Zerstörter Pkw in der Ahr
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Unwetter und Hochwasser

Dutzende Tote in Deutschland

Nach schweren Unwettern und Dauerregen im Westen Deutschlands sind Dutzende Menschen ums Leben gekommen. 70 Personen gelten als vermisst. Polizeiangaben zufolge erschwert der Ausfall des Notrufs in etlichen Gemeinden eine tatsächliche Klarheit über die Lage und die Zahl der Opfer. Auch in Teilen der Niederlande und in Belgien spitzt sich die Situation zu.

Im Kreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz kamen vier Menschen ums Leben, zwei Feuerwehrleute starben bei Einsätzen in Nordrhein-Westfalen, in Köln wurden zwei Personen tot in ihren überfluteten Kellern gefunden, sagten die örtlichen Polizeibehörden. Laut „Bild“ gibt es drei weitere Tote in Solingen und Rheinbach. Die Polizei in Koblenz teilte mit, dass die Zahl der Todesopfer im Raum Bad Neuenahr-Ahrweiler auf 18 gestiegen ist. In Ahrweiler wurde der Katastrophenfall ausgerufen. Im Kreis Euskirchen im Süden Nordrhein-Westfalens wurden laut Polizei 15 Tote gemeldet.

Wegen Starkregens steigen neben der besonders betroffenen Eifel an Rhein, Mosel und kleineren Flüssen im Westen Deutschlands die Pegelstände. In Nordrhein-Westfalen blieb die Lage nach dem Dauerregen angespannt. Nach dem Abklingen der Starkregens kämpfen Feuerwehr und andere Einsatzkräfte an vielen Orten mit einer sich verschärfenden Hochwasserlage.

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Eine Überschwemmte Kleinstadt in Deutschland
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Im Westen Deutschlands stehen ganze Ortschaften unter Wasser. Hier die Gemeinde Insul am Fluss Ahr.
Ein Teil eines Hauses wurde vom Wasser weg gerissen
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Ein Teil eines Hauses in Hagen wurde vom Wasser weggerissen
Feuerwehrleue versuchen jemanden aus einem Haus zu retten
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Feuerwehrleute versuchen in Trier, Personen aus einem Haus zu retten
Eingestürztes Haus in Schuld in Nordrhein-Westfalen
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Eingestürztes Haus in Schuld in Rheinland-Pfalz
Weggespülte Straße in Schuld
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Die Straße im Ort Schuld wurde weggespült
Luftaufnahme vom teilweise zerstörten Ort Schuld in Nordrhein-Westfalen
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Luftaufnahme vom teilweise zerstörten Ort Schuld
Überfluteter Rhein in Köln
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Der Rhein bei Köln
Die Kyll ist in Erdorf in Rheinland-Pfalz über die Ufer getreten und hat Teile des Dorfes geflutet.
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Durch die Unwetter traten Flüsse über die Ufer
Ein Auto ist in Hagen in Nordrhein-Westfalen vom Schutt bedeckt
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Ein Auto wurde von Schutt bedeckt, den ein über die Ufer getretener Fluss mitführte
Deutsche Soldaten bei den Aufräumarbeiten
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Feuerwehr und Polizei erhielten Unterstützung von Mitgliedern der deutschen Bundeswehr
Bergepanzer
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Soldatinnen und Soldaten sind mit Bergepanzern und anderem Gerät im Einsatz
Der Ort Altena ist überflutet
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Der Ort Altena in Nordrhein-Westfalen ist überflutet

Bis zu 148 Liter Regen pro Quadratmeter

Bei den Unwettern im Norden von Rheinland-Pfalz fielen bis zu 148 Liter Regen pro Quadratmeter. Diese Menge ging im Laufe des Mittwochs und in der Nacht nieder, wie das dortige Klimaschutzministerium in Mainz mitteilte. Für den Hochsommer sei das „ein neues Phänomen“, sagte Ministerin Anne Spiegel (Grüne). „Die aktuellen Extremwetterereignisse in Form von Starkregen sind dramatisch.“ Aus kleinen Bächen seien unberechenbare Fluten geworden. Am stärksten betroffen seien eben die Bezirke Ahrweiler, Bitburg-Prüm, Vulkaneifel und Trier-Saarburg.

