Merkel werde sich in der Gemeinde Schuld ein Bild von der Lage machen, teilte die Staatskanzlei mit. Im Anschluss ist ein Pressestatement in Adenau geplant – gemeinsam mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und weiteren rheinland-pfälzischen Ministern.
Bei neuen Unwettern hat am späten Samstagabend der Landkreis Berchtesgadener Land in Oberbayern den Katastrophenfall ausgerufen. Auch in der Sächsischen Schweiz gingen gewaltige Regenmassen nieder
Suche nach Verletzten
In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wird indessen in den Trümmern weiterhin nach Todesopfern und Verletzten gesucht und das Ausmaß der Schäden langsam sichtbar. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach am Samstag bei einem Besuch in dem von den Fluten besonders stark heimgesuchten Erftstadt von Schäden, „die unsere Vorstellungskraft übersteigen“. Es gebe „Gemeinden, die von Verwüstung, von Zerstörung gezeichnet sind“.
Der Bundespräsident hatte sich zusammen mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) über die Lage in Erftstadt informiert. Zur Stadt gehört die Ortschaft Blessem, wo es zu gewaltigen Erdrutschen gekommen war. Laschet sprach von einer „Jahrhundertkatastrophe“. Es sei eine „nationale Aufgabe“, der betroffenen Region zu helfen.
Zahl der Toten könnte noch steigen
Insgesamt lag die Zahl der bestätigten Todesopfer Sonntagfrüh bei 156. Es wird befürchtet, dass noch weitere hinzukommen, weil einige Autowracks und vollgelaufene Keller noch nicht kontrolliert werden konnten. Hunderte Menschen wurden laut Polizei verletzt.
Während sich das verheerende Hochwasser aus vielen Flutgebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz langsam zurückzieht, wird in den Trümmern weiterhin nach Todesopfern und Verletzten gesucht. Unter den Opfern in Nordrhein-Westfalen sind vier Feuerwehrleute, wie am Samstag bekannt wurde.
Laschet verspricht unbürokratische Hilfe
Laschet versprach Direkthilfe für die betroffenen Menschen und sagte zu, dass „sehr unbürokratisch Geld ausgezahlt“ werde. Danach werde man zusammen mit dem Bund „strukturell“ den Städten helfen müssen, den Wiederaufbau zu bewerkstelligen.
Mitten im Chaos gibt es auch kleine Hoffnungsschimmer: Trotz mehrerer eingestürzter Häuser gab es zum Beispiel bislang keine bestätigten Todesopfer in dem extrem unter Wasser stehenden Stadtteil Blessem. Man könne aber nicht ausschließen, noch Tote zu finden, sagte ein Sprecher des Rhein-Erft-Kreises. In Blessem südwestlich von Köln bildeten sich nach den Erdrutschen Krater im Erdreich, drei Wohnhäuser und ein Teil der historischen Burg stürzten ein.
Zehntausende Helfer im Einsatz
Tausende Rettungskräfte sind unter anderem in der Eifel im Einsatz, in Nordrhein-Westfalen halfen mehr als 23.000 Menschen aus. Dazu zählten neben Feuerwehr und Technischem Hilfswerk (THW) auch Beamte der Landespolizei, der Bundespolizei, der Bundeswehr sowie Einsatzkräfte aus Hessen, Niedersachsen und Hamburg.
Während die Lage in vielen linksrheinischen Gebieten von Nordrhein-Westfalen auch am Samstag angespannt blieb, fielen in anderen Flussgebieten die Wasserstände deutlich. Lediglich im Einzugsgebiet der Ruhr überschritten einzelne Pegel noch die unterste Informationsstufe, hieß es im Lagebericht des Landesumweltamts (Lanuv). Das Rhein-Hochwasser bei Köln erreichte in der Nacht zum Samstag seinen Höchststand, danach fiel der Wasserstand wieder. Auch nach der Frühwarnprognose des Landesamts für Umwelt Rheinland-Pfalz nimmt die Hochwassergefahr ab.
Über 160 Tote durch Überschwemmungen
Nach den Überschwemmungen im Grenzgebiet zwischen Deutschland, Belgien und den Niederlanden hat sich die Zahl der Toten auf knapp 160 erhöht. Die Wasserstände steigen zum Teil weiter, in einigen Gebieten geht das Wasser aber wieder zurück.
