CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet
Reuters/Marius Becker
Von Baerbock bis Laschet

Deutschland-Wahl und die Moralfrage

Im Ringen um das deutsche Kanzleramt scheint die Debatte über politische Moral zuletzt zentral. Nach der Aufregung über die Plagiatsvorwürfe gegen die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock steht nun Unionskandidat Armin Laschet wegen eines deplatzierten Lachers im Kreuzfeuer. Inhalte rücken in dem von anhaltender Empörung gezeichneten Wahlkampf beinahe in den Hintergrund.

Am vergangenen Wochenende spielten sich im Hochwassergebiet wohl skurril anmutende Szenen ab: Laschet, Unionsspitzenkandidat und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, reiste in das von den Fluten besonders betroffene Erftstadt. Während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Betroffenen in einer Rede an Ort und Stelle sein Mitgefühl ausdrückte, war im Hintergrund der lachende Laschet zu sehen.

Die Empörung darüber folgte umgehend, auch ein klingender Hashtag war mit „#Laschetlacht“ schnell gefunden. „Wer ohne Gespür in solch schwierigen Situationen herumfeixt, der disqualifiziert sich selbst“, sagte etwa SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil zur „Bild“. Laschet entschuldigte sich und äußerte sein Bedauern über „diese wenigen Sekunden“.

Viel Kritik an Laschet-Lacher

In den Medien wurde prompt darüber spekuliert, ob der Lacher Laschet das Amt kosten könnte. Denn angesichts einer Katastrophe jenes Ausmaßes müsse ein Kanzleramtsanwärter besonderes Fingerspitzengefühl haben, so der Tenor. Auch Vergleiche mit Noch-Kanzlerin Angela Merkel, die am Wochenende sichtlich bedrückt und Hand in Hand mit der an Multipler Sklerose leidenden rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) durch das Katastrophengebiet ging, wurden gezogen. Laschet schnitt dabei nicht gut ab.

„Der CDU-Kanzlerkandidat weckt Misstrauen in seine Fähigkeiten. Das hat er selbst verschuldet. Merkel wäre das nicht passiert“, schreibt „Tagesspiegel“-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff in einem Kommentar. „Die Situation wird ihn im Wahlkampf begleiten, und darüber darf er sich nicht wundern“, kommentiert der „Süddeutsche“-Journalist Jens Schneider. Der „Zeit“-Autor Dirk Peitz fragt: „Doch wird irgendjemand wegen dieser Laschet-Bilder im September nicht CDU oder CSU wählen?“ Und gibt sich selbst die Antwort: „Man sollte jedenfalls vorsichtig sein, die Macht von Bildern zu überschätzen.“

„Junge Frau“: Empörung über einen Sager, der keiner war

Eine schiefe Optik erzeugte einige Tage zuvor auch ein Interview mit dem Unionskanzlerkandidaten. Darin soll er die erfahrene WDR-Journalistin Susanne Wieseler als „junge Frau“ bezeichnet haben – zumindest wollen das viele Nutzerinnen und Nutzer so gehört haben. Der CDU-Chef wies das zurück, ebenso Wieseler.

Am Freitag kommentierte Wieseler die Deutung des „Spiegel“-Journalisten Markus Feldenkirchen, dass Laschet einfach nur rheinisch gesprochen und ihren Namen vielleicht wegen der „guten, scharfen Interviewführung“ vergessen habe, mit: „Sehe ich auch so – und hoffe, dass es diesen kausalen Zusammenhang gibt.“ Viele empörte Twitter-Nutzerinnen und -Nutzer erreichte die Klarstellung auch Tage später nicht – das falsche Zitat kursiert nach wie vor.

Union im Umfragehoch

Für den Unionskanzlerkandidaten kommt all das zur Unzeit. Laschet und die Union konnten sich in den letzten Wochen in den Umfragen erholen. Die Partei, aber auch Laschet selbst setzten sich deutlich von der Grünen Kandidatin Annalena Baerbock ab. Im ZDF-„Politbarometer“ vom Freitag und damit einen Tag vor der Aufregung über Laschets Lacher lagen CDU und CSU weiter deutlich vor den Grünen.

Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, würden CDU und CSU laut der Umfrage im Vergleich zur vorherigen Befragung Ende Juni um einen Punkt auf 30 Prozent zulegen. Die Grünen müssten demnach zwei Punkte abgeben und könnten mit 20 Prozent rechnen. Die SPD würde sich um einen Punkt auf 15 Prozent verbessern. Die AfD liegt weiterhin bei zehn Prozent, die FDP kommt unverändert auf ebenfalls zehn Prozent. Die Linkspartei erreicht wie in der vorherigen Umfrage sieben Prozent.

Grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock
Reuters/Annegret Hilse
Die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock stürzte in Umfragen ab

Baerbock auf Rekordtief gefallen

Bei der Frage, wen die Befragten am liebsten als Kanzler oder Kanzlerin hätten, liegt Unionskandidat Laschet mit 37 Prozent erneut vor seinem SPD-Kontrahenten Scholz, den 28 Prozent bevorzugen würden. Grünen-Kandidatin Baerbock wünschen sich nur 18 Prozent als Kanzlerin. Ob Laschet nach den jüngsten Fehltritten in den Umfragen ähnlich abstürzt wie Baerbock, der angesichts falscher Angaben in ihrem Lebenslauf und der Plagiatsvorwürfe mangelnde Glaubwürdigkeit attestiert wird, bleibt abzuwarten.