Teile des Rheins für Schifffahrt gesperrt

Auch an der Mosel verschärft sich die Lage nach Angaben des Ministeriums. Zurzeit werde am Pegel Trier ein Wasserstand von bis zu 9,15 Metern erwartet. Am Oberrhein bilde sich am Pegel Maxau ein erster Hochwasserscheitel aus. Nach kurzem, leichtem Rückgang seien wegen der für den Südwesten vorhergesagten Niederschläge ab Donnerstagabend wieder steigende Wasserstände zu erwarten.

Überflutungen in Deutschland

Infolge des Hochwassers in Teilen Deutschlands sind weiter Dutzende Menschen vermisst. Die Zahl der Todesopfer ist gestiegen.

Teile des Rheins in Süddeutschland wurden für die Schifffahrt gesperrt. In der Region um Maxau und Iffezheim sei der Schiffsverkehr eingestellt worden, teilte das Wasser- und Schifffahrtsamt mit. Die Sperre werde voraussichtlich bis zum Wochenende anhalten. Weiter nördlich sei der Rhein weiterhin befahrbar.

Die Polizei in Trier rief die Menschen eindringlich dazu auf, den Stadtteil Ehrang wegen Überflutungen zu meiden. Es bestehe Lebensgefahr, warnte die Polizei am Donnerstag auf Twitter. Nach Angaben der Stadt Trier läuft aktuell der Ortskern von Ehrang voll. „In großen Teilen des Ortes gibt es keinen Strom. Bitte folgen Sie den Evakuierungsdurchsagen“, schrieb die Stadtverwaltung.

Verena Gleitsmann über die Überflutungen

ORF-Reporterin Verena Gleitsmann berichtet über die Überflutungen und wie es nun weitergeht.

Schaulustige behindern Rettungseinsatz in Schuld

Wie der SWR Donnerstagfrüh berichtete, seien in der 750-Einwohner-Gemeinde Schuld bei Adenau in der Eifel nach starken Unwettern sechs Häuser eingestürzt. 25 weitere sollen einsturzgefährdet sein. Die Lage in Schuld sei unübersichtlich, zitierte der SWR einen Sprecher der Polizei in Koblenz. Derzeit würden knapp 70 Menschen vermisst. „Sehr viele“ Menschen – hier war die Rede von rund 50 – befänden sich auch auf Hausdächern, die Rettungseinsätze liefen auf Hochtouren.

Schaulustige behinderten nach Angaben der Polizei den Rettungseinsatz in Schuld. „Bitte haltet die Rettungswege frei!!!!!“, schrieb das Polizeipräsidium Koblenz am Donnerstag auf Twitter. Die Beamten riefen auch dazu auf, Straßensperren zu beachten und in Sicherheit zu bleiben. In überfluteten Gebieten seien die Gefahren unkalkulierbar.

Bundeswehr im Einsatz

Auch im Eifelkreis Bitburg-Prüm ist die Situation wegen Hochwassers nach Angaben eines Sprechers extrem gefährlich. In Messerich in der Eifel wurden nach den Angaben zwei Helfer des Technischen Hilfswerks von den Fluten eingeschlossen, es bestehe Lebensgefahr, wie der SWR berichtete. Auf dem Campingplatz „Stahlhütte“ in Dorsel im Kreis Ahrweiler und weiteren Anlagen entlang der Ahr mussten Personen von den Dächern ihrer Campingwagen gerettet werden.

Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) kündigte schnelle Unterstützung durch die deutsche Bundeswehr an. „Die Bundeswehr hilft schnell und unkompliziert in Hagen und Ahrweiler mit derzeit 300 Soldatinnen und Soldaten.“

Krankenhaus in Eschweiler evakuiert

Im Kreis Euskirchen drohte in der Nacht auf Donnerstag der Damm der Steinbachtalsperre zu brechen. Kritisch war die Lage zeitweise auch an der Bevertalsperre und der Wuppertalsperre. Dort konnte das Wasser aber kontrolliert abfließen, wie die Feuerwehr mitteilte.

Infolge des Starkregens fiel in Eschweiler bei Aachen am Donnerstag die Trinkwasserversorgung aus. Es sei eine Wasserleitung gebrochen, die die Innenstadt versorge, teilte die Städteregion Aachen mit. Die Einwohner von Eschweiler sollten auf unnötigen Wasserverbrauch durch Duschen oder Toilettenspülungen verzichten. Das ebenfalls betroffene Krankenhaus mit derzeit rund 400 Patienten und Patientinnen werde im Laufe des Tages geräumt.

