Der ehemalige Verfahrensrichter Eduard Strauss
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Eduard Strauss

„Das ist doch hanebüchen“

Der frühere Verfahrensrichter des BVT-Untersuchungsausschusses, Eduard Strauss, plädiert für eine Ethikkommission, um politisch Handelnde „wachzurütteln“, wie er im Gespräch mit ORF.at betont. Vorschläge, die im Zuge des „Ibiza“-U-Ausschusses ventiliert wurden, sieht der pensionierte Richter skeptisch – auch was einen Livestream angeht.

ORF.at: Herr Strauss, bald wird der „Ibiza“-U-Ausschuss seinen Abschlussbericht vorstellen. Doch neben dem Inhaltlichen wurden auch Debatten über Reformen laut. Braucht der U-Ausschuss eine Generalüberholung?

Eduard Strauss: Es würde schon reichen, wenn die bestehenden Regeln eingehalten werden.

ORF.at: Die Verfahrensordnung besteht seit 2015, wurde und wird als Erfolg gefeiert. Sehen Sie das anders?

Strauss: Die Verfahrensordnung ist ein typisches Kompromissprodukt. Die Verhandlungen haben lange gedauert, und das Resultat ist ein Spiegelbild dieser Verhandlungen. Das Problem ist, dass die Regeln nicht auf Punkt und Beistrich gelebt werden. Der Verfahrensrichter wäre nach meinem Verständnis viel mehr einzubinden, als es in der Realität der Fall ist.

Zur Person

Eduard Strauss stammt aus der gleichnamigen Musikerfamilie. Sein Ururgroßvater ist Johann Strauss Vater, sein Urgroßonkel der „Walzerkönig“ Johann Strauss Sohn und sein Vater der Kapellmeister Eduard Strauss. Er selbst schlug eine Karriere in der Justiz ein und war bis zu seiner Pension am Oberlandesgerichts Wien Senatspräsident. Von 2018 bis 2019 war er Verfahrensrichter im BVT-U-Ausschuss.

ORF.at: Wurde Ihre Rechtsmeinung im BVT-U-Ausschuss nicht gebührend berücksichtigt?

Strauss: Doch. Also mit der Vorsitzenden (Doris Bures, SPÖ, Anm.) gab es einen sehr guten Austausch. Aber in der Verfahrensordnung heißt es etwa, dass der Verfahrensrichter bei der Vorbereitung des Arbeitsplans unterstützen soll. Nein, das ist nicht passiert.

Dann heißt es: Der Verfahrensrichter soll bei der Reihung der Befragung von Auskunftspersonen unterstützen. Nein, auch das ist nicht passiert. Es läuft so ab: Die Fraktionen setzen sich zusammen und erstellen den Arbeitsplan. Dann bekomme ich eine E-Mail: „Sind Sie eh einverstanden?“ Was soll ich sagen? Nein?

ORF.at: Es klingt so, als wären Sie als Verfahrensrichter bei den Vorbereitungen gerne mehr eingebunden gewesen.

Strauss: Ich will die Abgeordneten nicht bevormunden, aber ich will Linien hineinbringen. Wo wollt ihr denn überhaupt hin? Was ist das Ziel? Was bringen die Auskunftspersonen? Wäre es nicht gescheit, die Person zu fragen? Die würde vermutlich viel mehr über x oder y wissen als die andere Person.

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In einem Wiener Cafe sprach ORF.at mit dem früheren Verfahrensrichter Strauss über den U-Ausschuss

Aber die Beratungen, die in der Verfahrensordnung festgelegt sind, basieren auf dem Prinzip: „Sie sind eh einverstanden, nicht?“ Was ist das für eine Beratung? Es wäre gut, würde man die Verfahrensordnung so leben, wie sie intendiert ist.

ORF.at: Soll die Position des Verfahrensrichters bzw. der Verfahrensrichterin aufgewertet werden? Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) schlug etwa vor, dass Richter und Richterinnen die Auskunftsperson befragen.

Strauss: Es ist ein politisches Gremium, und deshalb stellen Abgeordnete die Fragen. Alles andere wäre nicht im Sinne des Erfinders und würde einer parlamentarischen Kontrolle nicht entsprechen.

ORF.at: Es wurde auch ventiliert, dass ein oder zwei Richter bzw. Richterinnen den Vorsitz übernehmen sollen.

Strauss: Will man einen U-Ausschuss unter einem richterlichen Vorsitz? Oder soll ein Parlamentarier die Befragungen leiten? Diese Entscheidung wurde schon 2015 gefällt. Es ist ein parlamentarischer U-Ausschuss, dem ein juristischer Berater, ein Aufpasser, wenn man so will, beisitzt.

