Ein Warnschild der türkischen Armee vor dem eingezäunten Areal von Varosha (Nordzypern)
APA/AFP/Christina Assi
Zypern-Konflikt

Geisterstadt als Erdogans Geheimwaffe

46 Jahre war es ruhig um die einst mondäne Küstensiedlung Varosha in Nordzypern. Wenig Wunder, war sie doch seit der türkischen Invasion 1974 militärisches Sperrgebiet. Im vergangenen Herbst verkündete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan überraschend die Belebung der Geisterstadt – eine Provokation, die er mit seinem dortigen Besuch am Dienstag noch einmal anheizte.

Zypern ist seit 1974 nach einem griechischen Putsch und einer türkischen Militärintervention geteilt. Im Norden befindet sich die nur von der Türkei anerkannte „Türkische Republik Nordzypern“ („TRNZ“), die Republik Zypern im Süden ist seit 2004 EU-Mitglied. Eine von der UNO kontrollierte Pufferzone, in der der Status quo von vor der Invasion gewahrt bleiben soll, trennt die beiden Inselteile.

Famagusta im Osten der Insel gilt als Sinnbild der Teilung. Als die türkischen Panzer im August 1974 auf die Stadt vorrückten, mussten rund 40.000 Bewohnerinnen und Bewohner des griechisch-zypriotischen Stadtteils Varosha ihre Häuser verlassen. Um Varosha wurde ein Stacheldraht errichtet, der Zutritt für alle verboten.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und der der türkisch-zypriotische politische Führer Ersin Tatar während einer Militärparade im Nordteil von Nikosia (Zypern)
APA/AFP/Iakovos Hatzistavrou
Erdogan und Nordzyperns Präsident Ersin Tatar wollen eine „neue Ära“ für Varosha einläuten

Schrittweise Öffnung

Vergessen war das Gelände trotzdem nie – bei den Gesprächen um eine Wiedervereinigung spielte der Stadtteil Varosha immer eine Rolle. Man hoffte, Vertrauen aufbauen zu können, wenn man ihn an die früheren griechisch-zypriotischen Bewohner zurückgeben würde. Ein Plan, den Erdogan bei einem „Picknick“ im vergangenen Herbst durchkreuzte. Es sei klar, wer die „wahren Besitzer“ Varoshas seien, sagte Erdogan in einer gemeinsamen Erklärung mit Nordzyperns Präsident Ersin Tatar damals – ein Teil des Strandes wurde von diesem Tag an wieder freigegeben.

Nikosia vermutete schon damals, dass Ankara und der als Hardliner geltende Tatar stufenweise nach dem Strand auch andere Stadtteile Famagustas öffnen und dann zu Besiedlung freigeben würden – entgegen der Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats.

Demonstranten in Varosha (Nordzypern) mit zypriotischen und griechischen Fahnen
AP/Petros Karadjias
Bei den griechisch-zypriotischen Einwohnerinnen und Einwohnern ist Erdogan nicht gern gesehen

Weitere Provokation

Eine Befürchtung, die sich nun bewahrheitete: In einer „zweiten Phase“ werde ein Gebiet, das einer Fläche von 3,5 Prozent des Stadtteils entspreche, zugänglich gemacht und das militärische Sperrgebiet aufgehoben, kündigte Tatar am Dienstag an. Anspruchsberechtigte mit Besitz in der Region könnten dessen Rückgabe beantragen, sagte er.

Der Schritt gilt als weitere Provokation gegenüber griechischen Zyprern: Stellen sie tatsächlich einen Antrag, ihren Besitz zurückzuerhalten oder entschädigt zu werden, erkennen sie de facto die „Türkische Republik Nordzypern“ rechtlich an. Und wer nach Famagusta zurückziehen wolle, müsse unter türkisch-zypriotischer Verwaltung leben – für die meisten eine Wahl zwischen Pest und Cholera.

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Erdogan, der am Dienstag an einer Veranstaltung zur Teilung der Insel vor 47 Jahren teilnahm, sprach dagegen von einer „neuen Ära“ für Varosha. Das Leben werde dort aufblühen und ein „Symbol“ nicht der Unlösbarkeit, sondern der „friedlichen und wohlhabenden Zukunft der Insel Zypern“.

