Feuerwehrleute rudern auf einem Boot zu Autos auf einer überschwemmten Autobahn
Reuters/Thilo Schmuelgen
Flutkatastrophe

Deutschland sucht nach Erklärungen

Nach den extremen Unwettern im Südwesten Deutschlands in der vergangenen Woche stabilisiert sich die Lage in den Hochwassergebieten langsam. Fahrt nimmt dagegen die Debatte über Katastrophen- und Klimaschutz auf, beziehungsweise darüber, ob Warnungen nicht hinreichend erfolgt oder beachtet worden seien.

Vorwürfe, wonach die Menschen in den betroffenen Hochwassergebieten vor allem in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zu spät von der Gefahr in Kenntnis gesetzt worden seien, wies die deutsche Regierung am Montag zurück – eine Sprecherin betonte die gemischte Zuständigkeit von Bund, Ländern und Gemeinden bei der Katastrophenhilfe. „Mir sagt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, dass die Meldewege funktioniert haben“, meinte zudem Innenminister Horst Seehofer (CSU) bei einem Besuch in den Flutgebieten.

„Die Warninfrastruktur ist nicht unser Problem gewesen, sondern die Frage, wie sensibel reagieren Behörden, aber auch die Bevölkerung“, sagte dazu der Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Das hänge auch damit zusammen, dass es Katastrophenlagen dieses Ausmaßes bisher nicht gegeben habe, sagte Schuster weiter. Die gesamte Warninfrastruktur selbst dagegen habe „vollständig funktioniert“, hob er hervor. Das gelte für die Alarmketten, und auch die Vorhersagen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) seien „ziemlich gut“ gewesen. Zwischen Mittwoch und Samstag seien rund 150 Warnmeldungen abgesetzt worden.

Über 150 Tote nach Flut in Deutschland

Im deutschen Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen sind nach den Überflutungen über 150 Todesopfer zu beklagen. Viele Menschen wurden noch nicht geborgen. In Belgien werden nach dem Starkregen noch mehr als 100 Menschen vermisst, 30 Todesopfer sind bestätigt.

Diese Warnungen hätten auch vielen Menschen das Leben gerettet und dazu beigetragen, das Schadensausmaß zu verringern, wandte sich Schuster gegen Vorwürfe, wonach viele Betroffene nicht rechtzeitig gewarnt worden seien. Als effektiv hätten sich dabei auch Warnungen per Lautsprecherwagen erwiesen. Schuster kündigte gleichwohl eine kritische Analyse der Abläufe in der vergangenen Woche an. Derzeit sei dafür aber noch nicht der richtige Zeitpunkt, man sei in der Phase „Retten, Bergen, Obdach-Bieten et cetera. Ich habe meinen Mitarbeitern sogar quasi untersagt, Manöverkritik zu machen. Wir helfen jetzt.“

„Gute alte Sirenen“ statt Apps

Als Fehler bezeichnete der Behördenchef die zunehmende Fokussierung auf digitale Warn-Apps. Man habe erkannt, „dass das nicht der richtige Weg ist, weil wir da nicht genügend Redundanz haben in unseren Systemen“. Deswegen wolle er „die guten alten Sirenen zurückhaben“. Ein Problem sei etwa, dass Menschen Warnungen per App nachts oft nicht wahrnehmen würden – anders als den Heulton einer Sirene.

Menschen zwischen Trümmern während Aufräumarbeiten in Bad Münstereifel
Reuters/Wolfgang Rattay
Die zermürbenden Aufräumarbeiten in Deutschland sind angelaufen

Das Problem: Ein Gutteil der Sirenen in Deutschland wurde nach Ende des Kalten Krieges abgebaut. Der BKK-Chef verwies auf ein im Frühjahr angelaufenes 90-Millionen-Euro-Programm, um deren Zahl in Zusammenarbeit mit den eigentlich für den Katastrophenschutz zuständigen Ländern wieder zu erhöhen. Der Wiederaufbau werde aber Jahre dauern.

Satellitenbilder der Überschwemmungsgebiete vom 15. und 18. Juli im Vergleich

Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, sprach sich am Montag dafür aus, dass der Bund eine größere koordinierende Rolle bei überregionalen Katastrophen wie Fluten und Waldbränden bekommt. „Der zweite Punkt ist, dass wir Klimaanpassungsmaßnahmen brauchen“, sagte sie im ARD-„Morgenmagazin“.

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Zerstörte Brücke der Bahnstrecke bei Walporzheim
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Eine Brücke einer Bahnstrecke in Rheinland-Pfalz ist zerstört
Aufräumarbeiten bei einer zerstörten Brücke der Bahnstrecke bei Walporzheim
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Mittlerweile haben in dem Unwettergebiet die Aufräumarbeiten begonnen
Panzer der Bundeswehr zieht einem Wagen aus der Flut
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Im besonders schwer betroffenen Erfstadt zieht die Bundeswehr weiterhin Autos aus dem Wasser
Zerstörte Häuser im Ahrtal im Ortsteil Walporzheim
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Eines von vielen vollständig zerstörten Häusern im Ahrtal, Rheinland-Pfalz
Zerstörtes Möbiliar liegt auf einem Feld außerhalb des Ortsteils Arloff
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Zerstörtes Mobiliar und Eltektrogeräte sind vorübergehend auf einem Feld außerhalb von Bad Münstereifel (Nordrhein-Westfalen) gelagert.
Erdrutsch nach Überschwemmungen im Rhein-Erft-Kreis
APA/AFP
Riesiger Erdrutsch nach Überschwemmungen in Erftstadt-Blessem im Rhein-Erft-Kreis
Eine Frau steht an einem Hauseingang an einer überfluteten Straße
Reuters/Thilo Schmuelgen
Überflutete Straße: Eine Frau kann ihr Haus in der besonders schwer getroffenen Stadt Erfstadt nicht mehr verlassen
Soldaten der Bundeswehr bergen mit einem Pionierpanzer Dachs ein zerstörtes Auto bei den Aufräumarbeiten der schweren Unwetterschäden im Ortsteil Hohenlimburg
APA/dpa/Julian Stratenschulte
Riesiger Erdrutsch nach Überschwemmungen in Erftstadt-Blessem im Rhein-Erft-Kreis
Campinganhänger, Trümmerteile und Müll stauen sich in der Ahr vor der Burg Kreuzberg
APA/dpa/Lino Mirgeler
Campinganhänger und Trümmerteile stauen sich in der Ahr vor der Burg Kreuzberg
Baukran bei den Aufräumarbeiten in Bad Neuenahr-Ahrweiler
Reuters/Wolfgang Rattay
Baukran bei den Aufräumarbeiten in Bad Neuenahr-Ahrweiler

