Erdrutsch nach Überschwemmungen im Rhein-Erft-Kreis
APA/AFP
Hochwasserkatastrophe

„Klimawandel in Deutschland angekommen“

Übergegangene Flüsse, eingestürzte Häuser, von der Außenwelt abgeschnittene Orte und über 100 Todesopfer – die Hochwasserkatastrophe in Teilen Deutschlands hat eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Politikerinnen und Politiker, aber auch Expertinnen und Experten verwiesen auf den Zusammenhang mit der Klimakrise und sehen dringenden Handlungsbedarf.

„Der Klimawandel ist in Deutschland angekommen. Die Ereignisse zeigen, mit welcher Wucht die Folgen des Klimawandels uns alle treffen können“, schrieb die deutsche Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Bei ihrem Besuch im Katastrophengebiet Solingen am Freitag betonte sie erneut die Notwendigkeit von verschärften Maßnahmen. Es gehe darum, „aktiv etwas gegen diese Klimaveränderungen zu tun“. Neben dem forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien gelte es, auch den Verkehr zu verändern und in Gebäude zu investieren.

Freiwillige Helfer füllen in Erftstadt Säcke mit Sand
Reuters/Thilo Schmuelgen
Freiwillige Helferinnen und Helfer füllen in Erftstadt Säcke mit Sand, um die Schäden einzudämmen

„Flutkatastrophe von historischem Ausmaß“

CSU-Chef Markus Söder sagte zu den aktuellen Ereignissen: „Der Klimawandel wird uns weiter beschäftigen. Deswegen ist es einfach notwendig, dass wir bei diesem Thema nicht nur Klimaanpassungsmaßnahmen und Klimahilfen machen, sondern vorausschauenden Klimaschutz betreiben.“

Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock schlug bereits Anfang Juli einen „Klimaanpassungsfonds auf Bundesebene“ vor, „über den diejenigen, die durch wetterbedingte Katastrophen ihr Hab und Gut verloren haben, entschädigt werden“, so Baerbock gegenüber dem „Spiegel“.

Expertinnen und Experten über Wetterextreme

Laut Fachleuten ist der menschengemachte Klimawandel für extreme Wetterereignisse verantwortlich: Die Temperaturen würden steigen und klimabeeinflussende Winde sich ändern.

CDU-Chef Armin Laschet forderte weltweit mehr Tempo beim Klimaschutz. Für Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten ist es „leider Gewissheit, dass solche Extremereignisse unseren Alltag künftig stärker und öfter betreffen werden“. Neben Anpassungsmaßnahmen an die globale Erwärmung und einem schnelleren Erreichen von Klimaneutralität in Deutschland würden auch internationale Anstrengungen gebraucht. Er sprach von einer „Flutkatastrophe von historischem Ausmaß“.

Kampf gegen Klimakrise „entschieden aufnehmen“

Ähnliche Töne schlug Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an. Er zeigte sich erschüttert über die Ausmaße der Flutkatastrophe. Nur wenn der Kampf gegen den Klimawandel entschieden aufgenommen werde, könnten solche Auswirkungen in Schach gehalten werden, sagte er.

Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte unterdessen, dass die Klimakrise in Zeiten der Pandemie zwar in den Hintergrund geraten, deshalb jedoch noch lange nicht weg sei. Deswegen müsse die UNO-Klimakonferenz in Glasgow im Herbst Fortschritte bringen. Auch die Vereinten Nationen selbst sehen die Hochwasserkatastrophe als Folge des fortschreitenden Klimawandels.

„Es ist ein größerer Trend in Bezug auf den Klimawandel, dass er zu größeren Klimaextremen führt“, sagte eine UNO-Sprecherin am Donnerstag in New York. Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise seien nötig, um Vorfälle wie jenen in Deutschland künftig zu begrenzen.

Zerstörte Brücke über der Ahr
AP/Michael Probst
„Nur wenn wir den Kampf gegen den Klimawandel entschieden aufnehmen, werden wir Extremwetterlagen, wie wir sie jetzt erleben, in Grenzen halten“, mahnte der Bundespräsident

Höhere Wahrscheinlichkeit für Wetterextreme

Die deutschen Klimaforscher Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber schreiben in ihrem Werk „Der Klimawandel“, dass Wetterextreme wie Stürme, Überschwemmungen und Dürren jene Auswirkungen des Klimawandels seien, die viele Menschen „am direktesten zu spüren bekommen“. Eine Zunahme sei allerdings nicht so leicht nachweisbar, „da die Klimaerwärmung bislang noch moderat und Extremereignisse per Definition selten sind – über kleine Fallzahlen lassen sich kaum gesicherte statistische Aussagen machen“.

Ein paar Zeilen weiter darunter heißt es allerdings: „Zwar lassen sich einzelne Extremereignisse nicht direkt auf eine bestimmte Ursache zurückführen. Doch man kann zeigen, dass sich die Wahrscheinlichkeit (oder Häufigkeit) bestimmter Ereignisse durch die globale Erwärmung erhöht.“ Vergleichbar sei das mit der Tatsache, dass Raucher und Raucherinnen häufiger Lungenkrebs bekämen, es sich im Einzelfall aber nicht beweisen ließe, ob der Patient nicht auch, ohne zu rauchen, Krebs bekommen hätte.

Niederschläge stärker, Hitzewellen heißer, Dürren trockener

Für den Berliner Klimaexperten Carl-Friedrich Schleussner ist klar: Im Jahr 2021 stelle sich nicht mehr die Frage, ob der Klimawandel zur Hochwasserkatastrophe beigetragen habe, sondern nur, wie viel. Je stärker sich die Erde erwärmt, umso mehr Feuchtigkeit kann die Atmosphäre aufnehmen. Das wiederum führe zu einer Zunahme von Starkregen und „damit auch leider zu häufigeren, verheerenden Flutereignissen wie tragischerweise jetzt in Westdeutschland, Belgien und Luxemburg. Gleichzeitig nehmen Wetterlagen zu, die zu solchen Extremwetterereignissen führen“, so Schleussner.

Douglas Maraun, Klimaforscher am Wegener Center für Klima und globalen Wandel an der Universität Graz, fasst das folgendermaßen zusammen: „Der Klimawandel beeinflusst vor allem alle Faktoren, die direkt an die Temperatur gekoppelt sind: Starkniederschläge können stärker werden, weil mehr Luftfeuchte zur Verfügung stehen kann, Hitzewellen werden heißer und Dürren trockener, weil der Boden stärker austrocknen kann."

Hochwassergefahr in Österreich ähnlich wie in Deutschland

Auch die Klimawissenschaftlerin und Leiterin des Instituts für Umweltveränderungen an der Universität Oxford Friederike Otto betont, dass sich die Intensität der Extremwetter durch den Klimawandel verstärken werden. „Das wissen wir sowohl aus der Physik als auch von Beobachtungen und Klimaprojektionen.“ Allerdings sei die Erhöhung der Häufigkeit des Auftretens solcher Starkregenfälle geringer als bei Hitzeextremen. Und: „Dass derartige Starkregenfälle so dramatische Konsequenzen haben, liegt zu einem großen Teil an der Versiegelung der Böden.“

Die Folgen derartiger Regenmengen könnten laut dem Leiter der Wildbachverbauung im Landwirtschaftsministerium, Florian Rudolf-Miklau, in Österreich „ähnlich sein und durchaus im alpinen Bereich auch noch dramatischer“. Jährlich investiere der Bund 200 Millionen Euro in Hochwasserschutz und Wildbachverbauung. Aber 20 Prozent der Gebäude in Österreich „stehen in Gefahrenzonen“, so Rudolf-Miklau gegenüber Ö1. Auch hierzulande steige durch die Versiegelung und Bodenverdichtung die Gefahr.