Englische Fans mit Mobiltelefonen
APA/AFP/Niklas Hallen
„Unverzeihlich“

Niederlage zeigt Rassismusproblem auf

Der Schock der EM-Niederlage war noch nicht überwunden, da haben schon die Beleidigungen begonnen: Nach dem verlorenen EM-Finale im Londoner Wembley-Stadion wurden die Spieler der englischen Nationalmannschaft Ziel von schweren rassistischen Angriffen im Internet. Das offizielle England zeigte sich entsetzt. Doch das Rassismusproblem im Fußball generell, aber auch in England ist altbekannt.

Zwar gibt es seit Jahren Gesten des Europäischen (UEFA) wie des Internationalen Fußballverbands (FIFA) und auch Strafen, doch dass vieles davon an der Oberfläche bleibt, zeigte sich in der Nacht auf Montag, als in London und in den sozialen Netzwerken die Enttäuschung über die Niederlage der englischen Nationalelf im Elferkrimi des EM-Finales in offenen Rassismus gegen drei Spieler umschlug.

Premierminister Boris Johnson verurteilte am Montag die „entsetzlichen“ rassistischen Beschimpfungen scharf. Die Hetze zielte insbesondere auf die drei jungen Spieler der „Three Lions“, deren Nerven im Endspiel gegen Italien versagten und die ihre Elfmeter verschossen.

Southgate: „Nicht das, wofür wir stehen“

Englands Trainer Gareth Southgate nannte die Tiraden „unverzeihlich“. „Das ist es einfach nicht, wofür wir stehen.“ Das Team sei ein „Leuchtfeuer“ gewesen, um Menschen zusammenzubringen, indem sich die Leute mit der Nationalelf identifiziert haben. „Und das Team steht für alle, und daher muss dieses Zusammenhalten fortgesetzt werden“, so Southgate, der die Verantwortung auf sich nahm. Er habe schließlich die Elferschützen und die Reihenfolge bestimmt. Facebook kündigte Untersuchungen auf seiner Plattform Instagram an. Manche der Kommentare kamen offenbar auch von ausländischen Trollen und Bots.

Schock über Rassismus von England-Fans

Die Fußball-EM ist geschlagen, Italien hat England besiegt. Die einen jubeln, die anderen trauern, so ist das in der Fußballwelt nach solchen Turnieren. Doch es gibt auch ein unangenehmes Nachspiel. Gegen die drei englischen Elfmeterschützen, die die entscheidenden Tore nicht verwandeln konnten, gibt es nun einen Shitstorm im Internet.

Offen rassistische Attacken

England hatte in einem dramatischen Elfmeterschießen am Sonntagabend gegen Italien verloren und den ersten Titel seit 55 Jahren verpasst. Die schwarzen Spieler Marcus Rashford, Jadon Sancho und Bukayo Saka verschossen hintereinander drei Elfmeter und wurden direkt nach Abpfiff in den Onlinenetzwerken schwer beschimpft und beleidigt. Unter ihren Konten auf Twitter und Instagram wurden Affen-Emojis gepostet, andere machten das Trio mit rassistischen Beleidigungen für die Niederlage verantwortlich.

„Dieses England-Team verdient es, als Helden gepriesen und nicht in den sozialen Medien rassistisch beschimpft zu werden“, schrieb Johnson auf Twitter. „Diejenigen, die für diese entsetzlichen Beschimpfungen verantwortlich sind, sollten sich schämen.“ Während des Turniers hatte Johnson selbst Kritik einstecken müssen, weil er sich weigerte, Fans zu verurteilen, die die Kampagne der englischen Spieler gegen Rassismus ausgebuht hatten.

Polizei ermittelt

Auch die Metropolitan Police twitterte, dass sie auf „eine Reihe von beleidigenden und rassistischen Kommentaren“ aufmerksam geworden sei, die sich gegen die Fußballer richteten. „Diese Beschimpfungen sind völlig inakzeptabel, werden nicht toleriert und werden verfolgt“, erklärte die Polizei.

Einige Kommentare waren mit dem Hashtag „#forzaitalia“ versehen. „Einiges davon kommt aus dem Ausland, aber einiges davon kommt aus diesem Land“, sagte dazu Trainer Southgate vor Reportern.

Fußballverband „angewidert“

„Wir sind angewidert, dass einige unserer Spiele nach dem Spiel diskriminierenden Beschimpfungen im Internet ausgesetzt waren“, twitterte der Englische Fußballverband (FA). „Wir stehen zu unseren Spielern.“ Freilich hatte der letzte FA-Chef Greg Clarke wegen rassistischer und homophober Klischees erste Ende letzten Jahres zurücktreten müssen.