Die jüngsten Umfragen sind insbesondere für die grüne Hoffnungsträgerin wenig schmeichelhaft: Mehr als ein Drittel der Deutschen ist dafür, dass Baerbock mitten im Wahlkampf von ihrem Koparteivorsitzenden Robert Habeck abgelöst wird. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der dpa sprachen sich 35 Prozent dafür aus. Nur 24 Prozent meinten, Baerbock solle Kanzlerkandidatin bleiben. 41 Prozent machten keine Angaben.

Grüne glauben weiter an Baerbock

Bei den Anhängern der Grünen überwiegen weiterhin die Sympathien für Baerbock. Hier liegt sie in der YouGov-Umfrage mit 54 zu 32 Prozent vor Habeck. Auch die Wähler der Linken wünschen sich eher, dass Baerbock als Kanzlerkandidatin weitermacht (36 zu 33 Prozent). Bei allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien überwiegt der Wunsch nach einem Kandidatenwechsel.

Konkret steht Baerbock in der Kritik, weil sich in ihrem Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ auffallende sprachliche Ähnlichkeiten zu anderen Veröffentlichungen finden. Zudem hatte sie Sonderzahlungen der Partei verspätet an den Bundestag gemeldet. Auch mussten Partei und Kandidatin Angaben in Baerbocks Lebenslauf korrigieren. Habeck, der lange selbst als Kanzlerkandidat gehandelt worden war, hat die Diskussion um eine Ablösung Baerbocks in der „Süddeutschen Zeitung“ allerdings als „Kokolores“ bezeichnet.

Gerhard Schroeder, 2002
APA/dpa/Waltraud Grubitzsch
Ex-Kanzler Gerhard Schröder 2002

Klimaschutz als zentrales Thema

Baerbock könnte nun wieder einige Prozentpunkte gutmachen: Profitieren könnte sie einerseits von Laschets Fehltritt und andererseits auch von der Tatsache, dass in dem beinahe inhaltsleeren Wahlkampf ein großes Kernthema hervorsticht – der Klimaschutz. Noch einmal mehr Bedeutung bekam die Thematik freilich auch angesichts der verheerenden Unwetterkatastrophe. Selten rückten die Folgen der Klimakrise so sehr ins deutsche Bewusstsein.

Für viele Kommentatorinnen und Kommentatoren wurden indes Erinnerungen an das Hochwasser von 2002 und dessen Folgen für die Bundestagswahl wach: So wird der Gummistiefelauftritt von Kanzler Gerhard Schröder im Elbehochwasser 2002 mitverantwortlich dafür gemacht, dass er bei der Wahl an Unionsherausforderer Edmund Stoiber vorbeiziehen konnte. Kanzlerin Merkel besuchte – begleitet von Laschet – die Katastrophengebiete am Dienstag noch einmal, um unbürokratische Soforthilfe zuzusagen.

Der Pannen-Faktor

Doch kann die Hochwasserkatastrophe tatsächlich einen nachhaltigen Einfluss auf die Wahl haben? Und wie schwer wiegt der Lacher von Laschet wirklich? „Ich denke schon, dass dies Auswirkungen haben kann, denn nun stellt sich die Frage nach der Eignung als Kanzler – was die SPD auch sehr schnell erkannt und instrumentalisiert hat“, sagte der Politologe Oskar Niedermayer von der FU Berlin gegenüber Reuters. Er glaubt, dass sich weder Merkel noch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz so verhalten hätten. „Wahlen werden auch durch Pleiten, Pech und Pannen entschieden“, so der Politologe Gero Neugebauer. „Und das war eine Mischung aus Pech und Panne für Laschet.“

Darüber, ob der Effekt bis zum Wahltag am 26. September trägt, sind sich die Fachleute uneins. Niedermayer sowie Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen sind der Ansicht, dass die Grünen den Laschet-Fauxpas aussitzen könnten und davon profitierten, dass der Klimawandel nun Thema ist. Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, sieht das anders. „Die Grünen haben den strategischen Nachteil, dass sie als Oppositionspartei derzeit nichts machen können.“

Güllner wie Jung betonten tags vor Laschets Lapsus zudem, dass der zeitliche Abstand zur Wahl relativ groß sei. „Wir beobachten schon lange eine sehr hohe Volatilität, das heißt, die Stimmungen für die einzelnen Parteien schwanken stark und können sich sehr schnell verändern, weil wir relativ wenig feste Bindung an einzelne Parteien haben“, sagte Jung. „Der große Teil der Bevölkerung ist auch von den drei Spitzenkandidaten nicht unbedingt so übermäßig begeistert, dass da feste Potenziale hinter den Spitzenkandidaten stünden.“ Nach Ansicht der Experten könnten bis September noch ganz andere Aufregerthemen hochkommen, die die Panne wieder überlagerten.