Der ehemalige Verfahrensrichter Eduard Strauss
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Dass der U-Ausschuss von einem Parlamentarier geleitet wird und ein Verfahrensrichter diesen berät, sei „völlig okay“

Das finde ich völlig okay. Der Vorsitzende kann sich der Rechtsmeinung des Verfahrensrichters anschließen. Es ist kein Muss, aber in der Regel ist es schon gescheit.

ORF.at: Entschlagungen wegen laufender Ermittlungen waren oft der Fall. Sollen U-Ausschüsse erst nach Strafverfahren beginnen?

Strauss: Die Staatsanwaltschaften wären darüber bestimmt glücklich. Denn das wäre nach der schönen und richtigen Rechtsabfolge natürlich super. Entschlagungen wäre wohl kaum mehr so ein großes Thema. Aber bis die Ermittlungen abgeschlossen sind, kann es Jahre dauern.

Es würde sich dann niemand mehr dafür interessieren, was vor Jahren auf Ibiza passierte. Ein U-Ausschuss würde wie an den Haaren herbeigezogen wirken. Also so klar und schön dieser Vorschlag ist, so unbrauchbar ist er für den politischen Alltag.

ORF.at: Wie halten Sie es mit der Wahrheitspflicht? Die Vorschläge reichten von Abschaffung bei Auskunftspersonen bis zu einer Verpflichtung für Fragesteller.

Strauss: Das ist doch hanebüchen. Erstens: Was bringt ein U-Ausschuss ohne Wahrheitspflicht für Auskunftsperson? Und zum Zweiteren: Ich stelle Fragen, die mir bei der Wahrheitsfindung helfen sollen. Das ist der Zweck von Fragen.

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Wahrheitspflicht für Auskunftspersonen muss bleiben, so Strauss

ORF.at: Als Verfahrensrichter achten Sie auf die Fragen der Abgeordneten. Fast einhellig vertreten nun die Fraktionen die Meinung, dass der U-Ausschuss öffentlich übertragen werden soll. Damit soll die Befragung nicht nur versachlicht werden, man will auch die Strategien der anderen Fraktionen offenlegen.

Strauss: Nein.

ORF.at: Sie sind gegen eine öffentliche Übertagung?

Strauss: Absolut. Wie soll man mit einer öffentlichen Übertragung die Privatsphäre der Auskunftspersonen schützen?

ORF.at: Das Argument, dass die Öffentlichkeit sehen muss, wie sich Abgeordnete und Regierungsmitglieder in einem U-Ausschuss verhalten, können Sie nicht nachvollziehen?

So gesehen ist es freilich eine interessante Sache. Aber schauen Sie, ich kann nur aus meiner Erfahrung als Verfahrensrichter im BVT-U-Ausschuss sprechen: Es gab Auskunftspersonen aus der zweiten Reihe, Ermittler und Polizisten, die einfach geschützt werden müssen.

Dass sie geladen werden, um Auskünfte zu geben, bedeutet nicht, dass man sie in die Öffentlichkeit zerren muss. Bei einer Abwägung zwischen öffentlichem Interesse an den Umtrieben im U-Ausschuss und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte würde ich Letzterem den Vortritt geben.

ORF.at: Gehen wir davon aus, dass die Befragung nur bei ranghohen Politikern und Politikerinnen, etwa Regierungsmitgliedern, gestreamt wird.

Strauss: Von mir aus. Aber ich sehe weiterhin die Gefahr, dass Persönlichkeitsrechte nicht geschützt werden können. Ich halte die medienöffentliche Variante schon für sehr gescheit. Die Veröffentlichung wird jenen übertragen, die damit auch Erfahrung haben.

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Strauss ist skeptisch, was eine öffentliche Übertragung des U-Ausschusses betrifft

ORF.at: Es gab Kritik, dass Chats von Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid an die Öffentlichkeit kamen, die laut einer Seite privat waren. Die andere widersprach: Die Veröffentlichung war im Sinne des öffentlichen Interesses. Wie lautet Ihre Conclusio?

Strauss: Ich habe lange überlegt und bin zum Schluss gekommen, dass sie nicht privat sind. Es ist schon wichtig, dass die Öffentlichkeit weiß, wie eine Person, die Staatsbeteiligungen verwaltet, moralisch tickt.

Aber freilich öffnen die Sicherstellung von Handys und die Weiterleitung von Chats an den U-Ausschuss bestimmte Türen, die man genau beobachten muss. Nicht alles, was abstrakt relevant ist, gehört an die Öffentlichkeit.

ORF.at: Die Veröffentlichung liegt allerdings an Leaks und nicht an der Übermittlung an den U-Ausschuss. Die Geheimhaltungspflichten obliegen dem Parlament.

