Deutsche Kanzlerin Angela Merkel
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Flut in Deutschland

Politik verspricht Hilfen und Klimaschutz

Nach der Flutkatastrophe im Westen Deutschland mit bisher rund 160 Toten haben die Spitzen der deutschen Politik rasche und unbürokratische Hilfe versprochen. Gleichzeitig versicherten Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Finanzminister Olaf Schulz (SPD), aber auch zahlreiche weitere, den Kampf gegen den Klimawandel zu verstärken – wohl auch mit Blick auf die Bundestagswahl Ende September.

„Wir werden uns dieser Naturgewalt entgegenstemmen“, sagte Merkel bei einem Besuch im Eifel-Dorf Schuld und kündigte Hilfen des Bundes für die betroffenen Kommunen an. Auf Nachfragen sagte die Kanzlerin, dass die Hochwasserkatastrophe mit dem Klimawandel „zu tun“ habe – „und das bedeutet, dass wir uns noch mehr vornehmen müssen“.

Merkel forderte: „Wir müssen schneller werden im Kampf gegen den Klimawandel.“ Die Investitionen seien zwar teuer – doch was nicht getaner Klimaschutz anrichten könne, sei teurer. Es bedürfe einer Politik, „die die Natur und das Klima mehr in Betracht zieht, als wir das in den letzten Jahren gemacht haben“.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Lokalaugenschein im überfluteten Schuld
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Merkel im schwer zerstörten Ort Schuld

Söder: „Unglaublicher Weckruf“

Ganz ähnlich argumentierte auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bei einem Besuch in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten in Südbayern: Er mahnte, man müsse nun sowohl bei Klimaanpassungsmaßnahmen als auch beim Klimaschutz das Tempo beschleunigen.

Auch wenn Klimaschutz teuer sei: „Am Ende sind die Kosten des Nichtstuns viel, viel teurer.“ In den letzten Tagen habe Deutschland einen unglaublichen Weckruf der Natur erlebt, sagte er in Schönau am Königssee. „Das Klima verändert sich, und das hat Folgen. Starkwetterereignisse nehmen zu.“

Er kündigte für die kommende Woche eine Regierungserklärung zum Thema Klimaschutz an. Dabei werde es nicht nur darum gehen, Ziele zu definieren, sondern das auch finanziell mit einem Klimaprogramm zu hinterlegen. Es gehe darum, die Heimat stärker zu schützen und zu überlegen, welche Welt man Kindern und Kindeskindern übergeben wolle. Das Unwetter nannte er einen Weckruf.

Scholz verspricht Soforthilfe

Finanzminister und SPD-Spitzenkandidat Scholz kündigte eine Soforthilfe von mehr als 300 Millionen Euro für die Opfer der Flutkatastrophe an. Jetzt müsse sofort geholfen werden, das sei eine nationale Aufgabe, sagte Scholz an der Seite Söders in Schönau am Königssee. Beim Wiederaufbau gehe es um Milliarden. Das könne keine Gemeinde, kein Land allein stemmen. Scholz mahnte, die Wirtschaft müsse so angepackt werden, dass sie klimaneutral gelingen könne – hier und in der ganzen Welt.

Laschet versucht, Fauxpas vergessen zu machen

Armin Laschet (CDU), Kanzlerkandidat der Union und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, kündigte schnelle Hilfen an. „Als Land tun wir alles, um jetzt die direkten Auswirkungen der Katastrophe in den Griff zu bekommen.“ Er kündigte ein Treffen mit Vertretern der betroffenen Städte und Gemeinden im Laufe der Woche an, „um zu beraten, wie wir die Finanzhilfen ausgestalten, um schnell unsere Heimat wiederaufzubauen.“

Der Wiederaufbau werde Jahre dauern. Die Häufigkeit und die Wucht solcher Katastrophen seien auch eine Folge des Klimawandels, bekräftigte Laschet. „Den müssen wir hier und weltweit schneller und konsequenter bekämpfen. Das Klima gewährt keinen Aufschub.“

Laschet war zuletzt in die Kritik geraten, als er beim Besuch im vom Unwetter schwer heimgesuchten Erftstadt während einer Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Hintergrund lachte. Der Ministerpräsident entschuldigte sich später auf Twitter: Er bedauere „den Eindruck, der durch eine Gesprächssituation entstanden“ sei. „Dies war unpassend und es tut mir leid.“