Zyperns Präsident Nikos Anastasiades zeigte sich empört und kündigte Reaktionen an. Am Mittwoch bezeichnete er den Schritt am Mittwoch als „illegal und inakzeptabel“. Kritik kam auch aus Griechenland. „Die Türkei muss ihr provokatives und widerrechtliches Verhalten unverzüglich einstellen und das Völkerrecht einhalten“, sagte Außenminister Nikos Dendias.

„Inakzeptabel“

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach am Dienstag in einer Erklärung zudem von einer „inakzeptablen einseitigen Entscheidung zur Änderung des Status von Varosha“ und kündigte an, dass die EU nach Beratungen des UNO-Sicherheitsrats am Mittwoch über das weitere Vorgehen entscheiden werde.

Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian warf Erdogan eine „Provokation“ vor. Auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) verurteilte die Öffnung. Am Mittwoch schrieb er auf Twitter: „Wir fordern die Türkei auf, diese Provokationen und einseitigen Aktionen unverzüglich einzustellen und das Völkerrecht zu respektieren.“ Und: Österreich unterstütze seinen EU-Partner Zypern „bei der Suche nach einer umfassenden Regelung im Einklang mit den UNO-Resolutionen des Sicherheitsrats“, so der Außenminister.

Militärparade im nördlichen Teil der zypriotischen Hauptstadt Nikosia
APA/AFP/Iakovos Hatzistavrou
Mit einer Militärparade in Nikosia wurde an die Teilung der Insel vor 47 Jahren erinnert

USA verurteilen Öffnung

Auch die USA verurteilten die Öffnung der Küstensiedlung Varosha als inakzeptabel. Dieser Schritt sei eindeutig unvereinbar mit Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats, hieß es am Dienstagabend (Ortszeit) in einer Mitteilung des US-Außenministers Antony Blinken. „Die Vereinigten Staaten betrachten das Vorgehen der türkischen Zyprioten in Varosha mit Unterstützung der Türkei als provokativ, inakzeptabel und unvereinbar mit ihren früheren Verpflichtungen, sich konstruktiv an Gesprächen zur Beilegung des Konflikts zu beteiligen.“

„Wir fordern die türkischen Zyprioten und die Türkei auf, ihre heute verkündete Entscheidung und alle seit Oktober 2020 unternommenen Schritte rückgängig zu machen“, so das US-Außenministerium weiter. Die USA wollten im UNO-Sicherheitsrat auf eine starke Reaktion drängen. Provokative einseitige Aktionen, welche die Spannungen auf der Insel erhöhten und die Bemühungen um eine Wiederaufnahme der Gespräche zur Beilegung des Zypernkonflikts behinderten, sollten vermieden werden.

Erdogan beharrt auf Zweistaatenlösung

Die Vereinten Nationen bemühen sich seit Jahrzehnten erfolglos um eine Lösung des Zypern-Konflikts. Ziel der UNO ist, eine Föderation zweier politisch gleichberechtigter Bundesländer zu bilden – ein griechisch-zypriotisches im Süden und ein türkisch-zypriotisches im Norden. Ankara und Tatar fordern hingegen die Bildung von zwei Staaten. Das lehnt die EU strikt ab. Man werde „nie eine Zweistaatenlösung für das geteilte Zypern akzeptieren“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem Besuch auf Zypern Anfang Juli.

Doch Erdogan rückt von seiner Position nicht ab, wie er am Dienstag erneut bekräftigte: Die Wiederaufnahme eines Verhandlungsprozesses könne nur „zwischen zwei Staaten“ erfolgen. „Ohne die Anerkennung der Tatsache, dass es zwei Völker und zwei Staaten gibt, können keine Fortschritte erzielt werden“, sagte Erdogan. Den griechischen Zyprern warf er vor, auf eine „maximalistische“ und „unaufrichtige“ Position zu bestehen, die „von der Realität losgelöst“ sei. „Sie sind nicht ehrlich.“ Denselben Vorwurf erhob er auch gegen die EU.