IS-Terrorprozess: Verwirrspiel um Hauptangeklagten

Justizielles Verwirrspiel um Turpal I., den Hauptangeklagten in einem seit 7. Juli in Wien laufenden Terrorprozess gegen zwei Foreign Fighter der radikalislamistischen Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und den in einem vorangegangenen Verfahren bereits zu 20 Jahren verurteilten früheren „Hassprediger“ Mirsad O. Turpal I. wurde am vergangenen Donnerstag in Haft genommen, kam gestern aber wieder auf freien Fuß, wie sein Verteidiger Florian Kreiner mitteilte.

Das bestätigte am Abend auch Barbara Schwarz, die Sprecherin des Landesgerichts für Strafsachen Graz. „Der Antrag auf Verhängung der U-Haft wurde abgewiesen“, teilte Schwarz laut APA mit.

Haftantrag für seit 2015 laufendes Verfahren

Wie Kreiner zuvor erläuterte, hatte die Staatsanwaltschaft Graz bezüglich Turpal I. die Erlassung einer Festnahmeanordnung beantragt. Basis dafür sei ein separates Ermittlungsverfahren wegen Terrorismusfinanzierung, wobei sich der Vorwurf auf Geldzuwendungen der Eltern des 32-Jährigen an diesen beziehe. Das entsprechende Ermittlungsverfahren laufe allerdings seit 2015 und sei damit älter als jenes, das sich seit knapp zwei Wochen in Wien im Hauptverhandlungsstadium befindet, sagte Kreiner.

Überdies seien die angeblichen Geldzuwendungen mehrfach im laufenden Prozess thematisiert und ein terroristischer Kontext nicht bewiesen worden. „Die Festnahmeanordnung wurde mit Behauptungen begründet, die weder mit den Ergebnissen im Ermittlungsverfahren noch der Hauptverhandlung übereinstimmen“, betonte Kreiner.

Der Staatsanwalt habe sich die Überweisungen, die keinerlei terroristischen Hintergrund gehabt hätten, „herausgepickt“, um seinen Mandanten „konstruiert wieder in Haft zu bringen“, nachdem dieser im vergangenen Mai nach Ablauf der vom Gesetz auf zwei Jahre begrenzten U-Haft zwingend aus dem Gefängnis entlassen werden musste.

Anordnung wurde bewilligt

Die Festnahmeanordnung wurde am vergangenen Donnerstag bewilligt und in Wien vollzogen, wie „Der Standard“ am Wochenende berichtete. Am Samstag musste jedoch nach Ablauf von 48 Stunden entschieden werden, ob Turpal I. in U-Haft übernommen wird. Zuständig dafür war das Landesgericht Graz. Der Antrag wurde abgewiesen, wobei dafür in erster Linie der sogenannte Spezialitätsgrundsatz maßgeblich war, wie Gerichtssprecherin Schwarz darlegte.

Turpal I. war seinerzeit mit Europäischem Haftbefehl in Belarus (Weißrussland) festgenommen und an die österreichische Justiz ausgeliefert worden – im Auslieferungsersuchen dürfte jedoch der Vorwurf der Terrorismusfinanzierung nicht enthalten gewesen sein.

Schwere Vorwürfe in Anklage

Turpal I. muss sich derzeit vor einem Wiener Schwurgericht verantworten, weil er 2013 nach Syrien gereist sein soll, sich in leitender Funktion einer Terrorgruppierung angeschlossen haben und unter dem Kampfnamen Abu Aische im Namen des IS Gräueltaten begangen bzw. angeordnet haben soll. Laut Anklage soll er in der nordsyrischen Stadt Hraytan die Erschießung von Bewohnern eines Hochhauses sowie von drei als Sklavinnen gefangen genommener Frauen angeordnet haben, in einer Kleinstadt nördlich von Aleppo soll er zumindest sieben Schiiten mit Messern die Köpfe abschneiden haben lassen.

Der 32-Jährige bestreitet das, hat sich vor Gericht als Opfer einer Verwechslung dargestellt und behauptet, er habe in Syrien das Grab seines – Erkenntnissen des Verfassungsschutzes zufolge als IS-Kämpfer – gefallenen Schwagers gesucht, gefunden und in weiterer Folge mehrfach besucht. Für den Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung.

Von April 2019 bis heuer in U-Haft

Turpal I. – vor seiner Zuwendung zum IS mehrfacher Staatsmeister im Taekwondo – saß seit 24. April 2019 in U-Haft. Nach Ablauf der auf zwei Jahre begrenzten U-Haft musste er aus rechtlichen Gründen auf freien Fuß gesetzt werden, da es bis dahin nicht gelungen war, gegen den Terrorverdächtigen auf Basis einer rechtskräftigen Anklageschrift eine Hauptverhandlung zu eröffnen.