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Zerstörte Brücke der Bahnstrecke bei Walporzheim
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Eine Brücke einer Bahnstrecke in Rheinland-Pfalz ist zerstört
Aufräumarbeiten bei einer zerstörten Brücke der Bahnstrecke bei Walporzheim
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Mittlerweile haben in dem Unwettergebiet die Aufräumarbeiten begonnen
Panzer der Bundeswehr zieht einem Wagen aus der Flut
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Im besonders schwer betroffenen Erfstadt zieht die Bundeswehr weiterhin Autos aus dem Wasser
Zerstörte Häuser im Ahrtal im Ortsteil Walporzheim
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Eines von vielen vollständig zerstörten Häusern im Ahrtal, Rheinland-Pfalz
Zerstörtes Möbiliar liegt auf einem Feld außerhalb des Ortsteils Arloff
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Zerstörtes Mobiliar und Eltektrogeräte sind vorübergehend auf einem Feld außerhalb von Bad Münstereifel (Nordrhein-Westfalen) gelagert.
Erdrutsch nach Überschwemmungen im Rhein-Erft-Kreis
APA/AFP
Riesiger Erdrutsch nach Überschwemmungen in Erftstadt-Blessem im Rhein-Erft-Kreis
Eine Frau steht an einem Hauseingang an einer überfluteten Straße
Reuters/Thilo Schmuelgen
Überflutete Straße: Eine Frau kann ihr Haus in der besonders schwer getroffenen Stadt Erfstadt nicht mehr verlassen
Soldaten der Bundeswehr bergen mit einem Pionierpanzer Dachs ein zerstörtes Auto bei den Aufräumarbeiten der schweren Unwetterschäden im Ortsteil Hohenlimburg
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Riesiger Erdrutsch nach Überschwemmungen in Erftstadt-Blessem im Rhein-Erft-Kreis
Campinganhänger, Trümmerteile und Müll stauen sich in der Ahr vor der Burg Kreuzberg
APA/dpa/Lino Mirgeler
Campinganhänger und Trümmerteile stauen sich in der Ahr vor der Burg Kreuzberg
Baukran bei den Aufräumarbeiten in Bad Neuenahr-Ahrweiler
Reuters/Wolfgang Rattay
Baukran bei den Aufräumarbeiten in Bad Neuenahr-Ahrweiler

Baerbock forderte striktes Bauverbot in Risikogebieten

Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, forderte bessere Vorbereitung für kommende Extremwetterereignisse. „Die Lage ist nach wie vor hochdramatisch. Menschen haben alles verloren, noch immer werden einige vermisst“, sagte Baerbock in einem Montagfrüh veröffentlichten „Spiegel“-Interview. „Mir haben Helfer in Rheinland-Pfalz von Familien erzählt, die tagelang auf dem Dach ausharrten, bis endlich die Retter kamen. Da zieht sich einem das Herz zusammen. Wir müssen uns besser gegen solche Extremwettereignisse wappnen, um Menschen zu schützen.“

Baerbock forderte zudem eine Neuformation des Katastrophenschutzes mit mehr Verantwortung für den Bund. Diese Notwendigkeit zeichne sich seit Längerem ab. „Notsituationen wie diese Flut oder auch Waldbrände häufen sich und brechen oft an vielen Orten zur selben Zeit aus. Hilfe funktioniert nur, wenn alles ineinander greift.“ Baerbock sprach sich zudem für ein striktes Bauverbot in Hochwasserrisikogebieten aus. „Die CDU müsste nur ihren Widerstand dagegen aufgeben.“

„Bild eines Systemversagens“

Unterdessen forderte Wirtschaftsminister Peter Altmaier Aufklärung, ob der Katastrophenschutz ausreichend funktioniert habe. Der Leiter des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Armin Schuster, verteidigte den Katastrophenschutz gegen Kritik. „Unsere Warninfrastruktur hat geklappt im Bund“, sagte er im ZDF-„heute journal“. „Der Deutsche Wetterdienst hat relativ gut gewarnt.“ Das Problem sei, dass man oft eine halbe Stunde vorher noch nicht sagen könne, welchen Ort es mit welcher Regenmenge treffen werde.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte in der Sendung, man werde darüber nachzudenken haben, wie man Warnsysteme verbessern könne. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sieht schwere Versäumnisse beim Bevölkerungsschutz. „Die rechtzeitigen Warnungen der Meteorologen sind weder von den Behörden noch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinreichend an die Bürgerinnen und Bürger kommuniziert worden“, sagte er der dpa. „Es bietet sich das Bild eines erheblichen Systemversagens, für das der Bundesinnenminister Seehofer unmittelbar die persönliche Verantwortung trägt.“