Strauss: Das stimmt natürlich. Aber leider sind Leaks offenbar systemimmanent. Als ich meinen Berichtsentwurf zur BVT-Affäre an den Vorsitz und die Fraktionen abgeliefert habe, wurde mir gleich gesagt, dass er morgen bestimmt in den Medien sein wird.

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Werden Chats einmal geleakt und kommen so an die Öffentlichkeit, sei es laut Strauss für die Privatsphäre zu spät

Wenn Chatnachrichten geleakt werden, ist es im Nachhinein zwecklos zu sagen, dass sie eigentlicher privater Natur sind. Gerade deshalb ist es wichtig, dass Medien differenzieren und selektieren. Nicht nur, was muss die Öffentlichkeit erfahren, sondern auch: Was darf sie erfahren?

ORF.at: Die Aktenvorlage – insbesondere aus dem Finanzministerium – verlief alles andere als reibungslos …

Strauss: Gleich vorweg: Das war ungehörig. Der U-Ausschuss wurde nicht ernst genommen und das VfGH-Erkenntnis auf extreme Weise ausgereizt. Wenn das Höchstgericht sagt, dass Akten zu liefern sind, weil die Behörde die Nichtvorlage nicht begründen konnte, dann ist zu liefern. Daran gibt es keinen Weg vorbei.

ORF.at: Glauben Sie, dass – wie die Opposition behauptet – auf Zeit gespielt wurde?

Strauss: Dazu habe ich keine Wahrnehmung. Es war jedenfalls ungehörig, das Erkenntnis so auszureizen. Grundsätzlich wird die Aktenvorlage zu sehr von Emotionen begleitet. Der Prozess müsste viel ruhiger und abgestimmter funktionieren.

Es dominieren aber Konflikte zwischen den Aufklärern und jenen, die für die Aufklärung Akten liefern sollten und vielleicht im Mittelpunkt der Aufklärung stehen. Das tut der ganzen Sache nicht gut.

ORF.at: Sie haben ja auch noch einen anderen Vorschlag: Eine Ethikkommission soll mögliche moralische Verstöße untersuchen soll.

Strauss: Manches Verhalten von Politikerinnen und Politikern ist strafrechtlich nicht fassbar, aber sehr wohl moralisch bedenklich. Das könnte man mit einem Ethikkodex und einer Ethikkommission untersuchen und bei Verstößen gegebenenfalls sanktionieren.

Der ehemalige Verfahrensrichter Eduard Strauss
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Der erhobene Zeigefinger als Sanktion wäre Strauss zu wenig

Meine Überlegung ist, dass man den tagespolitisch brisanten U-Ausschuss ein bisschen zurückdrängt. Wir müssen weg von diesem Hackelschmeißen und gegenseitigen Ladungen, nur um den anderen eines auszuwischen.

ORF.at: Wie soll die Ethikkommission aussehen? Parlamentarisch?

Ja, sie soll aus Vertretern der im Parlament vertretenen Parteien bestehen, aber aus mindestens ebenso vielen Ethikern. Mit der Parität und einer notwendigen Zweidrittelmehrheit für bestimmte Beschlüsse verhindert man, dass sich die zwei Gruppen gegenseitig überstimmen.

Welche Aufgaben man dieser Ethikkommission zubilligt und mit welchen Sanktionen sie drohen kann, muss man sich genauer überlegen. Aber nur mit dem Zeigefinger zu wackeln und zu sagen, dass das Verhalten gegen ethische Grundsätze verstößt, ist mir zu wenig.

ORF.at: Damit ich Sie richtig verstehe: Diese Kommission kann angerufen werden, wenn in einem Untersuchungsausschuss ethisch Bedenkliches passiert?

Strauss: Man könnte diese ganzen Fragen, die man jetzt im U-Ausschuss behandelt, schon im Vorfeld vor diese Kommission stellen.

ORF.at: Sie schlagen vor, den U-Ausschuss durch die Ethikkommission zu ersetzen?

Strauss: Wenn die Kommission gut gemacht ist, wird man sich fragen, ob man den U-Ausschuss in dieser Form braucht. Die „Ibiza-Affäre“ ist das beste Beispiel. Vor einer Ethikkommission müssten Personen, die Österreich verkaufen wollen oder Postenschacher par excellence betreiben, mit einigen Sanktionen rechnen.

ORF.at: Wenn es eine Ethikkommission gibt, in der auch Ethiker und Ethikerinnen sitzen, dann hat das mit einem parlamentarischen Kontrollgremium nur noch wenig zu tun.

Strauss: Der U-Ausschuss greift meiner Meinung nach zu kurz. Es werden zwar Reformen angestoßen, aber für die Bildung eines moralischen Empfindens ist das zu wenig. Die Affären in den letzten Jahren haben uns gezeigt, dass man politisch Handelnde auf der moralischen Ebene ein bisschen wachrütteln muss.