VfGH in Polen beurteilt EuGH-Anordnung als nicht bindend

Der Konflikt zwischen Polen und der EU über die Reform des polnischen Justizsystems spitzt sich weiter zu. Das Verfassungsgericht in Warschau urteilte gestern, die Anwendung einstweiliger Verfügungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die sich auf das Gerichtssystem des Landes beziehen, sei nicht mit Polens Verfassung vereinbar. Konkret geht es um die umstrittene Disziplinarkammer des polnischen obersten Gerichts, an deren Unparteilichkeit es Zweifel gibt.

Der EuGH hatte bereits in einer einstweiligen Verfügung im April 2020 entschieden, dass die seit 2018 existierende Disziplinarkammer des obersten Gerichts ihre Arbeit zunächst aussetzen müsse, weil sie möglicherweise nicht politisch unabhängig sei. Ein endgültiges Urteil in dieser Sache will der EuGH morgen treffen. Trotz dieser Anordnung blieb die Disziplinarkammer weiter aktiv.

Wenige Stunden vor der Verkündung des Urteils des polnischen Verfassungsgerichts, ließ der EuGH noch eine weitere einstweilige Verfügung folgen: Darin wird Polen aufgefordert, die Bestimmungen auszusetzen, mit denen die Disziplinarkammer ermächtigt wird, über Anträge auf Aufhebung der richterlichen Immunität sowie über Fragen zur Beschäftigung und Pensionierung von Richtern zu entscheiden.

Polen sieht EU bei Justiz nicht zuständig

Das polnische Verfassungsgericht urteilte jedoch, die Vorschrift der EU-Verträge, auf deren Basis der EuGH seine einstweiligen Verfügungen erlasse, seien nicht konform mit der Verfassung. Die EU könne ihre Mitgliedsstaaten nicht bei der Schaffung von Regelungen zum Justizsystem und der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit ersetzen.

Polens nationalkonservative PiS-Regierung baute in den vergangenen Jahren das Justizwesen um. Die EU-Kommission eröffnete wegen strittiger Reformen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Warschau und reichte Klagen beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein.