Frau vor zerstörtem Haus
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Überflutungen in Deutschland

Weiter über 1.000 Vermisste

Nach dem verheerenden Hochwasser im Westen Deutschlands mit über 130 Toten werden weiterhin mehr als 1.000 Menschen vermisst. Auch in Teilen Belgiens und der Niederlande war die Lage am Freitag nach wie vor prekär.

Das deutsche Verteidigungsministerium löste wegen der Unwetterkatastrophe im Westen des Landes einen militärischen Katastrophenalarm aus. Es handelt sich um eine der größten Unwetterkatastrophen der Nachkriegszeit in Deutschland. Obwohl die Rettungsmaßnahmen noch voll im Gange waren, lag die Zahl der Toten bereits deutlich höher als beim „Jahrhunderthochwasser“ des Jahres 2002, bei dem in Deutschland 21 Menschen starben.

„Das Leid nimmt auch gar kein Ende“, sagte die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), bei einem Besuch der Berufsfeuerwehr in Trier. Die Zahl der Toten steige weiter. Überall gehe jetzt das Wasser zurück, daher würden nun Menschen gefunden, die bei der Katastrophe ertrunken seien. „Und da könnte man eigentlich nur noch weinen. Das ist ein Horror.“

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Eine Überschwemmte Kleinstadt in Deutschland
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Im Westen Deutschlands stehen ganze Ortschaften unter Wasser. Hier die Gemeinde Insul am Fluss Ahr.
Ein Teil eines Hauses wurde vom Wasser weg gerissen
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Ein Teil eines Hauses in Hagen wurde vom Wasser weggerissen
Feuerwehrleue versuchen jemanden aus einem Haus zu retten
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Feuerwehrleute versuchen in Trier, Personen aus einem Haus zu retten
Eingestürztes Haus in Schuld in Nordrhein-Westfalen
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Eingestürztes Haus in Schuld in Rheinland-Pfalz
Weggespülte Straße in Schuld
Reuters/Wolfgang Rattay
Die Straße im Ort Schuld wurde weggespült
Luftaufnahme vom teilweise zerstörten Ort Schuld in Nordrhein-Westfalen
APA/dpa/TNN/Christoph Reichwein
Luftaufnahme vom teilweise zerstörten Ort Schuld
Überfluteter Rhein in Köln
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Der Rhein bei Köln
Die Kyll ist in Erdorf in Rheinland-Pfalz über die Ufer getreten und hat Teile des Dorfes geflutet.
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Durch die Unwetter traten Flüsse über die Ufer
Ein Auto ist in Hagen in Nordrhein-Westfalen vom Schutt bedeckt
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Ein Auto wurde von Schutt bedeckt, den ein über die Ufer getretener Fluss mitführte
Deutsche Soldaten bei den Aufräumarbeiten
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Feuerwehr und Polizei erhielten Unterstützung von Mitgliedern der deutschen Bundeswehr
Bergepanzer
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Soldatinnen und Soldaten sind mit Bergepanzern und anderem Gerät im Einsatz
Der Ort Altena ist überflutet
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Der Ort Altena in Nordrhein-Westfalen ist überflutet

Wegen anhaltenden Starkregens waren an Rhein, Mosel und kleineren Flüssen im Westen Deutschlands die Pegelstände gestiegen. Etliche Häuser sind bereits eingestürzt. Dämme drohten zu brechen. In mehreren von Hochwasser betroffenen Orten sitzen nach wie vor Menschen in ihren Häusern fest.

Prekäre Lage im Westen Deutschlands

ORF-Korrespondentin Verena Gleitsmann berichtet aus den Katastrophengebieten in Deutschland über die aktuelle Lage.

Erdrutsche rissen Häuser weg

Dramatische Szenen spielten sich in Erftstadt-Blessem ab, wo Erdrutsche Häuser und Autos wegrissen. In der Ortschaft war es zu starken und schnell fortschreitenden Unterspülungen von Häusern gekommen. Luftbilder zeigten Erdrutsche von gewaltigem Ausmaß.

Verteilung von Sandsäcken in Erftstadt, Deutschland
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Notmaßnahmen in Erftstadt

Heikel blieb die Lage auch in Swisttal im Süden von Nordrhein-Westfalen. Dort bestand die Gefahr, dass eine Staumauer der Steinbachtalsperre aufgrund der Wassermassen brechen könnte. Rund 2.000 Menschen wurden in Sicherheit gebracht.

Katastrophale Schäden

Die Regierungen der beiden betroffenen Bundesländer kamen zu Sondersitzungen zusammen. Strom- und Telekommunikationsverbindungen wurden beschädigt und sind unterbrochen – auch darauf führen die Behörden die noch immer zahlreichen Vermisstenfälle zurück.

Zerstörung nach Überschwemmung in Deutschland
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Die Aufräumarbeiten machen erst das Ausmaß der Katastrophe sichtbar

Im besonders stark betroffenen Kreis Bad Neuenahr-Ahrweiler im nördlichen Rheinland-Pfalz wurden laut Landesinnenminister Roger Lewentz zuletzt zwölf weitere Leichen geborgen. Bei ihnen handelte es sich offenbar um Bewohnerinnen und Bewohner einer Behinderteneinrichtung. „Das Wasser drang innerhalb einer Minute bis an die Decke des Erdgeschoßes“, sagte der Geschäftsführer des Landesverbands der Lebenshilfe.

Ein Mann watet durch überschwemmtes Gebiet in Bad Neuenahr-Ahrweiler
Reuters/Wolfgang Rattay
Auch in Bad Neuenahr-Ahrweiler ist die Lage verheerend

Orte nicht erreichbar

Das Ahrtal galt als von der Außenwelt abgeschnitten. Die Gegend sei über keine Zufahrtsstraße mehr zu erreichen, teilte die Polizei mit. Es gab zudem noch eine große Zahl vermisster Menschen. Stark getroffen wurde auch der Kreis Euskirchen in Nordrhein-Westfalen. Dort kamen nach Angaben der Polizei mindestens 20 Menschen ums Leben.

Der Zugsverkehr in den beiden deutschen Bundesländern ist wegen der Überflutungen weiterhin sehr stark beeinträchtigt. Zahlreiche Strecken seien komplett gesperrt bzw. nur eingeschränkt befahrbar, teilte die Deutsche Bahn mit. „Die Wassermassen haben Gleise, Weichen Signaltechnik, Bahnhöfe und Stellwerke in vielen Landesteilen von NRW und Rheinland-Pfalz stark beschädigt“, hieß es.

Eine erste Bilanz der Regenmengen veröffentliche unterdessen der Wetterdienst. Der Spitzenwert innerhalb von 72 Stunden wurde in Nachrodt-Wiblingwerde verzeichnet. Dort fielen 182,4 Liter Niederschlag pro Quadratmeter.

Bund und Länder versprechen rasche Hilfe

Bund und Länder wollen nun rasch helfen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) versprachen den Betroffenen Hilfen, die Entscheidung über die Hilfsmaßnahmen soll kommende Woche fallen. Rheinland-Pfalz hat bereits als kurzfristige Unterstützung 50 Millionen Euro bereitgestellt, um etwa Schäden an Straßen, Brücken und anderen Bauwerken zu beheben. Eine Stabstelle Wiederaufbau wurde eingerichtet.

Kritische Lage auch in Belgien und Niederlanden

Kritisch ist die Lage auch in Luxemburg, Belgien und den Niederlanden. Entlang der Maas im Süden der Niederlande mussten zahlreiche Menschen am Freitag ihre Häuser verlassen, weil die Fluten ein Loch in einen Damm gerissen hatten. In Venlo an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen wurde ein Krankenhaus mit 200 Patientinnen und Patienten vorsorglich evakuiert.

Hochwasser in Belgien

ORF-Korrespondent Benedict Feichtner berichtet über die Hochwasserlage in Belgien.

Tausende Einwohnerinnen und Einwohner von Maastricht und angrenzenden Orten, die sich am Vorabend bereits in Sicherheit gebracht hatten, konnten am Freitag wieder in ihre Wohnungen zurückkehren. Zwar kam es oft nicht zu den befürchteten verheerenden Überflutungen, die Wassermassen richteten aber Schäden an. In der Nacht hatte die Maas unweit der belgischen Grenze ihren höchsten Wasserstand seit Beginn der Aufzeichnungen 1911 erreicht. Am Vormittag sank der Pegelstand dort wieder.

Zerstörte Autos und Straßen in Verviers, Belgien
APA/AFP/Francois Walschaerts
Auch in Belgien richteten Überflutungen schwere Schäden an

In Belgien forderten die Fluten mindestens 20 Menschenleben. In der Wallonie waren mehrere tausend Bewohnerinnen und Bewohner ohne Strom. Dutzende Straßenabschnitte blieben für den Verkehr gesperrt, ebenso wie die meisten Bahnstrecken in der Wallonie. In der belgischen Großstadt Lüttich (Liege) waren die Anrainerinnen und Anrainer der Maas am Donnerstag wegen außergewöhnlich starken Hochwassers aufgerufen worden, schnell ihre Häuser zu verlassen. In der Nacht stieg der Wasserpegel jedoch nicht weiter. Die Einsatzkräfte bekommen internationale Hilfe, unter anderem von Feuerwehren aus Niederösterreich – mehr dazu in noe.ORF.at.

Wetterextreme und Klimakrise

Die deutschen Klimaforscher Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber schreiben in ihrem Werk „Der Klimawandel“, dass Wetterextreme wie Stürme, Überschwemmungen und Dürren jene Auswirkungen des Klimawandels seien, die viele Menschen „am direktesten zu spüren bekommen“. Eine Zunahme sei allerdings nicht so leicht nachweisbar, „da die Klimaerwärmung bislang noch moderat und Extremereignisse per Definition selten sind – über kleine Fallzahlen lassen sich kaum gesicherte statistische Aussagen machen“.

Buchhinweis

Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber: Der Klimawandel. Verlag: C. H. Beck Wissen, 144 Seiten, 10,30 Euro.

Ein paar Zeilen weiter darunter heißt es allerdings: „Zwar lassen sich einzelne Extremereignisse nicht direkt auf eine bestimmte Ursache zurückführen. Doch man kann zeigen, dass sich die Wahrscheinlichkeit (oder Häufigkeit) bestimmter Ereignisse durch die globale Erwärmung erhöht.“ Vergleichbar sei das mit der Tatsache, dass Raucher und Raucherinnen häufiger Lungenkrebs bekämen, es sich im Einzelfall aber nicht beweisen ließe, ob der Patient nicht auch, ohne zu rauchen, Krebs bekommen hätte.