die kommunistischen Machthaber.

„Nieder mit der Diktatur“, riefen die Menschen. Hunderte versammelten sich vor dem Kapitol in der Hauptstadt Havanna und skandierten: „Wir wollen Freiheit.“ KP-Chef und Staatspräsident Miguel Diaz-Canel wurde mit Rücktrittsaufrufen konfrontiert. Die Polizei setzte Tränengas ein, mindestens zehn Menschen wurden verhaftet. Laut einem AFP-Bericht schlugen Einsatzkräfte mit Plastikrohren auf die Demonstrierenden ein.

Mehrere Polizeiautos wurden umgeworfen und beschädigt. Das Besondere bei diesen Protesten war, dass sie nicht nur in Havanna, sondern auch in anderen Städten wie Holguin, Matanzas, Camaguey und Santiago de Cuba stattfanden. In sozialen Netzwerken waren Bilder davon zu sehen, obwohl der Zugang zum Internet am Sonntag erschwert und zu einem Großteil abgeschnitten war. Laut der Datenjournalismus-Website Inventario gab es landesweit rund 40 Demonstrationen. Der Lateinamerika-Experte Michael Bustamante bezeichnete die Antiregierungsdemos als die größten seit 1994.

Regierungskritische Demonstranten  treffen in Havanna auf Polizei mit Schlagstöcken in Zivil
Reuters/Alexandre Meneghini
Polizisten in Zivil versuchten Demonstranten mit Schlagstöcken zurückzudrängen

„Müssen über unsere Leichen gehen“

Die kommunistische Führung reagierte sofort. Diaz-Canel fuhr selbst nach Antonio de los Banos, wo ebenfalls Tausende vor allem junge Kubaner protestierten. Im Staatsfernsehen rief Diaz-Canel seine Anhänger und Anhängerinnen auf, sich den Demonstrierenden entgegenzustellen: „Wenn sie die Revolution bezwingen wollen, müssen sie über unsere Leichen gehen. (…) Wir rufen alle Revolutionäre dazu auf, auf die Straßen zu gehen und die Revolution an allen Orten zu verteidigen.“

Diaz-Canel machte für die Unzufriedenheit der Menschen die gegen Kuba bereits 1962 verhängten US-Sanktionen verantwortlich. In Havanna starteten Regierungsanhänger mehrere Gegendemonstrationen. Die Polizei- und Militärpräsenz war enorm – auch noch nach der ab 21.00 Uhr CoV-bedingten Ausgangssperre.

Kubas Präsident Miguel Diaz-Canel unter regierunsfreundlichen Demonstranten
APA/AFP/Yamil Lage
Präsident Diaz-Canel (vorne Mitte) rief seine Anhänger dazu auf, die „Revolution zu verteidigen“

USA verurteilen Gewalt

Zutiefst besorgt über die „Aufrufe zum Kampf“ in Kuba zeigten sich die USA. „Wir rufen zur Ruhe auf und verurteilen jegliche Gewalt“, sagte die für Lateinamerika zuständige US-Diplomatin Julie Chung. „Die USA unterstützen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in ganz Kuba und verurteilen jegliche Gewalt oder Angriffe auf friedliche Demonstranten, die ihre allgemeinen Rechte in Anspruch nehmen, aufs Schärfste“, sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jack Sullivan.

Ende der Ära Castro

Fidel Castro führte von 1959 bis 2006 die Regierungsgeschäfte, nach seiner Erkrankung übernahm Bruder Raul die Geschäfte, 2008 wurde er formell zum Staatschef gewählt. Am 21. April 2021 wurde Staatspräsident Miguel Diaz-Canel zum Nachfolger an der KP-Spitze gewählt.

Russland warnte nach den ungewöhnlich heftigen Protesten vor jeglicher „Einmischung von außen“. Das sei „inakzeptabel“, ließ eine Sprecherin des Außenministeriums am Montag wissen. Sie ließ offen, an wen sich diese Äußerung richtete. Vermutlich spielte sie auf die Reaktion der USA an. Kuba war ein wichtiger Verbündeter der Sowjetunion im Kalten Krieg. Auch seit deren Zusammenbruch unterhalten Moskau und Havanna enge diplomatische Beziehungen.

Starker Anstieg bei CoV-Infektionen

Viele Kubaner leiden unter dem Langzeit-Wirtschaftsembargo der USA und an den Folgen der kubanischen Planwirtschaft. Biden sagte erst im April, dass die unter seinem Vorgänger Donald Trump verschärften Sanktionen aufgehoben werden sollten, dass das aber keine Priorität habe. Zudem erlebt Kuba derzeit die heftigste Welle der CoV-Pandemie. Am Sonntag verzeichnete das Land 6.923 Neuinfektionen.

Angesichts der Proteste bekundete der US-Präsident am Montag seine Unterstützung für die Demonstranten. Seine Regierung stehe an der Seite der Kubaner, die sich nach Freiheit und einem Ende „der jahrzehntelangen Unterdrückung und des wirtschaftlichen Leids“ sehnten, so Biden. „Die Vereinigten Staaten rufen das kubanische Regime auf, in diesem entscheidenden Moment seinem Volk zuzuhören und auf seine Bedürfnisse einzugehen, anstatt sich selbst zu bereichern.“

Der Wechsel an der Spitze des Landes – von den Castro-Brüdern an Diaz-Canel – ging nicht mit einer politischen Liberalisierung Kubas einher. Diaz-Canel absolvierte seine gesamte Karriere in der KP. Das sozialistische Land wird weiterhin autoritär regiert. Die einzigen erlaubten Veranstaltungen werden normalerweise von der Kommunistischen Partei organisiert.

Mehr Härte gegen Oppositionelle

Künstler und Künstlerinnen organisieren sich aber bereits seit Ende vergangenen Jahres in der San-Isidro-Bewegung, gingen vereinzelt immer wieder auf die Straße und sorgten auch international für Aufmerksamkeit. Das Regime reagiert mit zunehmender Härte auf Oppositionelle. Erst vor wenigen Wochen schlug die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) Alarm, dass Kuba die Verfolgung Andersdenkender verschärft habe.

Die Zahl politischer Häftlinge sei auf einem Rekordhoch. Demokratieaktivisten würden drangsaliert, verhaftet und angegriffen. Laut IGFM waren im Juni 150 politische Gefangene in dem 11,3-Millionen-Einwohner-Land inhaftiert, weil sie sich für Menschenrechte und Demokratie einsetzten. Auch während der Wahl von Diaz-Canel zum neuen KP-Chef im April hatten sich zahlreiche Oppositionelle, Journalisten und Künstler beklagt, dass sie von der Polizei gehindert worden seien, ihre Häuser zu verlassen, und dass Telefon und Internet gesperrt worden seien.