Silhouette eines Mannes mit einem Smartphone
Getty Images/EyeEm/Tsvi Braverman
Pegasus-Spionageaffäre

Rufe nach Aufklärung

Nach Berichten über den weltweiten Einsatz einer Ausspähsoftware gegen Presseleute, Aktivistinnen und Aktivisten und Oppositionelle werden die Rufe nach Aufklärung lauter. „Wenn es stimmt, dann ist es komplett inakzeptabel“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag. Europaministerin Karoline Edtstadtler (ÖVP) nannte die Spionageangriffe „zutiefst besorgniserregend“.

Hunderte Presseleute, Aktivistinnen und Aktivisten sowie Oppositionsmitglieder sind laut einer internationalen Recherchegruppe, an der unter anderen die deutschen Zeitungen „Zeit“ und „Süddeutsche“ sowie der britische „Guardian“ und die „Washington Post“ beteiligt waren, weltweit Opfer staatlicher Spähangriffe geworden. Dazu sollen Geheimdienste und Polizeibehörden Pegasus, ein Überwachungsprogramm der israelischen Firma NSO, missbräuchlich verwendet haben.

Die beteiligten Medien unter Führung der in Paris ansässigen Organisation Forbidden Stories konnte eigenen Angaben zufolge ein Datenleak mit mehr als 50.000 Telefonnummern auswerten, die mutmaßlich seit 2016 zum Ziel möglicher Überwachungen durch Kunden des israelischen Unternehmens NSO Group wurden.

Leistungsstärkstes Spionageprogramm der Welt

Das von der Firma entwickelte Programm namens Pegasus gilt dem Bericht zufolge unter Fachleuten als das derzeit leistungsfähigste Spähprogramm für Handys und wurde als Cyberwaffe eingestuft. Spionageangriffe auf „unbescholtene und gesetzestreue Personen“ mit Hilfe von Pegasus verstoßen laut „Zeit“ gegen die Ethikrichtlinien von NSO.

Archivaufnahme des Firmensitzes der NSO Group „Pegasus“, in Herzliya, in der Nähe von Tel Aviv
APA/AFP/Jack Guez
NSO betonte, über keinen „Zugang zu den Daten der Zielpersonen seiner Kunden“ zu verfügen

Die israelische Firma erklärte gegenüber dem Recherchekollektiv, über keinen „Zugang zu den Daten der Zielpersonen seiner Kunden“ zu verfügen. Die Erfassung der Nummern könne „viele legitime und vollständig saubere Anwendungsmöglichkeiten haben, die nichts mit Überwachung oder NSO“ zu tun hätten.

Von der Leyen fordert Überprüfung der Vorwürfe

EU-Kommissionschefin von der Leyen forderte die Überprüfung der Enthüllungen. „Eine freie Presse ist einer der Grundpfeiler der Europäischen Union“, sagte sie. Die stellvertretende Sprecherin der deutschen Regierung, Martina Fietz, betonte: „Eine freie Presse und ein freier Rundfunk“ seien „von besonderer Bedeutung für das Funktionieren eines demokratischen Staates und einer demokratischen Gesellschaft“. Die französische Regierung zeigte sich „extrem schockiert“. Regierungssprecher Gabriel Attal kündigte – nicht näher detaillierte – Untersuchungen an. „Wir hängen sehr an der Pressefreiheit“, fügte er hinzu.

Europaministerin Edtstadler nannte die Spionageaffäre „zutiefst besorgniserregend“. In diesem konkreten Fall gebe es zum jetzigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte dafür, dass auch österreichische Journalistinnen und Journalisten betroffen seien, sagte Edtstadler der APA. Allerdings reihe sich dieser Vorfall in eine Entwicklung ein, „die wir auch in Österreich mit Sorge beobachten. Immer wieder wird private Kommunikation teilweise illegal und unter Inkaufnahme der Verletzung von Grundrechten wie Privatsphäre oder Datenschutz ausspioniert und an die Öffentlichkeit gespielt“, so Edtstadler weiter.

„Das Vorgehen gegen JournalistInnen und AktivistInnen von NGOs ist Menschen- und Demokratieverachtung im höchsten Maße“, sagte die Präsidentin von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich, Rubina Möhring. Nach den bitteren Erfahrungen des 20. Jahrhunderts sollten Gesellschaften und Regierungen gegen autoritäre und heimtückische Angriffe gefeit sein. „Der Missbrauch technischer Entwicklungen für Spionagezwecke stellt einen Rückfall in finstere gesellschaftspolitische Zeiten dar“, so Möhring.

180 Presseleute auf Liste

Nach Angaben des Recherchekollektivs befanden sich die Nummern von weltweit 180 Presseleuten auf der ans Licht gekommenen Liste. Darunter sind laut „Guardian“ auch Beschäftigte der Nachrichtenagenturen AFP, Reuters und AP, der Zeitungen „New York Times“, „Le Monde“, „El Pais“ und der Sender Al Jazeera, Radio Free Europe und CNN.

Zu den Betroffenen zählt laut den Recherchen auch Hatice Cengiz, die Verlobte des ermordeten saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi. Ihr Handy sei vier Tage nach dem Mord an Khashoggi mit der Schadsoftware Pegasus angegriffen worden. Wie die „Washington Post“ berichtete, standen auf der Liste weiters die Nummern von Staatsoberhäuptern und Ministerpräsidenten, Mitgliedern arabischer Königsfamilien, diplomatischem Personal und Geschäftsleuten.

Software auch in Ungarn eingesetzt

Zum Einsatz kam die Software laut dem Recherchekollektiv auch im EU-Land Ungarn. Mindestens zehn Anwälte, fünf Journalisten und ein regierungskritischer Milliardär samt seinem Umfeld sollen von dem Spähangriff betroffen sein, berichtete das Recherchekollektiv. Die ungarische Opposition initiierte die Einberufung des Parlamentsausschusses für Nationale Sicherheit und verlangte Aufklärung. Der Vorstand des Ungarischen Journalistenverbandes (MUOSZ) forderte die ungarischen Behörden auf, ihre Rolle bei der Nutzung der Spähsoftware zu klären.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban
Reuters/Bernadett Szabo
Die ungarische Opposition verlangt Aufklärung von Regierungschef Orban

Ob staatliche Stellen hinter den Attacken stehen, ist unklar. Die Regierung des rechtskonservativen Premierministers Viktor Orban dementierte die Vorwürfe gegenüber der „Zeit“ zunächst nicht, teilte aber mit, sich an Recht und Gesetz gehalten zu haben. Ungarns Außenminister Peter Szijjarto wies die Vorwürfe zurück. Der Direktor des Geheimdienstes IH habe auf Anfrage bestritten, dass der Dienst die Software einsetze, sagte Szijjarto. IH ist einer der fünf ungarischen Geheimdienste. Ob möglicherweise eine andere Behörde Menschen über Pegasus überwacht haben könnte, wollte Szijjarto nicht sagen.

Facebook-Klage gegen NSO

NSO wurde bereits in der Vergangenheit vorgeworfen, mit Pegasus autoritären Regierungen die Ausspähung von Presseleuten und Dissidentinnen und Dissidenten ermöglicht zu haben. Facebook hatte NSO 2019 in den USA verklagt. Der Vorwurf in der Klage lautet, NSO habe versucht, sich über eine später geschlossene Sicherheitslücke bei WhatsApp Zugriff auf Hunderte Smartphones zu verschaffen. NSO wehrte sich vor Gericht. Die Firma betont, dass Verträge mit Kunden wegen des Verdachts von Menschenrechtsverletzungen gekündigt worden seien.