Regenbogenfahne mit EU-Sternen
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EU und EuGH

Ohrfeige für Ungarn und Polen

Als Reaktion auf umstrittene Regeln gegen Homosexuelle und Transsexuelle in Ungarn und Polen hat die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die beiden Mitgliedsstaaten eingeleitet. Für Polen ist es bereits die zweite Schelte aus der EU an einem Tag. Zuvor wurde bekannt, dass Polen mit einem zentralen Teil seiner Justizreformen gegen EU-Recht verstößt.

Zuletzt hatten ein ungarisches Gesetz zur Informationsbeschränkung für Homosexualität sowie „LGTBQ-freie Zonen“ in einigen Teilen Polens für Empörung in der EU gesorgt. Die EU-Kommission schickte am Donnerstag an die Regierungen in Warschau und Polen einen entsprechenden Brief.

„Europa wird niemals zulassen, dass Teile unserer Gesellschaft stigmatisiert werden: sei es wegen der Person, die sie lieben, wegen ihres Alters, ihrer politischen Meinung oder aufgrund ihres religiösen Glaubens“, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
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„Europa wird niemals zulassen, dass Teile unserer Gesellschaft stigmatisiert werden“, so von der Leyen

Neues ungarisches Gesetz „Schande“

Das vergangene Woche in Ungarn in Kraft getretene Gesetz richtet sich gegen Pädophile. Es untersagt aber auch, dass Filme, Informationen und Veröffentlichungen mit Darstellungen von Lesben und Schwulen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren gezeigt werden dürfen.

Die ungarische Regierung weist Vorwürfe der Homophobie zurück. Sie sagt, das Gesetz sorge dafür, dass Eltern allein darüber entscheiden könnten, wie sie die sexuelle Erziehung ihrer Kinder gestalten wollten. Von der Leyen hatte das Gesetz als „Schande“ bezeichnet und mit rechtlichen Schritten gedroht, sollte Budapest den Text nicht korrigieren.

Ungarns rechtsnationalistischer Regierungschef Viktor Orban lehnte eine Rücknahme des Gesetzes ab und warf der EU im Gegenzug eine „beispiellose Kampagne“ gegen sein Land vor. Scharfe Kritik übte der ungarische Kanzleiminister Gergely Gulyas auf einer Presskonferenz in Budapest im Zusammenhang mit dem Brüsseler Vertragsverletzungsverfahren. Dabei sagte Gulyas, die ungarische Regierung werde ihren Standpunkt nicht ändern, auch wenn Ungarn wegen des Gesetzes angegriffen werde.

„LGBTQ-freie Zonen“ in Polen

Für Polen befand die Kommission, dass das Land nicht vollständig und angemessen auf ihre Befragung über die Ausrufung „LGBTQ-freier Zonen“ in einigen Regionen und Kommunen geantwortet habe.

EU-Verfahren gegen Ungarn und Polen

Als Reaktion auf Regeln zu Homosexualität und Transsexualität in Ungarn und Polen hat die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die beiden Mitgliedsstaaten eingeleitet.

Der europäische Dachverband von Lesben- und Schwulenorganisationen, ILGA Europe, begrüßte die Einleitung des Verfahrens. Nach Jahren, in denen Regierungen getestet hätten, wie weit sie gehen könnten, gehe die Europäische Kommission einen klaren Schritt, so der Verband. Polen und Ungarn haben nun zwei Monate Zeit, auf das Schreiben der EU-Kommission zu reagieren. Andernfalls kann die Kommission das Verfahren bis vor den Europäischen Gerichtshof bringen.

Zustimmung und Kritik von Abgeordneten

Monika Vana, Delegationsleiterin der Grünen, forderte: „Die Kommission darf die Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus nicht weiter hinauszögern und muss unverzüglich EU-Gelder nach Ungarn auf Grundlage der neuen gemeinsamen Bestimmungen der EU-Regionalpolitik einfrieren.“ Die SPÖ-Europaabgeordnete Bettina Vollath sagte, „die EU muss sich diesen Frontalangriffen auf LGBTIQ-Personen mit aller Kraft entgegenstellen“.

Der FPÖ-Nationalratsabgeordnete Christian Hafenecker verurteilte das Verfahren der EU-Kommission „auf das Schärfste“, es sei eine „unzulässige Einmischung in die nationale Politik eines Mitgliedsstaates“.

Urteil: Polnische Justizreform verstößt gegen EU-Recht

Unterdessen urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am Donnerstag, dass Polen mit der neuen Disziplinarordnung für Richterinnen und Richter „gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen hat“. Unter anderem biete die neu geschaffene Disziplinarkammer „nicht alle Garantien für Unabhängigkeit und Unparteilichkeit“.

Die EU streitet seit Jahren mit Warschau über die Justizreformen der rechtsnationalen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Unter anderem geht es dabei um die 2018 neu geschaffene Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs, die für Disziplinarverfahren gegen Richter zuständig ist und diese beispielsweise auch suspendieren kann.

Nach Auffassung der EU-Kommission ist die Unabhängigkeit dieser Kammer fraglich, da ihre Mitglieder vom politisch kontrollierten Landesjustizrat ernannt werden. Brüssel hatte deshalb Klage in Luxemburg eingereicht. Der EuGH gab der Kommission nun recht. Die Kammer ist „nicht unempfänglich“ für Einflussnahmen durch das polnische Parlament und die Exekutive, sagte das Gericht.

„Politisches Urteil“

Die Regierung in Warschau zeigte sich unnachgiebig. „Es handelt sich um ein politisches Urteil, das auf politische Bestellung der EU-Kommission gefällt wurde“, sagte Justizminister Zbigniew Ziobro am Donnerstag in Warschau. Dahinter stünden ein „koloniales Denken“ sowie die Trennung der EU-Mitgliedsstaaten in bessere und schlechtere.

Auch das polnische Verfassungsgericht urteilte, dass die EU ihre Mitgliedsstaaten nicht bei der Schaffung von Regeln zum Justizsystem ersetzen könne. Die Anhörung geht am Donnerstagnachmittag vor dem Verfassungsgerichtshof in Warschau weiter. Es soll über die Frage entschieden werden, ob die nationale Verfassung Vorrang vor EU-Recht hat. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom Mai gab es bei der Besetzung des polnischen Verfassungsgerichtshofs allerdings rechtliche Unregelmäßigkeiten.