Demonstrantin mit Regenbogenfahne
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LGBTQ-Gesetz

Orban lässt Referendum abhalten

Ungarns rechtskonservativer Premier Viktor Orban hat ein Referendum über das umstrittene LGBTQ-Gesetz in seinem Land angekündigt. In einem auf seiner Facebook-Seite veröffentlichten Video rief Orban die Bevölkerung am Mittwoch auf, das von der EU scharf kritisierte Gesetz zu unterstützen.

Orban zählte fünf Fragen für das Referendum auf: ob die Ungarinnen und Ungarn dafür seien, dass Minderjährige ohne Zustimmung der Eltern sexuell aufgeklärt werden, ob bei Kindern für Geschlechtsumwandlungen geworben werden dürfe, sowie ob bei Kindern Geschlechtsumwandlungen durchgeführt werden dürfen. Ferner soll gefragt werden, ob Kindern Medienberichte zugänglich sein sollen, die ihre sexuelle Entwicklung beeinflussen können sowie Medienberichte über Geschlechtsumwandlungen.

Orban forderte die Bürgerinnen und Bürger zu einem „gemeinsamen Nein“ auf diese fünf Fragen auf. Als Vorbild nannte er das Referendum von 2016, das sich gegen die Aufnahme von Geflüchteten richtete. Damals „wollte Brüssel uns Einwanderer aufzwingen“, sagte Orban. "Damals ist es uns gelungen, es zu stoppen, gemeinsam wird es auch diesmal gelingen. Allerdings war das Referendum vom 2016 wegen mangelnder Beteiligung ungültig. Wenige Stunden vor Orbans Ankündigung hatte die Regierung das bisher wegen der Coronavirus-Pandemie geltende Referendumsverbot aufgehoben.

Viktor Orban
Reuters/John Thys
Orban fordert die Ungarn und Ungarinnen zu einem „gemeinsamen Nein“ im Referendum auf

Umstrittenes LGBTQ-Gesetz seit Juli in Kraft

Die englische Abkürzung LGBTQ steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender und queer. Angehörige dieser sexuellen Minderheiten werden aus Sicht von Kritikern und Kritikerinnen in Ungarn stark diskriminiert. Das umstrittene LGBTQ-Gesetz trat Anfang Juli in Kraft.

Es verbietet unter anderem Werbung, in der Homosexuelle oder Transsexuelle als Teil einer Normalität erscheinen. Bücher zu diesem Thema müssen in Ungarn nun mit dem Hinweis „Verboten für unter 18-Jährige“ versehen werden, Filme dürfen nicht mehr zu Hauptsendezeiten ausgestrahlt werden. Orbans christlich-konservative Partei FIDESZ koppelte die Bestimmungen an ein weiteres Gesetz, das schwere Strafen bei Pädophilie vorschreibt.

Offiziell erklärtes Ziel der Regierung ist der Schutz von Minderjährigen. Orban argumentiert, das Gesetz sorge dafür, dass Eltern alleine darüber entscheiden könnten, wie sie die sexuelle Erziehung ihrer Kinder gestalten wollten. Er warf der EU vor, sie verlange, dass Aktivisten von LGBTQ-Vereinen in ungarischen Kindergärten und Schulen Sexualaufklärung durchführten, „so wie das in Westeuropa bereits üblich ist“.

EU leitete Vertragsverletzungsverfahren ein

Aktivisten sprechen indes von einem Schlag gegen die LGBTQ-Gemeinde. Gegen das Inkrafttreten des Gesetzes hatte es vorab zahlreiche Proteste von Menschenrechtsaktivisten und Vertretern der LGBTQ-Gemeinschaft gegeben – jedoch ohne Erfolg. Die EU hatte als Reaktion auf das Gesetz in der vergangenen Woche ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Budapest eingeleitet.

Europa werde es niemals zulassen, dass „Teile unserer Gesellschaft stigmatisiert werden: Sei es wegen der Person, die sie lieben, wegen ihres Alters, ihrer politischen Meinung oder aufgrund ihres religiösen Glaubens“, erklärte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen damals. Sie nannte das Gesetz „schändlich“. Die EU-Kommissarin für Gleichstellung, Helena Dalli, verwies in einem Interview der Thomson Reuters Foundation auf die Möglichkeit, dem Land die EU-Gelder zu kürzen.