130 Menschen in Solingen gerettet

Die Einsatzkräfte in Solingen hätten in den vergangenen Stunden etwa 130 Menschen im Stadtgebiet aus akuter Not vor dem Hochwasser gerettet, sagte ein Sprecher der Feuerwehr Donnerstagmittag. „Wir haben die Menschen über Drehleitern, Boote, Bojen herausgeholt. Es war alles improvisiert.“ In zwei Situationen hätten sich Einsatzkräfte zudem auf Tanklöschfahrzeugen in Sicherheit bringen müssen. Die Einsatzkräfte sprachen nach den starken Regenfällen in Solingen nach Angaben eines Stadtsprechers von einem „Jahrhunderthochwasser“.

Großflächige Strom- und Bahnausfälle

Vielerorts mussten Menschen vor den Fluten in Sicherheit gebracht werden. Es gab auch großflächige Stromausfälle. Eine Sprecherin des Netzbetreibers Westnetz berichtete am Donnerstagvormittag, rund 200.000 Haushalte seien ohne Strom, weil Umspannwerke und andere Anlagen überflutet seien und abgeschaltet werden mussten. Betroffen seien vor allem das Bergische Land und die Eifel.

Auch der Bahnverkehr ist durch die Überflutungen und den Dauerregen stark beeinträchtigt. Die Deutsche Bahn rief dazu auf, Fahrten von und nach Nordrhein-Westfalen nach Möglichkeit zu verschieben. Aufgrund von Streckensperren fahren zahlreiche S-Bahn- und Regionallinien nicht oder nur eingeschränkt, wie die Deutsche Bahn mitteilte. Auch auf den Autobahnen gibt es erhebliche Wetterfolgen.

Merkel erschüttert, Laschet verspricht Hilfe

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich erschüttert über die vielen Toten der Katastrophe. „Noch wissen wir die Zahl nicht, aber es werden viele sein“, sagte sie. „Friedliche Orte durchleben in diesen Stunden eine Katastrophe, man kann sagen eine Tragödie“, sagte Merkel weiter. „Ich bin erschüttert von den Berichten aus den Orten, die jetzt ganz unter Wasser stehen.“

Die deutsche Kanzlerin kündigte Hilfen des Bundes für die Unwettergebiete an. Derzeit stehe noch die „akute Situation im Fokus“ – die Regierung werde aber bald darüber beraten, wie sie die „Aufbauarbeiten“ unterstützen könne.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident, CDU-Chef und -Kanzlerkandidat Armin Laschet versprach den Opfern und den betroffenen Kommunen ebenfalls rasche Hilfe. Als Konsequenz forderte Laschet eine schnellere Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen. Die Häufung von Starkregen- und Hitzeepisoden sei „verbunden mit dem Klimawandel“, so Laschet.

Hochwasser auch in Niederlanden

Wegen starken Hochwassers wurden auch in der niederländischen Provinz Limburg Dutzende Menschen in Sicherheit gebracht. Sie wurden in Sporthallen und Hotels untergebracht. Auch Campingplätze wurden geräumt, wie Behörden mitteilten. In Valkenburg nahe Maastricht strömt das Wasser durch die Straßen. Keller, Wohnungen und Geschäftsräume sind vollgelaufen. Hunderte von Haushalten haben keinen Strom. Vielerorts ist auch die Armee im Einsatz, um Häuser zu schützen. Straßen und Teile von Autobahnen wurden gesperrt, auch der Zugsverkehr ist nach Behördenangaben eingeschränkt.

In Belgien werden unterdessen die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Lüttich (franz. Liege) in Sicherheit gebracht. Wer die Stadt verlassen könne, solle das tun, sagte Christine Defraigne. Die Maas, die durch die knapp 200.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählende Stadt fließt, führt bereits Hochwasser. Die Pegelstände dürften Prognosen zufolge um weitere 1,5 Meter steigen und Straßen und Gebäude überfluten.

Mehrere Menschen kamen ums Leben. Der Kurort Spa stand komplett unter Wasser, in der Gemeinde Chaudfontaine mussten fast 1.800 Menschen in Sicherheit gebracht werden. In Pepinster stürzte rund ein Dutzend Häuser ein, nachdem der Fluss Vesdre über die Ufer getreten war.