Filmszene aus „In the heights“
Warner Bros./Macall Polay
„In the Heights“

Im Rhythmus des Barrios

Mit „Hamilton“, einem Broadway-Musical über den US-Gründervater Alexander Hamilton, landete Lin-Manuel Miranda einen Riesenerfolg, der sich mit einer Verfilmung fortsetzte. Am Donnerstag startet Jon M. Chus Verfilmung von Mirandas frühem Musicalerfolg „In the Heights“: Ein mit Hip-Hop-Beats, Salsa und Merengue unterlegtes Sommermärchen über Immigration und kleine Lebensträume, das es wunderbar leichtfüßig schafft zu unterhalten.

Im nördlichen Manhattan, angrenzend an Harlem, befindet sich eines der dynamischsten Einwandererviertel New Yorks, die „Washington Heights“. Nahezu jede Einwanderungsbewegung seit Mitte des 19. Jahrhunderts schlug sich dort nieder: Als die Kartoffelfäule die Große Hungersnot in Irland auslöste und Hunderttausende in die Emigration trieb, als die süditalienische Auswanderung begann und später jüdische Emigranten aus Deutschland und Österreich auf der Flucht vor den Nazis dort landeten. Damals wurde das Viertel auch „Frankfurt on the Hudson“ genannt.

Inzwischen ist das Viertel zum „Barrio“ geworden: Die latino-karibische Diaspora bietet dort Exilkubanern, Dominikanerinnen, Puerto Ricanern und Mexikanerinnen günstigen Wohnraum und macht aus den „Heights“ ein aus Spanglish, Cafe con Leche, Burrito und Fiesta bestehenden Melting Pot. Miranda, selbst dort in den 1980er Jahren aufgewachsen, hat dem Viertel mit dem Broadway-Erfolg „In the Heights“ (2005) eine Liebeserklärung gemacht – und mit seinem ersten Stück gleich den Tony Award für das beste Musical gewonnen.

Identitätsbefragung als Musicalfilm

Während Miranda am Broadway die Hauptpartie sang und rappte, taucht er hier nur in der kleinen Nebenrolle auf, in der er „Piragua“ (eine karibische Erfrischung aus gestoßenem Eis und Sirup) verkauft. Anthony Ramos übernimmt in Chus Verfilmung die Rolle des Protagonisten Usnavi. Dieser stammt aus der Dominikanischen Republik, wurde nach dem Tod seiner Eltern von „Abuela“ Claudia (Spanisch für „Oma“), der guten Seele des Barrios, großgezogen und ist Inhaber einer Bodega, wie man in New York kleine Ecksupermärkte nennt, die im Big Apple ebenso identitätsstiftend sind wie der „Späti“ in Berlin.

War „Hamilton“, das Aufgrund der Pandemie nie auf der großen Leinwand, sondern gleich beim Streaminganbieter Disney+ anlief, eine dynamische Aufzeichnung zweier Liveperformances des Stücks, ist „In the Heights“ zum bombastischen Musicalfilm geworden, der an Beyonces Film zum Album „Lemonade“ erinnert. Im Zentrum steht die teils widersprüchliche Identität der New Yorker Latino Communitys.

Jeder hat einen „suenito“

Jeder, der bei Usnavi seinen Kaffee und seinen Lottoschein kauft, hat einen „suenito“, einen kleinen Lebenstraum, der nicht selten von der Versöhnung mit der eigenen Herkunft und Selbstverwirklichung durch sozialen Aufstieg zeugt. Usnavi selbst steckt sein weniges Erspartes in die Ruine einer Strandbar in der Dominikanischen Republik, die einst seinem Vater gehörte, und will zurück in das Ursprungsland, an das er verklärte Erinnerungen als tropisches Paradies hegt.

Filmszene aus „In the heights“
Warner Bros.
Vanessa (Melissa Barrera) und Usnavi kommen sich in den heißen Sommertagen im Barrio näher

Seine angebetete Vanessa (Melissa Barrera) arbeitet in einem Schönheitssalon, in dem Klatsch und Tratsch regieren, träumt aber von einer Karriere als Modedesignerin und einem Umzug ins West Village. Dass zwischen ihren Träumen und der Wirklichkeit eine gläserne Decke eingezogen ist, merkt sie spätestens beim Termin mit der Maklerin, die sie mit einem kühlen Blick und der Bemerkung „Ah, Heights“ abserviert hat.

Bunte Farben auf ernstem Hintergrund

Alltagsrassismus und rechtliche Benachteiligung sind der ernste Hintergrund, auf dem die geradlinigen Liebesgeschichten zwischen Usnavi und Vanessa sowie zwischen dessen Freunden Benny (Corey Hawkins, der mit „Benny’s Dispatch“ einen der musikalischen Glanzpunkte des Films singt) und Nina (Leslie Grace) mit leuchtenden Farben und karibischer Lebensfreude porträtiert werden.

Nina studiert an der Eliteuni Stanford und ist in den Sommertagen der Handlung auf Heimatbesuch. Auch sie ist in der elitären Uniumgebung kränkenden Vorurteilen ausgesetzt und weiß nicht, wie sie ihrem ehrgeizigen Kleinunternehmervater Kevin Rosario (Jimmy Smits) beibringen soll, dass sie ihr Studium abrechen will.

Filmszene aus „In the heights“
Warner Bros./Macall Polay
Überzeugen kann „In the Heights“ mit seinen Gruppenszenen, in denen das ganze Barrio singt und tanzt

Chor der Community

So leichtfüßig und vorhersehbar die Handlung daherkommt, so unterhaltsam und überzeugend ist die Umsetzung, die aus den Broadway-Songs für den gesamten Cast einen Chor der Community macht. Die Choreografie der Gruppenszenen ist dabei zentral. Für diese hat das Team sich an der wenig aufgearbeiteten Rolle der New Yorker Latinos bei der Entstehung von Straßentanzstilen inspiriert, die auch den Breakdance und die frühe Hip-Hop-Kultur beeinflussten.

Happy End mit Augenzwinkern

Dass am Ende alles gut ist oder zumindest von berufener Stelle für das Recht der Schwachen und Aufenthaltsrechtlosen gekämpft wird, alle Kronen, die beim Stolpern durch die Handlung herunterfallen, also wieder aufgesetzt werden und munter weitergetanzt wird, ist keine große Überraschung. Wie souverän sich „In the Heights“ als Musicalfilm aber dem Kitsch- und Klischeeverdacht entzieht, ist beachtlich, und die zweieinhalb Stunden, die nach großer Leinwand und ordentlicher Audiotechnik verlangen, werden zur beschwingten Sommerunterhaltung.