Steinbachtalsperre weiter gefährdet
Die Gefahr ist aber noch nicht überall gebannt. An der Steinbachtalsperre bei Euskirchen droht trotz des sinkenden Wasserstands weiterhin ein Bruch des Staudamms. Der Damm sei „äußerst instabil“, große Teile des Bauwerks seien weggebrochen, teilte die Bezirksregierung Köln am Samstag mit. Es bestehe weiterhin akute Überflutungsgefahr für die Orte unterhalb der Talsperre. Weitere Evakuierungen seien deshalb geplant.
In vielen Ortschaften in Rheinland-Pfalz funktionierte auch am Samstag das Strom- und Telefonnetz nicht. Der Schwerpunkt der Katastrophe liegt im Bundesland im Kreis Ahrweiler. Dort sind auch Brücken zerstört. Der Zugverkehr ist wegen der Überflutungen weiterhin massiv beeinträchtigt. Im Ahrtal sind etliche Straßen gesperrt oder nicht mehr befahrbar.
Unklar bleibt die Lage im nordrhein-westfälischen Wassenberg an der Grenze zu den Niederlanden: Dort wurde nach dem Bruch eines Damms des Flusses Rur der Stadtteil Ophoven evakuiert, rund 700 Menschen wurden in Sicherheit gebracht. Die Straßen des Stadtteils standen unter Wasser.
Lokalaugenschein aus Deutschland und den Niederlanden
ORF-Reporter berichten von der Unwetterkatastrophe vor Ort.
In Trier kehrten erste Anrainer zurück
Im Trierer Stadtteil Ehrang wurde am Samstag aufgeräumt, so gut es ging. Erste Anwohner kehrten zurück in ihre Häuser. Betroffen sind der Stadt zufolge 670 Häuser, bei denen im Keller und Erdgeschoss fast alles zerstört wurde.
Klimawandel „hautnah und schmerzhaft“
Die in Trier wohnende rheinland-pfälzische Regierungschefin Dreyer beklagte schwere Versäumnisse beim Klimaschutz in Deutschland. „In den vergangenen Jahren haben wir in Deutschland vieles nicht umgesetzt, was notwendig gewesen wäre“, sagte die Ministerpräsidentin den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). Der Klimawandel sei angesichts der jüngsten Dürren und Unwetter nichts Abstraktes mehr. „Wir erleben ihn hautnah und schmerzhaft.“
Die Grünen forderten eine gemeinsame Kraftanstrengung für mehr Klimaschutz. Über allem stehe jetzt noch die Rettung von Menschenleben, sagte der Bundesvorsitzende Robert Habeck am Samstag in einem Grußwort für einen kleinen Online-Parteitag der bayerischen Grünen. Anschließend müsse denjenigen, die gerettet seien, schnell und unbürokratisch geholfen werden. Und dann müsse zum einen der Hochwasserschutz mehr Raum bekommen, zum anderen brauche es stärkere Anstrengungen für mehr Klimaschutz und den gemeinsamen Kampf gegen die Erderwärmung.
Dramatische Lage in Belgien und Niederlanden
Verheerend sind die Folgen der Flut auch in Belgien. Dort hat die Hochwasserkatastrophe bislang 27 Menschen das Leben gekostet. „Leider müssen wir damit rechnen, dass diese Zahl in den nächsten Stunden und Tagen weiter ansteigen wird“, teilte das Nationale Krisenzentrum des Landes am Samstag mit.
Bereits am Donnerstag war wegen eines möglichen Lecks das AKW Doel 2 nahe der belgischen Stadt Antwerpen abgeschaltet worden. Laut belgischer Atomaufsichtsbehörde FANC ist die Lage aber unter Kontrolle. Von Umweltschützern – etwa dem Anti-Atom-Sprecher der Grünen, Martin Litschauer, wurde gefordert, auch das an der Maas gelegene AKW Tihange abzuschalten. Laut FANC besteht dazu derzeit keine Notwendigkeit.
In den Niederlanden kämpfen die Anwohner entlang der Maas ebenfalls mit Sandsäcken und Schutzmaßnahmen gegen das Hochwasser. Mit einem Absinken des Wassers wurde in Roermond am Sonntagmorgen und in Venlo am Sonntagabend gerechnet.
In Venlo war am Freitag ein Krankenhaus mit 200 Patienten vorsorglich evakuiert worden. In der Stadt und umliegenden Orten wurden Tausende Menschen zum Verlassen ihrer Wohnungen aufgerufen. Zwar richteten die Fluten erhebliche materielle Schäden an, Berichte über Verletzte gab es aber nicht.