Bisher 160 Tote

Insgesamt wurden in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und im seit Samstagabend ebenfalls vom Hochwasser betroffenen Oberbayern 160 Menschen getötet, Hunderte wurden verletzt. Bei der Suche nach Opfern erreichte die Polizei mittlerweile mehr als 700 Vermisste telefonisch. Damit sei eine Vielzahl der Vermisstenmeldungen, die bei der Polizei Köln eingegangen waren, aufgeklärt worden, teilte die Polizei am Sonntag mit.

Während im Westen Deutschlands kein weiterer großflächiger Regen erwartet wurde, gingen in Südostbayern, Österreich und in der Sächsischen Schweiz in der Nacht Unwetter nieder. So sorgten die Wassermassen im Berchtesgadener Land für überflutete Straßen und Erdrutsche. 890 Hilfskräfte waren in den besonders betroffenen Orten in Oberbayern im Einsatz. Der örtliche Einsatzleiter Anton Brandner sprach von dramatischen Szenen: „Fahrzeuge auf den Straßen wurden zum Spielball der Wassermassen.“

Ache trat über Ufer

Sintflutartige Regenfälle hatten am Samstagabend den Fluss Ache über die Ufer treten und Hänge abrutschen lassen. Der Landkreis rief den Katastrophenfall aus. Zwei Menschen starben. Ein Opfer sei an einer natürlichen Ursache verstorben, sagte Landrat Bernhard Kern (CSU) in der Früh. Aber auch das könne mit dem Unwetter zusammenhängen. Häuser mussten geräumt werden, weil sie vom Einsturz bedroht waren. 130 Menschen wurden in Sicherheit gebracht, darunter 80 aus einer Siedlung in Schönau am Königssee, sagte Kern.

Immense Regenfälle verursachten am Samstag auch in Teilen Sachsens heftige Überschwemmungen. In der Sächsischen Schweiz waren mehrere Ortslagen von Städten und Gemeinden nicht mehr erreichbar. Die Bahnstrecke zwischen Bad Schandau und dem tschechischen Decin wurde gesperrt. Betroffen sind auch Fernzüge zwischen Dresden und Prag. „Die Situation ist angespannt, aber beherrschbar“, erklärte das Lagezentrum des Innenministeriums in Dresden.

Schwere Unwetter in Bayern und Sachsen

Die starken Regenfälle hören nicht auf: Am Samstagabend trafen schwere Unwetter Teile Bayerns und Sachsens. Ein Landkreis in Bayern rief den Katastrophenfall aus.

Monatelange Behinderungen wegen kaputter Autobahnen

Nach der Unwetterkatastrophe müssen sich Autofahrer auf den Autobahnen 1 und 61 im Süden Nordrhein-Westfalens noch monatelang auf Beeinträchtigungen einstellen. Bei den Kommunen Erftstadt und Swisttal hatten die Wassermassen Teile der Fahrbahn weggerissen. Die Schadensbegutachtung laufe noch, erst danach könnten die Bauarbeiten beginnen, sagte ein Sprecher der Autobahngesellschaft des Bundes am Sonntag. Wie lange die Reparatur dauern werde, könne er nicht sagen. Sehr wahrscheinlich geht es aber um mehrere Monate.

Entwarnung bei Steinbachtalsperre

Der Pegel der seit Tagen vom Hochwasser bedrohten Steinbachtalsperre sank nach Angaben des Rhein-Sieg-Kreises auf einen „unkritischen Wasserstand“. Damit bestehe akut keine Gefahr mehr, dass die Staumauer brechen könnte, teilte der Kreis am Montag mit. „Somit können die Evakuierungsmaßnahmen für Swisttal und Rheinbach aufgehoben werden.“

Im ebenfalls von schweren Überschwemmungen heimgesuchten Osten Belgiens erhöhte sich die Zahl der Todesopfer auf mindestens 31. Von mehr als 100 weiteren Menschen war nach Angaben der Behörden der Verbleib am Samstagabend noch ungeklärt. Am Montag entspannte sich die Hochwasserlage etwas – Anlass zur Hoffnung geben die Wetteraussichten.