Die ungarische Regierung verurteilte die „Angriffe“ Brüssels auf das Gesetz daraufhin als „politisch motiviert“. „Brüssel hat Ungarn wegen des Gesetzes in den vergangenen Wochen klar attackiert“, sagte Orban.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
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„Europa wird niemals zulassen, dass Teile unserer Gesellschaft stigmatisiert werden“, so von der Leyen

Oppositionskritik: „Ablenkung“

Scharfe Kritik am Vorgehen Orbans äußerte indes die Opposition in Ungarn. Orban ist in Schwierigkeiten, kommentierte Peter Jacab, Fraktionschef der rechtsradikalen ungarischen Jobbik-Partei, die Ankündigung des Referendums. Orban wolle damit von dem ungarischen Abhörskandal gegen Regierungsgegner ablenken, der auch international hohe Wellen schlägt.

Der Chef der Partei Momentum, Andras Fekete-Györ, rief auf Facebook zum Boykott des Referendums auf, das er als „Bluff“ bezeichnete. Laut der Demokratischen Koalition (DK) werde das Referendum erfolglos sein, wofür die Partei alles unternehmen werde. Die Grünen (LMP) bezeichneten das angekündigte Referendum als „außerordentlich zynisch und empörend“.

Asselborn: Über Ungarns EU-Verbleib abstimmen

Unterdessen äußerte sich auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Er stellte ein Referendum über den Verbleib Ungarns in der EU in den Raum. „Man sollte in der EU ein Referendum darüber abhalten, ob man Orban in der EU noch tolerieren will“, sagte Asselborn dem „Spiegel“ (Mittwoch-Ausgabe). Er sei davon überzeugt, dass das Ergebnis ein klares Nein wäre. Zwar gebe es das Instrument EU-weiter Volksabstimmungen bisher nicht, man sollte aber darüber nachdenken, es einzuführen.

Historiker ortet Akt gegen Westen

Bei dem umstrittenen ungarischen Anti-LGBTQ-Gesetz geht es nach Einschätzung des Historikers Krisztian Ungvary nicht um Homosexuelle, sondern um eine Diskreditierung westlicher Werte. Es gehe darum, „eine Debatte zu entfachen, wo mit dem Zeigefinger auf den Westen gezeigt werden kann“, der einerseits die ungarischen Minderheitenrechte nicht wahrnehme, andererseits „aber die Rechte der Homosexuellen durchpeitschen will“, sagte Ungvary kürzlich gegenüber Ö1.

„Das ist das beabsichtigte Ziel zu zeigen, wie perfide und verlogen der Westen sei“, erläuterte Ungvary. „Dass dabei eine komplette Gruppe aus der ungarischen Gesellschaft ausgegrenzt und gepeinigt wird, das interessiert natürlich Viktor Orban nicht“, fügte er hinzu.

„Nur die Spitze des Eisbergs“

Zwar sei die Empörung über das Gesetz auch in Ungarn sehr groß, „aber das Ganze ist nur die Spitze des Eisbergs“. Es gebe nämlich „jede zweite Woche ein Gesetz, das aus dem blauen Himmel fällt und die Interessen von unschuldigen Menschen verletzt“, erläuterte der Historiker. Begonnen habe das schon vor zehn Jahren, als die Regierung Orban die private Krankenversicherung verstaatlicht habe, wodurch viele Bürger um riesige Summen geprellt worden seien. Auch die Notstandsgesetze während der Pandemie hätten viele Einschränkungen enthalten.

Dass Ungarn, wie von Orban behauptet, „sehr tolerant und geduldig gegenüber Homosexuellen“ sei, stimme „überhaupt nicht“, betonte Ungvary. Die Regierungspropaganda verfehle ihre Wirkung nicht. „Dieses Gesetz rückt Homosexualität in die Nähe der Pädophilie, und das ist sowieso ein Problem in einem traditionellen Land, wie man mit Homosexualität umgeht.“ Die Wirkung dieses Gesetzes sei „klar“. „Das ist einfach eine Hetze gegen eine Minderheit.“