Ähnlich wie der Verband äußerte sich Prinz William, der Präsident des Verbands, der das Finale mit seiner Frau Kate und Sohn George im Wembley-Stadion verfolgt hatte. „Es ist völlig inakzeptabel, dass die Spieler dieses abscheuliche Verhalten ertragen müssen.“ Alle Beteiligten sollten zur Rechenschaft gezogen werden, schrieb er auf Twitter.

Team hatte ganze EM Zeichen gegen Rassismus gesetzt

Englands Spieler haben sich während des Turniers klar gegen Rassismus positioniert und waren vor allen ihren Spielen, einschließlich des Finales am Sonntag, auf die Knie gegangen. Besonders der gescheiterte Elfmeterschütze Rashford gilt als Aushängeschild für soziales Engagement. Der 23-Jährige setzt sich für benachteiligte Kinder in Großbritannien ein.

Rashford, der bei Manchester United spielt, hatte in der abgelaufenen Saison auch mehrfach rassistische Beleidigungen gegen ihn öffentlich gemacht. „Was zur Hölle denken sich diese Menschen?!“, sagte am Montag Ex-Nationalspieler Alan Shearer bei der BBC. „Was stimmt mit ihnen nicht?! Das ist so lächerlich, absolut ekelhaft.“

Facebook erklärte, es habe „gestern Abend schnell Kommentare und Konten entfernt, die Beleidigungen gegen Englands Fußballer richteten“. Es werde weiterhin gegen diejenigen vorgegangen, „die unsere Regeln brechen“, fügte das Unternehmen hinzu.

Fans beim Versuch, das Londoner Wembley-Stadion zu erstürmen
Mark Lindsay
Zahlreiche Fans ohne Karten versuchten, das Wembley-Stadion zu stürmen

Problem mit Sprengkraft

Der deutsche Fanforscher Harald Lange sieht in den rassistischen Beleidigungen gegen englische Spieler nach dem EM-Finale ein Problem mit großer Sprengkraft. Man habe in der Finalnacht gesehen, dass „ein gewaltiges Problem aufgekommen ist, was nicht nur Verantwortlichen peinlich ist, sondern auch der Mannschaft enorm peinlich ist und auch der Politik ringsum enorm peinlich ist“, sagte der Forscher der Uni Würzburg.

In den Ausschreitungen rund um das EM-Finale in London sieht Lange freilich keine neue Entwicklung von gewalttätigen Fans in Großbritannien: „Wenn man die Entwicklung im Fußball, auch im internationalen Fußball, sich anschaut und mit früheren Zeiten vergleicht, dann wird man schnell feststellen, dass das Gewaltproblem im Durchschnitt zurückgegangen ist.“

„Peinlichkeit für englische Mannschaft“

Schon tagsüber hatte sich die Stimmung in der Londoner Innenstadt aufgeheizt. Londons Bürgermeister Sadiq Khan hatte Stunden vor dem Match eindringlich an die Fans appelliert, nur zum Wembley-Stadion zu fahren, wenn sie auch ein Ticket haben – allerdings vergeblich. Schon am frühen Nachmittag feierten auf dem Wembley Way, dem rund 600 Meter langen Weg zwischen der U-Bahn-Station Wembley Park und dem Stadion, Zehntausende Fans ohne jeglichen Abstand und ohne Masken, dafür aber mit viel Alkohol. Ähnliche Szenen boten sich später auf anderen beliebten Plätzen wie dem Piccadilly Circus und Leicester Square.

Nach der englischen Niederlage mühte sich die Polizei, die Menschenansammlungen aufzulösen. Es wurden Bierflaschen geworfen und Lieder gegen Italien gesungen. Die FA zeigte auch dafür wenig Verständnis: „Diese Leute sind eine Peinlichkeit für die englische Mannschaft und alle wahren Fans, die eines der wichtigsten Spiele unserer Geschichte genießen wollten."

Einem Medienvertreter zufolge habe eine Sicherheitskraft im Stadion von einem „kompletten Alptraum“ gesprochen. Niemand habe seinen Block seit 19.30 Uhr verlassen oder betreten können, weil er so voll sei. Ein anderer Journalist schilderte, dass Zuschauer ohne Plätze stehen würden und auf einigen Sitzen zwei Leute säßen. Schon im Vorfeld hatte es Kritik gegeben, dass ein voll besetztes Stadion angesichts der steigenden CoV-Zahlen ein großes Risiko berge.