„Dreiklang“ bei Klimaanpassung

Im „Spiegel“ sagte Baerbock: „Hilfe funktioniert nur, wenn alles ineinandergreift. Dafür braucht es eine Instanz, die alle Kräfte bündelt, die schnellstmöglich aus ganz Deutschland oder EU-Nachbarstaaten Hubschrauber oder Spezialgeräte zusammenzieht.“ Sie sprach von einer schnelleren Koordinierung der verschiedenen Ebenen und Akteure. Das gelte insbesondere für Ereignisse, die mehrere Bundesländer betreffen oder nicht mehr durch die regionalen Einsatzkräfte bewältigt werden könnten.

Insgesamt forderte Baerbock als Lehre aus den jüngsten Überschwemmungen eine „dreifache nationale Kraftanstrengung“: Neben besserer Risikovorsorge müssten mehr „Klimaanpassungsmaßnahmen“ getroffen werden, verlangte sie in der ARD. Dazu gehöre etwa, Städte umzubauen und Flüssen „mehr Raum“ zu geben. „Das ist kein Entweder-Oder zwischen Klimavorsorge, Klimaanpassung und Klimaschutz, sondern ein Dreiklang, der eigentlich in den ganzen Klimaschutzverträgen weltweit auch genauso beschlossen ist.“

Ein Mann geht mit einer Scheibtruhe in Dernau an einem Haus mit zerstörter Fassade vorbei
APA/AFP/Christof Stache
Die politische Aufarbeitung der Katastrophe fällt mitten in den deutschen Wahlkampf

Politische Schuldzuweisungen

FDP-Bundestagsfraktionsvize Michael Theurer übte indessen schwere Kritik am Bevölkerungsschutz. „Die rechtzeitigen Warnungen der Meteorologen sind weder von den Behörden noch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinreichend an die Bürgerinnen und Bürger kommuniziert worden“, sagte er der dpa. „Es bietet sich das Bild eines erheblichen Systemversagens, für das der Bundesinnenminister Seehofer unmittelbar die persönliche Verantwortung trägt.“ Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) forderte am Sonntag im „Bild live“-Politiktalk Aufklärung, ob der Katastrophenschutz ausreichend funktioniert habe. Es gehe nicht um Schuldzuweisungen.

Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte für Mittwoch eine Regierungserklärung an. Dabei werde es nicht nur darum gehen, Ziele zu definieren, sondern das auch finanziell mit einem Klimaprogramm zu hinterlegen. Klimaschutz sei keine ideologische Frage, sondern eine Frage der Vernunft und der Ethik. Es gehe darum, die Heimat stärker zu schützen und zu überlegen, welche Welt man Kindern und Kindeskindern übergeben wolle.

Überschwemmungsgebiet um den Ort Blessem

Aufatmen nach der Katastrophe

Nachdem die Zahl der Todesopfer am Wochenende auf fast 160 gestiegen ist, hat sich die Lage in den Hochwassergebieten Deutschlands nun deutlich entspannt. In Passau (Bayern) lag der Pegelstand der Donau Montagfrüh bei 8,18 Metern und damit unterhalb der höchsten Hochwasserwarnstufe von 8,50 Metern. Auch der Inn bereitet derzeit keine Sorgen. Einzelne Bereiche von Passau wurden zwar überschwemmt. Von katastrophalen Zuständen sei man aber zum Glück entfernt, sagte ein Polizeisprecher in der Früh. Die Feuerwehr rechnet damit, dass am Abend oder spätestens am Dienstag die Aufräumarbeiten beginnen können.

Auch im besonders stark von Unwettern getroffenen Berchtesgadener Land konnten die Menschen aufatmen. „Die Nacht verlief ruhig“, hieß es bei der Feuerwehr. Die Helfer seien mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Anlass zur Hoffnung geben auch die Wetteraussichten. Bis auf einzelne kurze Schauer soll es in den kommenden Tagen trocken bleiben. Unwetter seien derzeit nicht in Sicht, sagte ein Meteorologe des Deutschen Wetterdienstes.

Mobilfunk teils noch unterbrochen

Das Mobilfunknetz in den betroffenen Gebieten ist teils noch immer lückenhaft. Der größte deutsche Anbieter Vodafone erklärte am Montag, dass noch ein Sechstel der Funkstationen vom Netz abgeschnitten sei. Viele Standorte seien vom Hochwasser stark beschädigt oder völlig zerstört worden. Vodafone äußerte sich hoffnungsvoll, dass eine Grundversorgung im gesamten Katastrophengebiet noch in der laufenden Woche wiederhergestellt werden könne. Um auch die noch immer vom Mobilfunknetz abgeschnittenen Kunden zu erreichen, würden derzeit mobile Basistationen auf Spezialtransportern in das Krisengebiet gebracht.